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Ermächtigungsgesetz : Die Mär von der Legalität

Philipp Austermann schildert in "Ein Tag im März" das Ende der Weimarer Republik.

20.03.2023
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4 Min

Warum stimmt ein Parlament seiner eigenen Entmachtung zu? Diese Frage ist eine der Schlüsselfragen zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur. Und sie macht deutlich, wie maßgeblich die scheinbare Legalität des Ermächtigungsgesetzes für den Aufbau der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft war.

Der Brühler Staatsrechtler Philipp Austermann hat den 90. Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes zum Anlass genommen, um diesen Tag im März 1933 zu untersuchen. Entstanden ist ein eindringliches und wichtiges Buch. Austermann verbindet profunde staatsrechtliche Einordnungen und umfassendes Wissen um den parlamentarischen Betrieb mit einem griffigen, anschaulichen Schreibstil. So gelingt eine atmosphärisch dichte und packende Beschreibung.

Foto: picture-alliance/akg-images

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brennt der Reichstag in Berlin. Die Nationalsozialisten nutzen die Brandstiftung für die Errichtung ihrer totalitären Diktatur.

Bereits auf den ersten Seiten skizziert Austermann die wesentlichen Akteure und ihre Interessen im Umfeld der Machtübertragung an die NSDAP. Der 85-jährige Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Adolf, Hitler zum Reichskanzler ernannte und dem Kabinett trotz fehlender Mehrheit mit Notverordnungen das Regieren ermöglichte. Der ehemalige Zentrumspolitiker Franz von Papen, der als Reichskanzler gescheitert war und schon länger einen autoritären Umbau des Staates anstrebte. Die Nationalsozialisten, die mit Hitler, Hermann Göring und Wilhelm Frick zwar nur zu dritt im Kabinett waren, aber die neun anderen Kabinettsmitglieder rasch marginalisierten.

Staatsapparat wird für politischen Terror benutzt

Schon vor dem Ermächtigungsgesetz kam es zum zielstrebigen Aushebeln des Rechtsstaats. Grundrechte wurden eingeschränkt, der Staatsapparat für politischen Terror benutzt und der Föderalismus de facto abgeschafft. Doch es ging den Nationalsozialisten um die vollständige Überwindung der ihnen verhassten Weimarer Demokratie. Das Ermächtigungsgesetz sollte die faktische Abschaffung des Reichstags und damit der gewählten Volksvertretung leisten.

Austermann zeichnet die konkreten Schritte dahin nach und beschreibt das Abwägen in den Parteien und unter den Abgeordneten. Die Koalition von NSDAP und DNVP verfügte auch nach den Wahlen vom März 1933 nicht über eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit und war auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. Erstaunlich ist die vorgelegte parteipolitische Kategorienbildung. Austermann untersucht die "gemäßigten Parteien" und fasst unter diesem Sammelbegriff die Zentrumspartei, die Bayerische Volkspartei und Deutsche Staatspartei. Warum die SPD, die als einzige Partei bis zuletzt für die demokratischen Prinzipien der Weimarer Republik einstand, nicht in diese Kategorie fällt, bleibt offen. Ob sie als radikale Partei verstanden wird - das wäre die Entsprechung zu den gemäßigten Parteien - wird nicht klar. Dies überrascht, weil Austermann immer wieder die beeindruckende Rolle der Sozialdemokraten hervorhebt. Er beschreibt anschaulich den klaren Blick in der sozialdemokratischen Fraktion auf die Absichten der Nationalsozialisten und den persönlichen Mut der einzelnen Abgeordneten, denen unverhohlen mit dem Tod gedroht wurde.

Autor beleuchtet Motive der Abgeordneten - vor allem in der Zentrumspartei

Daher wird nur indirekt die Frage angedeutet, die im unmittelbaren Vergleich so wichtig ist: Wie konnte es sein, dass SPD und Zentrum zu einem entgegensetzten Abstimmungsverhalten kamen? Beide Parteien waren trotz verschiedener Herkunft, Programmatik und Milieubindungen maßgebliche Säulen der Demokratie. Sie waren in verschiedenen Konstellationen der "Weimarer Koalition" diejenigen, die den jeweiligen Regierungen zu einer parlamentarischen Grundlage verholfenen und die Republik gestützt haben.

Austermann untersucht differenziert die Motive der Abgeordneten vor allem in der Zentrumspartei: Der Versuch, den Gang der Dinge noch zu beeinflussen, die Angst vor der Gewalt der Nationalsozialisten, die Sorge um den Fortbestand des Zentrums und die Hoffnung, am "nationalen Aufbauwerk" teilzuhaben. Die Gegner des Ermächtigungsgesetzes im Zentrum - Austermann spricht von 20 Prozent - konnten trotz engagierter Reden der ehemaligen Reichskanzler Brüning und Wirth in den fraktionsinternen Beratungen nicht durchdringen.

Abschaffung der Weimarer Demokratie

In den Abendstunden des 23. März 1933 kam es zur Zustimmung von 444 Abgeordneten zum Ermächtigungsgesetz. Die Sozialdemokraten stimmten dagegen, die Abgeordneten der KPD waren bereits von der Sitzung ausgeschlossen, oft inhaftiert und zum Teil ermordet worden. Mit dieser Abstimmung war die Weimarer Demokratie endgültig abgeschafft.

Austermann weist nach, dass das Gesetz - aller beflissenen Interpretationsversuche NS-treuer Staatsrechtler zum Trotz - jeder legalen Grundlage entbehrte. Dennoch entfaltete die scheinbare Legalität eine "beruhigende Wirkung". Es wirkte nicht nur legal, sondern auch legitim. Das war wichtig nicht zuletzt für die Beamtenschaft, die den Staatsumbau zur Diktatur im Folgenden überwiegend loyal mittrug. Und langfristig schuf sie die Grundlage für die Nachkriegs-Rechtfertigung, man habe ja nur seine Pflicht getan.

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Austermann schlägt am Ende den Bogen in die Gegenwart. Er verweist darauf, wie leicht das Konzept einer Demokratie zu gefährden ist. Angesichts des Rückfalls auch etablierter Demokratien in autoritäre Muster, der aktuell in verschiedenen Teilen der Welt zu beobachten ist, könnte Austermanns mahnendes Buch nicht aktueller sein.

Philipp Austermann:
Ein Tag im März.
Das Ermächtigungsgesetz und der Untergang der Weimarer Republik.
Herder Verlag,
Freiburg 2023;
160 Seiten, 18,00 €