Keine Neuregelung der Suizidhilfe : Es bleibt so, wie es ist
Zwei Gruppen von Abgeordneten wollten die Suizidhilfe neu regeln. Doch ihre Gesetzentwürfe fanden im Bundestag keine Mehrheit.
Der assistierte Suizid in Deutschland bleibt weiterhin weitestgehend ungeregelt. Zwei von fraktionsübergreifenden Gruppen eingebrachte Gesetzentwürfe fanden vergangenen Donnerstag keine Mehrheit im Hohen Haus. Damit bleibt eine rund dreieinhalbjährige Diskussion innerhalb und außerhalb des Bundestags nach dem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Selbstbestimmung am Lebensende vorerst ohne Ergebnis. Annähernd einstimmig angenommen wurde ein von beiden Gruppen kurzfristig eingebrachter Antrag zur Stärkung der Suizidprävention.
Situation mit vielen Unklarheiten
Ob es zeitnah einen neuen Anlauf zur Regelung des assistierten Suizids geben wird, ist noch offen. Benjamin Strasser (FDP), der den Gesetzentwurf der Gruppe um unter anderem Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) unterstützt hatte, kündigte in Reaktion auf die "Nicht-Entscheidung" an, dass die Gruppe über einen neuen Anlauf beraten werde. Ähnlich äußerte sich Castellucci. "Das ist für niemanden eine gute Situation, weil nun weder der Zugang zu Suizidassistenz geklärt ist, noch Regeln für die sogenannten Sterbehilfevereine bestehen", sagte der Sozialdemokrat. Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), die an dem konkurrierenden Gesetzentwurf beteiligt war, sagte hingegen, sie rechne in dieser Wahlperiode nicht mit einem neuen Versuch.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bedauerte, dass der Bundestag beide Entwürfe abgelehnt hat. Die jetzige Situation hinterlasse eine "gewisse Rechtsunsicherheit", es werde auf das ein oder andere Urteil der Gerichte ankommen. Das Bundesgesundheitsministerium werde nun Fragen rund um die Freigabe von tödlich wirkenden Medikamenten wie Natrium-Pentobarbital prüfen.
Die Aufforderung des Bundestages, einen Nationalen Suizidpräventionsplan auszuarbeiten, begrüßte der Minister. Sein Haus arbeite bereits daran. "Die Suizidprävention ist die Aufgabe, die jetzt vor uns liegt."
Die beiden Gesetzentwürfe sahen jeweils Regelungen vor, wie Suizidwillige Hilfe zur Selbsttötung, insbesondere die Verschreibung von tödlich wirkenden Medikamenten, in Anspruch nehmen können. Dieses Recht auf Hilfe bei der Selbsttötung hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 in seinem Urteil zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs betont. Das 2015 vom Bundestag erlassene Gesetz erklärten die Richterinnen und Richter seinerzeit für verfassungswidrig und nichtig.
Strafbar oder nicht?
Der Entwurf der Gruppe um Castellucci (SPD) und Heveling (CDU) sah erneut eine Regelung im Strafgesetzbuch und ein grundsätzliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe vor. Dieses Mal waren aber Ausnahmen vorgesehen, um Hilfe bei der Selbsttötung nach fachärztlichen beziehungsweise psychotherapeutischen Untersuchungen sowie einem Beratungsgespräch innerhalb strikter Fristen zu ermöglichen.
Der zweite Entwurf sah hingegen keine strafrechtliche Rahmung der Suizidhilfe vor. Vielmehr sollten die Länder ein Netz von Beratungsstellen aufbauen, in denen sich jeder kostenfrei rund um das Thema Suizid beraten lassen können sollte. Eine solche Beratung sollte auch Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sein. Hinter dem Entwurf standen Gruppen um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Petra Sitte (Die Linke) sowie um Künast und Nina Scheer (SPD), die ihre ursprünglichen Entwürfe zusammengelegt hatten.
In der Debatte hatten Vertreterinnen und Vertreter der Gruppen eindrücklich für ihre jeweiligen Vorschläge geworben. So verwies beispielsweise Castellucci darauf, dass das Bundesverfassungsgericht auch aufgegeben habe, dafür Sorge zu tragen, dass es sich beim Entschluss zum assistierten Suizid tatsächlich um eine freie Entscheidung handle. Der Entwurf seiner Gruppe definiere dazu ein Schutzkonzept - und ein Verstoß dagegen könne bestraft werden. "Ein Schutzkonzept, bei dem es keine Konsequenzen gibt, wenn man es verletzt, ist kein Schutzkonzept", sagte der Sozialdemokrat. Am konkurrierenden Entwurf kritisierte der Abgeordnete, dass in diesem nur eine Beratung vorgesehen sei. "So kann man die Dauerhaftigkeit von Suizidwünschen nicht feststellen. Das verletzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes."
Zweifel an Verfassungsmäßigkeit
Dem hielten Unterstützerinnen und Unterstützer der Gruppe um Helling-Plahr und Künast Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs der Gruppe um Castellucci entgegen. "Sagen Sie Nein dazu, wieder einen gefährlichen Weg zu gehen, der uns nach Karlsruhe bringen kann", sagte Künast. Eine Neuregelung sei indes nötig, denn Sterbehilfe finde statt. Sie warb für "eine breite Tür der Beratung", denn das "ermöglicht Selbstbestimmung, aber auch Lebensschutz".
Von Seiten der AfD wurde in der Debatte kritisiert, dass ihre Abgeordneten nicht an den Entwürfen und dem Antrag beteiligt wurden.
Namentliche Abstimmungen
Das Werben beider Gruppen blieb erfolglos. Auf den Entwurf der Castellucci-Gruppe entfielen in namentlicher Abstimmung bei 687 abgegebenen Stimmen und 23 Enthaltungen 302 Ja- gegen 362 Nein-Stimmen. Auf den Helling-Plahr/Künast-Entwurf entfielen bei 681 abgegebenen Stimmen und 20 Enthaltungen 286 Ja- gegen 375 Nein-Stimmen.
Die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention, Ute Lewitzka, fordert ein Gesetz zur Suizidprävention.
Das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe wurde gekippt. Rainer Woratschka und Kerstin Münstermann im Pro und Contra, wie der Staat mit dem heiklen Thema umgehen soll.
Ihnen geht es um das gute Sterben - ein Sterbehelfer, eine Sterbebegleiterin aus der Hospizarbeit und ein Betroffener im Porträt.