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Foto: picture-alliance/Geisler-Fotopress/Ulrich Stamm
Sie sind die markante Kulisse von Wolfsburg: die vier Schornsteine des VW-Werks. Direkt gegenüber liegt das Gelände der "Autostadt", das zur EXPO 2000 eröffnet wurde, ein gigantischer Themenpark rum um Mobilität.

Autostadt Wolfsburg : Eine Stadt für Volkswagen und mit gutem Espresso

Von Wolfsburg zogen nach 1945 Käfer, Bullis und Golfs in die Welt hinaus. Das Wohl und Wehe der Stadt lässt sich von der Situation bei Volkswagen nicht trennen.

17.07.2024
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9 Min

Wolfsburg ist die Stadt, von der Adolf Hitler einst sagte, "dass es die schönste Stadt Deutschlands sein würde", so berichtete es jedenfalls die "Allerzeitung" 1938. Die ambitionierten Pläne der Nationalsozialisten für eine komplett neue Wohn- und Arbeitsstadt gingen aus verschiedenen Gründen nicht auf. Doch eines blieb: Das Volkswagen-Werk, dort 1938 als weitgehend autarker Musterbetrieb projektiert, war auch Jahrzehnte später noch Experimentierfeld - und mit ihm die Stadt drumherum. Hier wurden Automobil-Ikonen produziert, die stilprägend für ganze Epochen wurden: Der VW Käfer, der Bulli, der Golf. Hier wurden (nicht immer freiwillig) moderne Arbeitsweisen erprobt, verworfen und neu aufgelegt - mit Auswirkungen auf das soziale Leben der Stadt. Hier wurden Menschen aus mehr als einer Migrationswelle aufgenommen, versorgt und integriert.

Als die Deutsche Arbeitsfront (DAF) sich dieses Gelände ausguckte, konnte davon natürlich noch nicht die Rede sein. Die Gegend zwischen dem kleinen Ort Fallersleben und dem Schloss Wolfsburg war dünn besiedelt und wurde ausschließlich landwirtschaftlich genutzt. Dafür lag sie strategisch günstig: Mitten im Reich, über den Mittellandkanal und die schon bestehende Eisenbahnlinie und die Autobahn zwischen Berlin und Hannover gut erschließbar. Immerhin mussten hier nicht nur Rohstoffe, und Arbeitskräfte herbei geschafft werden, sondern auch die künftigen Autobesitzer, die sollten ihr neues Fahrzeug nämlich persönlich abholen.

Darum sollte Wolfsburg eine gesunde Stadt und kein Moloch werden

Das große Versprechen auf eine umfassende Motorisierung des Landes und einen für normale Familien erschwinglichen Wagen hatte Hitler schon früh nach der "Machtergreifung" 1933 ausgesprochen. Im internationalen Vergleich hinkte Deutschland damals nämlich hinterher. Nicht mehr als 1.000 Reichsmark sollte der Kleinwagen kosten. Die etablierten Autobauer im Süden des Landes äußerten sich skeptisch, ob sich eine so kostengünstige Massenproduktion überhaupt bewerkstelligen ließe. Aber die bauten eben auch eher Luxuskarossen.

Zur Finanzierung gab es ein eigens herausgegebenes Sparbuch, in das für jede Rate Wertmarken geklebt wurden. So sparten die Deutschen also fleißig - in der Hoffnung auf ein eigenes Auto. Schließlich aber nutzte das Regime die Millionen der Sparer für den Bau des größten Automobilwerkes Europas. Das Projekt hatte von Anfang an Züge von Größenwahn. Gebaut werden musste nicht nur das Werk, sondern noch eine ganze Arbeiterstadt direkt daneben.

Wer lebt heute in Wolfsburg?

👨👩In Wolfsburg leben rund 127.000 Menschen, knapp 50 Prozent sind Männer und rund 42 Prozent haben eine Zuwanderungsgeschichte, meist aus Italien. Nach der Gründung der Stadt 1939 hatte sie rund 6.800 Einwohner, zu 93 Prozent waren diese männlich. 27 Prozent der Menschen haben heute einen akademischen Abschluss und rund 78.000 Menschen pendeln berufsbedingt nach Wolfsburg.



Eine gesunde Stadt sollte das sein, eine Art Gartenstadt, kein stinkender, überbevölkerter, sündhafter Moloch wie die modernen Großstädte, die den Nationalsozialisten so zuwider waren. Wer auf den Plan Wolfsburgs schaut, erkennt die Spuren davon heute noch. Die Stadtteile sind weit auseinander gezogen, wie eigene kleine Dörfer, mit einem bemerkenswert hohen Anteil an Grünflächen. Der Mittellandkanal sollte Werk und Wohngebiete voneinander trennen. Die Stadtteile sollten sich um den Klieversberg (in Wirklichkeit nicht mehr als ein Hügel) gruppieren, ganz oben die "Stadtkrone" thronen mit den öffentlichen Gebäuden und repräsentativen Bauten. Auch die Ausstattung der Wohnungen war für damalige Verhältnisse luxuriös geplant: Mit Strom und fließend Wasser und Zentralheizung selbst in den Arbeiterwohnungen.

Doch daraus wurde nichts. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war nur ein Bruchteil der geplanten Wohnviertel fertig. Anstelle des von Ferdinand Porsche entworfenen "KdF-Wagens", auf den die Sparer so sehnsüchtig warteten, mussten Rüstungsgüter produziert werden: Kübelwagen, Bauteile für die Junckers JU88-Kampfflugzeuge, Teile der V1-Bomben, die halb London zerstörten.

Als Wolfsburg noch "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben" hieß

Und ein Großteil der Arbeiter hauste immer noch in Baracken anstelle der versprochenen modernen Wohnungen. 6.797 Menschen lebten Ende 1939 in der Stadt, die damals noch "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben" hieß - 92,9 Prozent waren Männer.

Dann begann das Gezerre um ihre Arbeitskraft: Einerseits wurden sie als Soldaten gebraucht, andererseits in der Rüstungsproduktion. Eingestellt wurde alles, was nicht kriegswichtig war - darunter der Wohnungsbau. Und bald mussten Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge das Arbeitskräftereservoir aufstocken. 20.000 waren es, davon 5.000 KZ-Häftlinge. Ohne sie wäre die Produktion zum Erliegen gekommen.

Beim BIP an der Spitze

💶💰Nach Angaben von Statista führte Wolfsburg 2021 die Liste der Kreise mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner an, mit knapp 159.000 Euro. Auf den Plätzen zwei und drei lagen Ingolstadt und München in Bayern.



Bodo Lafferentz, Ferdinand Porsche und Anton Piech hießen die Hauptgeschäftsführer 1941. Und es war vor allem Porsche, der seine exzellenten Kontakte in die NS-Führungsriege und zu Hitler selbst nutzte, um den Einsatz von KZ-Häftlingen voranzutreiben, als einer der ersten Betriebsführer in der Rüstungsindustrie.

Geschichte des KZ-Außenlagers wurde erst in den 1980er Jahren aufgearbeitet

Auf dem Laagberg wurde ein Außenlager KZ Neuengamme eingerichtet. Zu den ersten Insassen zählten ungarische Juden und Jüdinnen aus Auschwitz. Die Aufarbeitung dieses Teils Stadtgeschichte begann auch in Wolfsburg erst spät, in den 1980er Jahren.

Baracken und Lager ganz unterschiedlicher Qualität sollten noch für eine ganze Weile zum Stadtbild gehören. Nach Kriegsende verhinderte die britische Militärregierung eine Demontage des Werkes, weil man es für die Reparatur von Militärfahrzeugen brauchte. Sie veranlassten auch die Umbenennung der Stadt in Wolfsburg. Und noch unter ihrer Leitung rollten die ersten Käfer vom Band, hauptsächlich für den Export.

1949 übergaben die Briten das Werk an die Bundesrepublik. Das Land Niedersachsen wurde als Treuhänderin eingesetzt. Seit VW 1960 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, hält es 20 Prozent der Stimmrechte und entsendet zwei Vertreter in den Aufsichtsrat, in der Regel den Ministerpräsidenten und den Wirtschaftsminister, in der aktuellen Landesregierung aber die stellvertretende Ministerpräsidentin und Kultusministerin Julia Willie Hamburg von den Grünen.

Unklare Eigentumsfragen verhinderten den Bau von Schulen und Krankenhäusern

Eigentlich hätte es also schon Anfang der 1950er Jahre mit der Stadt genauso schnell wieder aufwärts gehen können wie mit dem Werk. Doch erst einmal stellten eine ganze Reihe von ungeklärten Eigentumsfragen den Verantwortlichen ein Bein. Denn nicht nur das Werksgelände, sondern auch weite Teile Wolfsburgs waren im Grundbuch auf das VW-Werk eingetragen. Damit fehlte es der Stadt nicht nur an Verfügungsgewalt, sondern auch an Grundsteuereinnahmen. Das änderte sich erst 1955: Nun konnte auch endlich in öffentliche Infrastruktur investiert werden - in richtige Schulgebäude und ein Krankenhaus.

In den 1960er Jahren folgte auch Wolfsburg dem großen Trend zu Hochhaussiedlungen. Die Stadtteile Detmerode und Westhagen wurden erst zur Heimat vieler sogenannter Gastarbeiter und später zu sozialen Problemzonen. Seit den 1990er Jahren muss sich die Stadt hier zunehmend Sanierungsproblemen widmen.

Die ersten italienischen Gastarbeiter kamen schon im Zweiten Weltkrieg

Dass die zunächst vor allem italienischen Gastarbeiter die Hochhaussiedlungen erst einmal als Fortschritt empfanden, lag allerdings daran, dass sie vorher wiederum in Baracken hatten hausen müssen. Zwar gab es aus der Werksleitung die Anweisung, in der Öffentlichkeit bitte schön nicht "Lager" zu sagen. Aber natürlich rutschte es vielen trotzdem heraus. "Das Italienerdorf" war eben auch erst einmal nichts anderes: ein etwas freundlicheres Lager.

Wobei die Gastarbeiter nicht die ersten Italiener in Wolfsburg waren: Noch in der NS-Zeit hatte es ein Anwerbeabkommen mit dem Mussolini-Regime gegeben - solange die beiden faschistischen Staaten noch Verbündete waren. Nachdem Italien sich mit den Alliierten verbündete, wurden sie über Nacht zu Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern - und wollten nach dem Krieg nicht bleiben.

Der Volkswagen-Konzern 

🚗👩‍🔧Wolfsburg ist noch immer der Hauptsitz der Marke Volkswagen und Unternehmenszentrale des VW-Konzerns mit seinen zwölf Fahrzeugmarken. Rund 60.000 Beschäftigte arbeiten hier auf einer Fläche von mehr als sechs Quadratkilometern. Weltweit beschäftigt VW mehr als 675.000 Menschen. Damit ist VW einer der größten privaten Arbeitgeber weltweit. An Werktagen rollen bis zu 3.800 neue VWs aus dem Werk.



Diejenigen, die Anfang der 1960er Jahre - eher widerwillig und aus der akuten Arbeitskräftenot heraus - angeworben wurden, sollten dagegen eigentlich nicht bleiben, taten es aber. Ursprünglich strebte man ein Rotationssystem an: Die jungen Männer sollten zwei bis drei Jahre lang in Deutschland gutes Geld verdienen und dann zurückkehren und Platz für frische Kräfte machen. Einige taten dies auch - immerhin waren die Bedingungen hier hart und der Empfang durch die einheimische Bevölkerung nicht besonders freundlich. Gleichzeitig waren die Verdienstmöglichkeiten im VW-Werk unschlagbar. Am Ende entschieden deshalb doch viele Arbeiter, die Familie nachzuholen.

Zugewanderte aus verschiedensten Ländern sind nicht mehr wegzudenken

Mittlerweile sind sie aus Wolfsburg und Umgebung nicht mehr wegzudenken, vom größten italienischen Dorf nördlich des Brenners ist oft die Rede - wobei niemand mehr so genau weiß, wer diese Bezeichnung in die Welt gesetzt hat. Wolfsburg ist jedenfalls ziemlich sicher die erste deutsche Stadt, in der man einen ordentlichen Espresso bekam - in der Bar Azzurri, seit den 1960er Jahren ein Treffpunkt italienischer Arbeiter.

Foto: picture alliance / dpa

Auch jenseits der Autostadt profitiert die Infrastruktur Wolfsburgs enorm von VW, etwa durch das Phaeno-Wissenschaftsmuseum.

Dabei sind die Italiener natürlich nicht die einzigen Zugewanderten: Nach dem Krieg kamen zuerst die Vertriebenen, später DDR-Flüchtlinge, Gastarbeiter aus anderen Ländern, Spätaussiedler und immer wieder auch Geflüchtete. Das ging nie ganz reibungsfrei, funktionierte aber am Ende irgendwie meistens doch.

Von jeher hing das Wohl und Wehe der Stadt am VW-Werk. Nicht nur, weil man auf ihren Straßen immer noch deutlich merkt, wann Schichtwechsel ist und wann Werksferien. Der zweitgrößte Autokonzern der Welt bescherte der Stadt zeitweise das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Republik und eine üppige soziale und kulturelle Infrastruktur. Mit seinem Kunstmuseum, dem Wissenschaftsmuseum "Phaeno", der Autostadt und seinen Sportanlagen hat Wolfsburg für eine Stadt dieser Größe ungewöhnlich viel zu bieten. Allerdings schlägt auch jede Krise, jeder Skandal bei VW (und davon gab es einige) mit einiger Verzögerung auf den städtischen Haushalt durch und zwingt zu Sparmaßnahmen.

Neue Arbeitszeitmodelle retteten tausende Arbeitsplätze

Dabei fungiert die Stadt auch als Laboratorium für neue Formen der Arbeit: Hier gab es zuerst neue Produktionsweisen, neue Schichtmodelle, Arbeitszeitkonten. Als es 1993 nicht gut um VW stand, rettete die Vier-Tage-Woche rund 30.000 Arbeitsplätze konzernweit. Es ist kein Zufall, dass Peter Hartz als Personalvorstand bei VW wirkte, bevor ihn der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) damit beauftragte, die mittlerweile berüchtigten Hartz-Reformen zum Umbau des Arbeitsmarktes zu entwickeln. Als Arbeitgeber ist VW nach wie vor begehrt: Der Konzern bietet vergleichsweise hohe Gehälter und gute Entwicklungsmöglichkeiten. Aber der Einstieg ist eben auch nicht mehr so leicht wie er mal war, vor allem in der Produktion gibt es eine deutliche Kluft zwischen den Beschäftigten mit Haustarifverträgen älteren Datums und Leiharbeitern.

Zwickau statt Wolfsburg: Ende des Prestigeprojektes um das E-Auto "Trinity"

Gerade muss sich VW einmal mehr neu erfinden. Erst hielt die Debatte um ein neues hochmodernes Werk für das E-Auto-Modell "Trinity" die Stadtgesellschaft jahrelang auf Trab. Seit September 2023 steht nun fest, dass aus dem Prestigeprojekt des früheren VW-Chefs Herbert Diess nichts wird. Es fiel dem milliardenschweren "Effizienzprogramm" zum Opfer, das VW vor einem Jahr verkündete und zu dem auch ein massiver Stellenabbau gehört.

Wie die Autostadt Wolfsburg entstand

🤹‍♀️🎡Mit der Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover hat auch die "Autostadt" ihre Pforten geöffnet. VW hat rund 430 Millionen Euro investiert, um auf einem 25 Hektar großen Areal an seinem Stammsitz in Wolfsburg eine "Kommunikationsplattform" entstehen zu lassen. Das Projekt, in nur zwei Jahren Bauzeit entstanden, ist ein riesen Themen- und Freizeitpark rund um die Themen Mobilität und Technik, mit Hotels, Spielplätzen und Bildungsangeboten. Auf jeden Fall ist es eine touristische Attraktion geworden, mit mehr als 10 Millionen Besuchern allein in den ersten fünf Jahren. 



Kein Wunder, dass die Wolfsburger nicht besonders humorvoll reagierten, als sich in den vergangenen zwei Jahren ein kleines Grüppchen Klimaaktivisten von außerhalb in der Stadt einnistete und mit mal mehr, mal weniger kreativen Störaktionen für Diskussionen sorgte. "Verkehrswende statt Antriebswende", forderten sie, eine Vergesellschaftung von VW und die Umstellung der Produktion auf Straßenbahnen und Lastenräder. "Amsel 44" nannte sich die Gruppe, benannt nach der Adresse des Projekthauses in der Amselstraße.

Mit Guerilla-Marketingaktionen, Fake-Webseiten, gefälschten Plakaten und Flugblättern sorgten sie vor allem im Netz für einige Diskussionen - erhielten aber kaum Unterstützung vor Ort. Dort hofft man immer noch, dass die Produktion des E-Golfs nicht nur die Klimakrise mildert, sondern auch die Beschäftigung im Stammwerk sichert - selbst wenn er nicht so stilbildend ausfällt wie die Ikonen, die hier früher gebaut wurden.