MeToo und die Folgen : Das Ende des Schweigens
Die Journalistin Juliane Löffler recherchiert über sexualisierte Gewalt gegen Frauen und prangert den Machtmissbrauch von Männern an – gerade in der Medienwelt.
Teilnehmerinnen des „Women’s March“ 2020 in München demonstrieren für sexuelle Selbstbestimmung.
Was ist ein harmloser Flirt, was schon belästigend oder gar sexuell übergriffig? Wie kann ein Mann einer Frau signalisieren, dass sie ihm gefällt, ohne dass sein Verhalten gleich als "toxisch" angesehen wird? Die enorme Resonanz weltweit auf den Hashtag #MeToo hat viele Männer verunsichert, doch hinter dieser von Feministinnen ausgehenden Initiative steckt ein berechtigtes Anliegen. Viel zu lange wurden sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch bagatellisiert und verschwiegen. Die fast immer weiblichen Betroffenen brauchen enormen Mut, wenn sie sich gegen Männer in wichtigen Positionen zur Wehr setzen wollen und ihre Erfahrungen an die Öffentlichkeit bringen.
Frauen werden mit Bedrohungen und Gewaltfantasien konfrontiert
Die "Spiegel"-Redakteurin Juliane Löffler beschäftigt das Thema seit Jahren, vor allem ihre Recherchen zu den dem früheren Chefredakteur der "Bild"-Zeitung Julian Reichelt vorgeworfenen Übergriffen erhielten große Aufmerksamkeit. In ihrem Buch führt sie uns auf der Basis zahlreicher Interviews mit Betroffenen und Expertinnen hinter die Kulissen ihrer investigativen Arbeit. Denn nicht nur die Opfer sexueller Belästigungen, auch jene, die in den Medien darüber berichten oder sich im Internet an Aktionen beteiligen, müssen mit massivem Gegenwind rechnen. Sie werden zu Objekten hasserfüllter Shitstorms, sind mit Bedrohungen und männlichen Gewaltfantasien konfrontiert. Aus diesem Grund reduzierte zum Beispiel die Berliner Bloggerin Anne Wizorek, die schon 2013 den Hashtag #aufschrei gegen sexualisierte Gewalt in Deutschland gestartet hatte, zeitweilig ihre Präsenz im Netz.
Juliane Löffler:
Missbrauch, Macht und Gewalt.
Was #MeToo in Deutschland verändert hat.
DVA, München 2024;
272 Seiten, 23,00 Euro
Juliane Löffler beschreibt, wie MeToo seit 2017 zu einem globalen Massenprotest wurde, wie dieser den gesellschaftlichen Diskurs veränderte und für das Thema sensibilisierte. Die Autorin erinnert in diesem Zusammenhang auch daran, dass der Bundestag erst in den 1990er Jahren einem längst überfälligen Gesetz zugestimmt hatte, das die Vergewaltigung in der Ehe für strafbar erklärte - gegen den Widerstand vieler konservativer Abgeordneter überwiegend männlichen Geschlechts.
Ein Schlüssel liegt im kollektiven Austausch über das erlittene Unrecht
"Die Erfahrungsberichte hinter MeToo, teils komprimiert auf wenige persönliche Sätze auf Twitter, waren einfach zu verstehen", schreibt Löffler. Was Frauenrechtlerinnen seit langem bekannt war, "konnte nicht mehr übersehen werden", Betroffene erlangten ein neues Selbstbewusstsein: "Hatte es einen legitimen Grund, dass bestimmte Erinnerungen ein mulmiges oder auch schreckliches Bauchgefühl auslösten, und war es vielleicht notwendig, tief vergrabene Erinnerungen hervorzuholen, um sie neu zu bewerten?" Die Kernthese der Autorin: Indem "Menschen die Erfahrungen anderer wahrnehmen, erkennen sie selbst erlebten Missbrauch überhaupt erst". Im kollektiven Austausch über das erlittene Unrecht gelinge es im besten Fall, Schuld und Scham zu überwinden.
Als Journalistin kennt Löffler die Strukturen ihres eigenen Arbeitsfeldes besonders gut. Akribisch hat sie die sexualisierten Machtspiele von Julian Reichelt enthüllt, der als Folge ihrer Recherchen schließlich seinen Posten als Chefredakteur von Deutschlands größtem Boulevardblatt räumen musste.
Auch in anderen großen Medienhäusern war MeToo nun plötzlich ein viel diskutiertes Thema. Beim Westdeutschen Rundfunk in Köln zum Beispiel wurde öffentlich, was zuvor nur Insidern bekannt und tunlichst unter den Teppich gekehrt worden war: Der Leiter der Abteilung Fernsehspiel hatte sich gegenüber freien Filmemacherinnen, die auf seine Auftragsvergabe angewiesen waren, mehrfach übergriffig verhalten - ein klassischer Fall von Machtmissbrauch einer Führungskraft. Die WDR-Verwaltung reagierte und beauftragte 2018 die frühere Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies mit einer Untersuchung. Der Personalrat lud zu internen Veranstaltungen ein, ein Verhaltenskodex wurde definiert, um auf künftige Vorfälle dieser Art besser vorbereitet zu sein.
MeToo hat einen Dominoeffekt ausgelöst
Ohne MeToo wären die Berichte der im Sender Betroffenen vermutlich nie an die Öffentlichkeit gelangt. Auch schon vor der Kampagne hätten Frauen über sexualisierte Gewalt gesprochen oder geschrieben, resümiert Löffler, aber das System dahinter sei "lange im Verborgenen" geblieben. Nun würden "Strukturen sichtbar, Stück für Stück, Branche für Branche", es gebe einen Dominoeffekt. Denn Missbrauch, so die Autorin, existiere überall, "beruflich, privat und oftmals in den Graubereichen dazwischen" - vom Niedriglohnsektor bis in die "Chefetagen viele Stockwerke über der Stadt".
MeToo ist für Löffler mehr als ein Kampagnen-Schlagwort, es handele sich um eine Ermutigungsbewegung mit der Botschaft: "Ich höre, was du erzählst. Ich erkenne mich darin wieder. Auch mir ist so etwas widerfahren." Löffler plädiert dafür, den Begriff sehr weit zu fassen: “Auch wenn Männer ihre Frauen krankenhausreif prügeln, ist das MeToo. Auch Stalking ist MeToo oder wenn ein Mob sich im Internet organisiert, um Frauen des öffentlichen Lebens mundtot zu machen.”
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