Aufrüstung der Bundeswehr : Die Zeit drängt
Die Verteidigungsausgaben sollen drastisch steigen. Dafür soll ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro aufgelegt werden.
Bedingt abwehrbereit", lautete 1962 die Überschrift eines Artikels im "Spiegel" über die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr im Kriegsfall, der den ersten großen Polit-Skandal der noch jungen Bundesrepublik auslöste. Ein halbes Jahrhundert später nahm die deutsche Öffentlichkeit solche Schlagzeilen lange Zeit beinahe achselzuckend zur Kenntnis. Längst wurden solche Aussagen nicht nur von kritischen Journalisten getroffen, sondern über viele Jahre hinweg von den Wehrbeaufragten des Bundestages, von Verteidigungspolitikern und Offizieren der Bundeswehr. Dies galt bis zum 24. Februar dieses Jahres.
Mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat sich die Wahrnehmung des sicherheitspolitischen Umfeldes dramatisch gewandelt - und zwar wortwörtlich über Nacht. "Du wachst morgens auf und stellst fest: Es herrscht Krieg in Europa", brachte es der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, in den sozialen Medien mit einem eindringlichen Statement auf den Punkt. "Gestern haben wir im Heer einen ,Tag der Werte' durchgeführt. Im Kern stand die Frage ,wofür dienen wir? Nie war es einfacher der Generation, die den Kalten Krieg nicht mehr erlebt hat, das zu verdeutlichen."
Nun scheint der Kalte Krieg zurückgekehrt zu sein zwischen der westlichen Welt und Wladimir Putins Russland, ausgelöst durch seinen heißen Krieg in der Ukraine. Und Mais konstatierte, dass die Bundeswehr nicht gut aufgestellt ist. Das Heer stehe "mehr oder weniger blank dar. Die Optionen, die wir in der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können sind extrem limitiert."
Mit seiner bemerkenswerten Regierungserklärung drei Tage nach dem Überfall auf die Ukraine riss Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das verteidigungspolitische Ruder herum und verkündete Erhöhungen der deutschen Verteidigungsausgaben, die bislang undenkbar waren: Zum einen soll einmalig ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro aufgelegt und im Grundgesetz verankert werden, um die gravierenden Ausrüstungsmängel in der Bundeswehr zu beseitigen. Zudem soll der Wehretat dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) angehoben werden. Das wären gemessen am BIP von 2021 rund 70 Milliarden Euro. Doch im vergangenen Jahr lag der deutsche Wehretat bei 47 Milliarden Euro.
Zwei-Prozent-Ziel
Das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato war 2002 anlässlich der bevorstehenden Aufnahme der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Bulgariens, Rumäniens und die Slowakei in das nordatlantische Bündnis ausgegeben worden. Bekräftigt wurde es dann auf dem Nato-Gipfel 2014 in Wales - nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg in der ukrainischen Donbas-Region.
Eingehalten wurde das Ziel indes jedoch von den wenigsten Nato-Ländern, auch von Deutschland nicht. Neben den USA erreichten in Europa lediglich Großbritannien, Griechenland und die baltischen Staaten das gesteckte Ziel. Als US-Präsident Donald Trump die europäischen Nato-Staaten massiv ermahnte, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, war dafür in Deutschland keine politische Mehrheit zu finden. "Wir haben in Deutschland andere Sorgen als sinnlose Aufrüstung", beschied etwa der stellvertretende SPD-Parteichef Ralf Stegner 2017 während der Sondierungsgespräche mit der Union für die Regierungsbildung auf Forderungen aus der CSU nach einer deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Unter den Verteidigungsministerinnen Ursula von der Leyen (CDU) und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) stieg der Wehretat zwar an, aber vom Zwei-Prozent-Ziel hatte man sich faktisch verabschiedet und auf 1.5 Prozent reduziert.
Bundeskanzler Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) wissen, dass die Umsetzung des Zwei-Prozent-Zieles - ganz zu schweigen von der Aufnahme weiterer Schulden zur Realisierung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens in diesem Jahr in der Koalition kein Selbstläufer ist. Sichtbar wurde dies bereits während der Regierungserklärung des Kanzlers. Während Teile der Unionsfraktion die angekündigten Erhöhungen des Wehretats mit spontanen Standing-Ovations bedachten, fiel der Applaus in der Reihen der SPD und der Grünen deutlich spärlicher aus.
In den Tagen nach der Regierungserklärung wurde denn auch schnell Kritik laut. Bereits am vergangenen Mittwoch meldete sich die linke SPD-Gruppe "Forum Demokratische Linke" (DL21) und weiterer Organisationen innerhalb und außerhalb der Partei mit folgender Erklärung zu Wort: "Wir lehnen das von Bundeskanzler Scholz am Sonntag vorgeschlagene Sondervermögen für Aufrüstung in Höhe von 100 Milliarden Euro und dauerhafte Rüstungsausgaben von über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ab. Das ist ein beispielloser Paradigmenwechsel, dem wir uns vehement entgegenstellen." Die Bundeswehr sei "nicht von einer Unterfinanzierung geplagt, sondern von strukturellen Problemen beim Management und der Beschaffung von Materialien. Die Bundeswehr muss reformiert, nicht aufgerüstet werden." Ganz ähnlich äußerte sich der Co-Vorsitzende der Grünen Jugend: "Der vermeintliche Investitionsbedarf bei der Bundeswehr resultiert insbesondere aus Missmanagement und Fehlplanung, nicht aus fehlendem Budget", ließ Timon Dzienus wissen.
Die Partei- und Fraktionsführungen von SPD und Grünen werden in den kommenden Wochen Überzeugungsarbeit leisten müssen. Sprachlich lässt sich dies schon daran ablesen, dass Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner die Erhöhung der Verteidigungsausgaben erst gar nicht als "Aufrüstung" verstanden wissen wollen. Die Bundeswehr werde vielmehr "ausgerüstet" - auf den Stand, den die Anforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung gebiete. Die FDP-Wehrexpertin und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann zeigt sich im Interview (siehe Seite 2) denn auch sicher, dass die Mehrheit in der Ampelkoalition steht. Und: Die Bedenkenträger sollten jetzt schweigen. Auch in der SPD-Fraktion wissen die Verteidigungspolitiker, dass eine Erhöhung des Wehretats nötig ist.
Wehrbeauftragte will im März Bericht vorlegen
Fakt ist, dass es Truppe seit Jahren an vielen Ecken an Ausrüstung mangelt. Am 15. März will die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, ihren neuen Jahresbericht vorlegen. Wie bereits in den vergangenen Jahren wird auch dieser Bericht wieder einmal die Probleme in den Streitkräften deutlich benennen. Högl verfolgte Scholz' Regierungserklärung jedenfalls aufmerksam im Plenarsaal und machte sich eifrig Notizen.
Fakt ist aber auch, dass viele Probleme der Bundeswehr hausgemacht sind. Das Beschaffungswesen der Bundeswehr gilt als dringend reformbedürftig. Probiert haben sich daran schon mehrere Verteidigungsminister. Auch Christine Lambrecht (SPD) will dem Problem zu Leibe rücken.
In der Vergangenheit verzögerte sich die Auslieferung von Waffensystem immer wieder, fiel teurer aus als geplant und das gelieferte Gerät war mit allerlei Mängeln und Kinderkrankheiten behaftet . Dies war beim Eurofighter so, beim Schützenpanzer Puma, beim Kampfhubschrauber Tiger, beim Transporthubschrauber NH 90 oder beim Transportflugzeug A400 M.
So gewaltig die anvisierten Erhöhung der Verteidigungsausgaben erscheinen, die Wunschliste in der Bundeswehr ist ebenso gewaltig. Langfristig stehen die Entwicklungen eines neues Kampfflugzeuges, eines neuen Kampfpanzers als Nachfolger für den Leopard 2 und der bewaffneten Eurodrohne an. Diese Projekte sollen mit Frankreich und anderen europäischen Partnern realisiert werden. Kurzfristig braucht die Bundeswehr dringend einen neuen schweren Transporthubschrauber, der wohl in den USA eingekauft werden soll. Doch es fehlt auch an grundlegenden Dingen: Seit Jahren werden Fehlbestände bei der Munition in allen Bereichen angemahnt. Allein dieser Posten könnte sich auf bis zu 20 Milliarden Euro belaufen.
Nukleare Teilhabe
Kanzler Scholz hat einige der anstehenden Beschaffungen angesprochen. Da ist zum Beispiel das Tornado-Kampfflugzeug, mit dem die Bundeswehr ab Anfang der 1980er Jahre ausgerüstet wurde. Ursprünglich auf eine Nutzungszeit von 20 Jahren ausgelegt, soll das Mehrzweckkampfflugzeug nun bis 2030 ausgemustert werden. Dem Jet kommt eine besondere und auch politische Bedeutung zu. Er ist das einzige Trägersystem der Bundeswehr für die im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten amerikanischen Atomwaffen. Deutschland sichert sich damit die sogenannte nukleare Teilhabe. Diese räumt den Nato-Mitgliedern, die über keine eigenen Atomwaffen verfügen, ein gewisses Mitspracherecht in atomaren Fragen des Bündnisses ein. Der Zugriff auf diese Waffen ist in Friedenszeiten allerdings den USA vorbehalten. Als mögliches neues Trägersystem wird das amerikanische Kampfflugzeug F-35 gehandelt.
So umstritten die nukleare Teilhabe in den vergangenen Jahren war, so bedeutsam wird sie in der aktuellen Situation. Die Nato hat sich stets als atomares Bündnis verstanden und diesem Aspekt wird angesichts der unverhohlenen atomaren Drohung Putins wieder verstärkt in den Vordergrund rücken.