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Schickes Möbelstück: Ein Altes Loewe-Röhrenradio.

100 Jahre Radio in Deutschland : "Es ist wie beim Kochen"

Er hat zusammen mit Co-Moderator Volker Wieprecht dem Sender Radioeins zum Durchbruch verholfen, nun ist er der Chef. Robert Skuppin über ein untotes Medium.

13.12.2023
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8 Min

Herr Skuppin, ich bin sauer, wenn mir lieb gewonnene Radioformate aufhören zu existieren. Ist das normal, diese enge Verbundenheit mit einem Sender?

Robert Skuppin: Ja, absolut. Für viele Menschen ist das Radio Bestandteil ihrer Wohnungseinrichtung. Und wenn sich das verändert, man die Couch umstellt, oder noch schlimmer, sie entfernt, ohne mit ihnen drüber zu reden, dann finden sie das überhaupt nicht lustig. Ich glaube, es liegt auch daran, dass das Programm am Morgen einen so umgibt: Man hat seine Rituale, geht in die Küche, schaltet das Radio ein, kocht Kaffee, geht wieder ins Bad. Und wenn dieser Rhythmus gestört ist, dann fühlt man sich quasi persönlich herausgefordert.

Das ist ein schwieriges Umfeld für Reformen.

Robert Skuppin: Allerdings. Es war ein harter Lernprozess auch für mich, zu erkennen, dass man bei Programmreformen sehr vorsichtig sein muss, weil diese Hörgewohnheiten so extrem wichtig sind. Wenn eine Veränderung dann aber passiert ist, dann haben es die meisten nach zehn Tagen auch vergessen, so dass die ganze Aufregung darum auch erstaunlich ist. Die große Kunst ist deshalb, die Reform so organisch parallel zum Programm zu gestalten, dass die Hörer sie kaum mitbekommen.

Foto: rbb/Gundula Krause

Vom Star-Moderator zum Chef von Radioeins: Robert Skuppin.

Das letzte Mal richtig betrübt war ich allerdings vor 26 Jahren, als Radio Brandenburg aufhörte zu existieren.

Robert Skuppin: Das kann ich verstehen, es war ja auch ein absolutes Kult-Programm und hatte für ein Kulturprogramm eine extrem starke Quote. Das lag auch an Lutz Bertram, dem Moderator am Morgen, der in seinen sehr nachhakenden Interviews Politiker zum Teil richtig verhört hat. Und wenn man sich daran gewöhnt, am Morgen derart ungewöhnliche Dinge serviert zu bekommen, ist das ein Verlust.

Dafür wurde dann Radioeins geboren. Wieso brauchte es damals einen Sender, "nur für Erwachsene"? Gab es die nicht schon genug?

Robert Skuppin: Damals stand die ARD noch unter dem Schock des Privatradios: populäre Musik, kaum noch Moderationen, schrille Unterhaltung, alle lachen die ganze Zeit. Das setzte die ARD massiv unter Druck. Aber der Radioeins-Gründer Helmut Lehnert fand das alles total kindisch. Er wollte ein Programm für Menschen, die zuhören und Debatten schätzen, auch Popkultur als eine Form von Kultur ernst nehmen. Alle haben gesagt: Der ist doch wahnsinnig! Aber es war die beste Entscheidung: gegen den Klamauk und für eine gewisse Ernsthaftigkeit, Erwachsenheit.

So einen Sender zu gründen, ist nicht einfach: Andererseits sind die Zutaten schon immer die gleichen: Musik, Nachrichten, Sport, Politik, Unterhaltung. Wie macht man daraus ein neues Gericht?

Robert Skuppin: Wir haben das tatsächlich immer mit Restaurants verglichen: Essen kennt die Menschheit schon tausende von Jahren. Warum können wir uns trotzdem noch für bestimmte Köche und Restaurants begeistern? So ähnlich ist es im Radio auch. Hier spielen ja die Persönlichkeiten hinter dem Mikrofon eine ganz große Rolle. Die Moderatoren müssen aber die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren und wie beim Kochen bereit sein, sich auf etwas Neues einzulassen. Insofern: Die Zutaten sind die gleichen, am Ende geht es eher darum, neue Abenteuer damit zu erleben.


„Die Zutaten sind immer die gleichen: Am Ende geht es eher darum, neue Abenteuer damit zu erleben.“
Robert Skuppin

Der Sender hat sich mittlerweile zu einer Marke entwickelt und damit auch einige Moderatoren. Keine Berlinale ohne Knut Elstermann, viele Konzerte werden von Radioeins präsentiert. War das ein Ziel, zu einer "Marke" zu werden?

Robert Skuppin: Das haben wir vor allem von "Fritz" gelernt, wo viele von uns sozialisiert wurden. "Fritz" ist es gelungen, eine wirklich sehr erfolgreiche Jugendmarke zu werden, unter anderem mit dem Slogan "alles andere ist nur Radio". Nur die Sendungen, nur die Formate allein schaffen das nicht, sondern dazu gehören eben auch die Fans, um die Marke emotional aufzuladen.

Setzt Sie der Reformzwang auch unter Druck?

Robert Skuppin: Nein, eigentlich nicht. Das Schöne bei Radio-Marken ist ja: Es sind Kohorten-Systeme. Sie altern mit ihren Hörern. Als wir begonnen haben, lag das Durchschnittsalter bei zirka 36 Jahren, mittlerweile bei 47 Jahren. Das lässt sich nicht aufhalten. Trotzdem muss man sie natürlich immer wieder modernisieren. Auch wenn man alt ist, will man kein altes Programm hören, man will noch in modernen Zügen sitzen.

Welche Sendestrecke steht denn am meisten unter Erneuerungsdruck?

Robert Skuppin: Klassischerweise wird viel am Morgen herumgebastelt, weil das die Primetime im Radio ist. Das bedeutet aber nicht, dass dort risikoreich experimentiert wird, das kann man sich gar nicht leisten. Aber an einer erfolgreichen Morgenstrecke stellt sich eben das ganze Programm auf. Die Strecken am späten Abend sind dann absolute Experimentstrecken, man kann alles Mögliche ausprobieren. Da kommen dann die Hardcore-Fans auf ihre Kosten.

Der Anlass für das Interview ist der 100-jährige Geburtstag des Radios in Deutschland. Man kann sich im Netz gerade viele historische Radio-Momente anhören. Welchen mögen Sie besonders?

Robert Skuppin: Bei vielen dieser alten Aufnahmen bekomme ich Gänsehaut. Wenn ich zum Beispiel die Live-Reportage, die sogenannte Flüsterreportage, von der Nobelpreisverleihung an Thomas Mann höre. Das hört sich heute ungewöhnlich an, aber gleichzeitig denke ich: Wahnsinn, was der Alfred Braun (Erfinder der Radioreportage, Anm. d. R.) da gemacht hat.

Die 1950er und 1960er Jahre werden als die "radio years" bezeichnet, dann kam das Fernsehen und das Radio wanderte vom Wohnzimmer in die Küche. Das hat ihm offenbar nicht geschadet.

Robert Skuppin: Das Spannende am Radio ist: Es ist das erste Massenmedium, das gestorben ist. Es war ja mal DAS Medium und ist dann durch das Fernsehen abgelöst worden. Wenn man sich aber überlegt, wie die Bedeutung von Zeitungen oder die Rolle des linearen Fernsehens zurückgegangen sind, dann hat sich das lineare Radio eigentlich extrem gut gehalten. Audio generell hat sich sehr gut gehalten. Radioeins hat es geschafft, mit diesem linearen Stream auch digital sehr erfolgreich zu sein, was sehr ungewöhnlich ist. Das zeigt für mich, dass ein gut gemachtes Radioprogramm auch gegen digitale Konkurrenz mithalten kann.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zur politischen Neutralität verpflichtet. Nun will Radioeins explizit nicht Mainstream sein, eine Haltung, auch im Politischen haben. Wie würden Sie die beschreiben?

Robert Skuppin: Erwachsen. Wir schauen mit einem erwachsenen Blick auf diese Welt. Ein Blick, der es auch ermöglicht, etwas Unterhaltsames zu machen, etwas zum Lachen, aber der über die Probleme dieser Welt auch nicht hinweggeht. Die Position von Radioeins war immer: Es ist nicht einfach nur alles Spaß. Es gibt eine Menge Probleme, die es verdient haben, sich damit auseinanderzusetzen, um Lösungen zu finden.


„Es ist nicht einfach nur alles Spaß. Es gibt eine Menge Probleme, die es verdient haben, sich damit auseinanderzusetzen.“
Robert Skuppin

Der Podcast-Boom der letzten Jahre scheint dem Radio nicht geschadet zu haben. Was ist für Sie das Besondere an einem Podcast?

Robert Skuppin: Ich glaube, es gibt bei vielen Menschen ein Bedürfnis nach Tiefe und Verständnis, das über das Radio hinausgeht. In der täglichen Sendung muss eine gewisse Formatierung eingehalten werden, weil sie eben für eine größere Menge von Hörern und Hörerinnen gemacht wird. Aber es gibt eben auch Menschen, die wollen tiefer in die Themen hineintauchen. Es ist kein riesiger Markt, aber ein erstaunlich großer Markt, wo Menschen sich Zeit nehmen, sich audiotechnisch unterhalten zu lassen oder zu informieren. Das wird mit Sicherheit auch so bleiben beziehungsweise sich noch ausbauen.

Lineares Radio hören gerade jüngere Menschen selten, sie favorisieren Podcasts oder Audiotheken. Haben Sie mittelfristig doch Angst um die schwindende Zuhörerschaft ihres Senders?

Robert Skuppin: Wie gesagt, wir werden mit unseren Hörern älter, insofern wird uns das Problem nur am Rande berühren. Wir haben natürlich auch jüngere Hörerinnen und Hörer. Aber ich glaube, dass junge Menschen auch deshalb kein Radio hören, weil wir ihnen kein Angebot machen. Das letzte Angebot für ein Jugendradio war "Fritz" und das ist jetzt mehr als 30 Jahre her. Dass junge Menschen nicht zu einem Sender greifen, den schon der Opa gehört hat, halte ich für nachvollziehbar. Es muss da neue Angebote geben, die man auch mit einem digitalen Angebot erweitern muss. Es wäre spannend zu sehen, was passieren würde, wenn jungen Hörern ein solches Angebot jetzt gemacht würde.

100 Jahre Radio in Deutschland 📻

Der Anfang: 1923 ging in Berlin das erste, noch sehr kurze, zivile Programm auf Sendung. Allerdings hatte noch kaum jemand ein Empfangsgerät. Zwei Jahre später waren es schon Millionen Hörer.

Föderale Struktur: In rascher Reihenfolge entstanden mehrere Landessender, auch weil die Reichweiten noch nicht so stark waren.

Gleichschaltung in der NS-Zeit: Die Nationalsozialisten missbrauchten das Radio als Propagandainstrument und formten ein Programm streng an der NS-Ideologie ausgerichtet.

Radio in der Gegenwart: Heute gibt es in Deutschland zirka 400 Radiosender. Die föderale Struktur der Landessendeanstalten garantiert diese Vielfalt, ebenso die vielen privaten Radiostationen.



Ihre Sendung "Der schöne Morgen", die Sie zusammen mit Volker Wieprecht lange moderierten, wurde als beste Morgensendung ausgezeichnet. Der geistreiche und witzige Schlagabtausch zwischen Ihnen erlangte Kultstatus. So ein Zusammenspiel kann man nicht im Moderatorentraining lernen, oder?

Robert Skuppin: Lernen kann man es wahrscheinlich tatsächlich nicht. Es müssen zwei Menschen sein, die irgendwas miteinander anfangen können, es muss eine Verbindung geben. Wenn die befreundet sind, ist das super, kann aber für die Moderation auch ein Problem werden, wenn die Beziehung zu eng ist. Es geht um ein bestimmtes Trigger-Modell, dass man sich an bestimmten Punkten berühren kann. Es hat uns immer viel Spaß gemacht und macht uns auch heute noch Spaß, wenn wir hin und wieder zusammen moderieren. Es hat uns aber auch immer belastet, eben weil wir Freunde sind. Aber es ist auch klar, dass die Sendung erfolgreich war in ihrer Zeit, die heute so nicht mehr existiert. Wir würden wahrscheinlich hier und da Probleme bekommen mit Äußerungen, die wir vielleicht gar nicht so gemeint haben, weil sich die Gesellschaft eben auch verändert hat.

Wie geht man live eigentlich souverän mit Fauxpas um?

Robert Skuppin: Wir hatten ja öfter mal neue Kollegen, Nachrichtensprecher zum Beispiel, und da kam es vor, dass wir deren Namen vergessen hatten. Nun mussten wir aber live mit Nennung des Namens die Nachrichten ankündigen und Volker schiebt mir einen Zettel zu: "Wie heißt er?" Und ich schreibe zurück: "Ich weiß es auch nicht." On air ist das natürlich peinlich. Ja, wie löst man das? Volker löst es eben in einer lustigen Art und Weise, indem er sich einen Namen ausdenkt. Und dann erwidert besagter Kollege: "So heiße ich doch gar nicht!" Das ist eine Typfrage, es gibt andere, die dann einfach die Nachrichten unter falschem Namen verlesen. Es ist ein Ausprobieren und das Wichtige ist, zu wissen: Es gibt eigentlich nichts Peinliches. Das Studio muss so sehr die eigene Wohnstube sein, dass man wirklich authentisch sein kann. Dann ist man auch nicht mehr aufgeregt, dann passieren auch Missgeschicke einfach. Meistens ist das eigentlich auch lustig. Man muss allerdings auch die Bereitschaft haben, über sich selbst lachen zu können. Wenn man die nicht hat, dann wird es sehr schwer.

Das sind so die Überraschungsmomente, die Spontanität, von dem Radio auch lebt. Das kann ein KI-basiertes Radio nicht oder noch nicht.

Robert Skuppin: KI-basierte Modelle machen mir keine Angst. Die können vielleicht Musik streamen, die können vielleicht einen gewissen Sprachanteil haben, aber es wird noch sehr lange dauern, bis sie in der Lage sind, an das lebendige Radio heranzukommen. Denn beim Radio geht es ja auch um Emotionen, um Stimmführung, darum, wie man etwas sagt. Wir hatten mal eine Nachrichtensprecherin, die jeden Tag mindestens zehn Briefe von Fans bekam. Und sie hat "nur" die Nachrichten vorgelesen, doch ganz viele Hörer waren einfach von der Stimme begeistert, ohne die Person zu kennen. Es ist nur eine Stimme, die irgendetwas triggert und hervorruft. Total spannend. Im Fernsehen spielt auch die Optik eine Rolle, aber hier ist es die reine Akustik.

Foto: rbb/Gundula Krause
Robert Skuppin
begann seine Radiokarriere Mitte der 1980er Jahre in Berlin. Zunächst als Nachrichtenredakteur bei Radio 100, danach wechselte er zu Radio 4U des SFB. Größere Bekanntheit erreichte er schließlich durch seine Moderationen mit Volker Wieprecht, zunächst beim Jugendsender "Fritz" und dann bei Radioeins. Die Sendung "Der schöne Morgen" verhalf dem Sender ab 1999 zum Durchbruch und wurde mehrfach ausgezeichnet. Seit 2011 ist Robert Skuppin Programmchef bei Radioeins.
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