Reichstagsbrand : Van der Lubbe findet keine Ruhe
Uwe Soukup vermutet in "Die Brandstiftung: Mythos Reichstagsbrand", dass die SA ihre Finger im Spiel hatte.
Nun ist es sogar mit der Totenruhe vorbei: Am 25. Januar dieses Jahres wurde auf dem Leipziger Südfriedhof ein Leichnam mit abgetrenntem Kopf exhumiert, bei dem es sich um die sterblichen Überreste des im Januar 1934 hingerichteten Reichstagsbrandstifters Marinus van der Lubbe handeln soll. Dies enthüllte der Journalist und Publizist Uwe Soukup in seinem Buch über den Reichstagsbrand. In der Leipziger Uniklinik werden jetzt die erhaltenen Teile von van der Lubbes Gehirn obduziert, um herauszufinden, ob er während des Prozesses gegen ihn unter Drogen gesetzt wurde. Ließe sich das nachweisen, wäre dies ein Indiz dafür, dass er vielleicht doch Mittäter hatte und dazu gebracht werden sollte, im Prozess darüber zu schweigen.
Soukup lehnt die bis heute eher vorherrschende Alleintäter-These ab
Obwohl die politischen Folgen dieses Ereignisses - die von den Nazis ohnehin geplante Abschaffung des Rechtsstaates und der Demokratie in Deutschland - historisch sehr viel bedeutender sind, erhitzt der Streit um die Urheberschaft des Reichstagsbrands bis heute die Gemüter. Hat der Niederländer van der Lubbe das Gebäude am Abend des 27. Februar 1933 allein in Brand gesetzt oder hatte er Helfer? Soukup lehnt in seinem Buch "Die Brandstiftung" die bis heute eher vorherrschende Alleintäter-These vehement ab.
So sei es brandtechnisch unmöglich, "dass ein Einzelner den Reichstag, insbesondere den Plenarsaal in wenigen Minuten ohne jedes Hilfsmittel in ein flammendes Inferno verwandeln konnte". Am plausibelsten erscheint Soukup , dass van der Lubbe Mithelfer aus der damals noch mächtigen SA hatte, die nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einen knappen Monat zuvor darauf drängte, die "nationalsozialistische Revolution" weiter voranzutreiben. Hitler und die übrige NS-Führung hätten von diesem Plan aber nicht unbedingt wissen müssen.
Keine Beweise
Beweisen kann Soukup diese These, die vor wenigen Jahren bereits der New Yorker Historiker Benjamin Carter Hett aufgestellt hat, allerdings auch nicht. Generell ist Soukups Buch sehr stark von Hetts 2016 erschienener Arbeit "Der Reichstagsbrand. Wiederaufnahme eines Verfahrens" beeinflusst. So wie Hett schildert auch Sokoup mit Empörung, wie es dem niedersächsischen Verfassungsschutzbeamten und Reichstagsbrand-Forscher Fritz Tobias Ende der 1950er Jahre gelang, die Alleintäter-These auch durch eine große Serie im "Spiegel" zu propagieren. Um dafür auch die wissenschaftlichen Weihen des Instituts für Zeitgeschichte in München (IfZ) zu erhalten, schreckte Tobias nicht davor zurück, den damaligen IfZ-Direktor Helmut Krausnick mit dessen NSDAP-Mitgliedschaft von 1932 bis 1934 zu erpressen.
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Vor einigen Jahren schlug Soukup im Berliner "Tagesspiegel" sogar vor, zum Reichstagsbrand einen Untersuchungsausschuss des Bundestags einzusetzen. Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert war aber nicht überzeugt und reagierte in einem Interview im Deutschlandfunk spöttisch: Er halte es für "wenig zielführend", wenn der Bundestag "sich selbst an die Spitze eines Aufklärungsinteresses setzt, das er selber gar nicht leisten kann, um dann am Ende - was denn bitte schön? - über verschiedene vorgeschlagene Alternativen mit Mehrheit zu entscheiden".
Uwe Soukup:
Die Brandstiftung: Mythos Reichstagsbrand.
Was in der Nacht geschah, als die Demokratie unterging.
Heyne Verlag,
München 2023;
208 Seiten, 22,00 €