Buchrezension : Die neuen Nationalisten
Patrick Bahners und Fedor Ruhose analysieren die Partei am rechten Rand - die AfD.
"AfD auf dem Vormarsch" oder "AfD im Höhenflug". Das Medienecho der vergangenen Wochen über die Zuwächse der "Alternative für Deutschland" in den Meinungsumfragen kommt alarmistisch daher. Die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei, die inzwischen zehn Jahre alt und in den Parlamenten der Republik vertreten ist, erreicht bei aktuellen Umfragen zwischen 17 und 19 Prozentpunkten. Aufgeregt fragt die Tagespresse: "Verändert der AfD-Ruck unser Land?"
Seit 2017 ist die AfD im Bundestag vertreten. Zwei aktuelle Bücher setzen sich mit der Partei auseinander.
Nach der ersten Welle von Publikationen über die Entstehungsgeschichte der AfD und ihre ersten Schritte in der Bundespolitik hat Patrick Bahners ein exzellentes Überblickswerk über die Geschichte der Partei vorgelegt. Der meinungsstarke Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" kritisierte bereits 2011 in seinem Buch "Die Panikmacher" die rechtspopulistische Stimmungsmache gegenüber Muslimen und Menschen mit Migrationshintergrund. Rückblickend erweist sich seine kluge Streitschrift gegen die Ablehnung des Fremden als hellsichtig. Frühzeitig identifizierte er jene Themen, die dem Aufstieg des Rechtspopulismus und Nationalismus den Boden bereiteten.
Nüchtern stellt Bahners fest, dass der Nationalismus wieder eine politische Kraft in Deutschland sei. Geht von ihm aber auch eine reale Gefahr aus, die Republik zu verändern? Richtig sei, dass die AfD die Wiederbelebung eines angeblich "normalen Nationalbewusstseins" propagiere. Bedeutet dies aber auch die Wiederkehr eines neuen Nationalsozialismus, "nachdem es in den sieben Jahrzehnten nach 1945 x-fach falschen Alarm gegeben" habe? Seinen Lesern gibt Bahners detaillierte Antworten auf direkte Fragen: Wie kann die Wiedergeburt des vermeintlich zu Grabe getragenen deutschen Nationalismus erklärt werden? Ist er aus dem Nichts gekommen oder trügt der Schein? Bahners will den neuen Nationalismus "als ein Phänomen der Oberfläche" verstanden wissen, "als Erscheinung der politischen Öffentlichkeit". Entsprechend analysiert der Autor die AfD am Beispiel ausgewählter Zitate und Selbstbeschreibungen, mit denen sie sich in den demokratischen Diskurs einbringt.
Systemkritik ist Teil des Systems
Laut Bahners ist die Demokratie eine kollektive Selbstbestimmung durch die regelmäßig wiederkehrende Wahl der Volksvertreter. Wie gefährdet das System jedoch in Wirklichkeit ist, belegt er im zentralen Kapitel seines Buches: Es geht um die Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) von Gnaden der AfD. Antrieb des neuen Nationalismus, der in der AfD parlamentarische Gestalt angenommen habe, sei ein radikaler Zweifel an der in Deutschland gegebenen Form demokratischer politischer Herrschaft. "Die Systemkritik ist Teil des Systems geworden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gehört zum parlamentarischen Spektrum eine revolutionäre Partei, die es auf den Umsturz der bestehenden Ordnung abgesehen hat" - so wie KPD und NSDAP in der Weimarer Republik.
Patrick Bahners:
Die Wiederkehr.
Die AfD und der neue deutsche Nationalismus.
Klett-Cotta,
Stuttgart 2023;
544 Seiten, 28,00 €
Gleichwohl reagiert der FAZ-Journalist gelassen auf Alexander Gaulands Ankündigung im Bundestag, die AfD werde die Bundesregierung "jagen". Mit dieser scharfen Formulierung habe der damalige AfD-Fraktionsvorsitzende Gauland lediglich die Aufgaben der parlamentarischen Opposition beschrieben. "Ohne Übertreibung und Zuspitzung kein Antagonismus und also kein Parlamentarismus". Die durchgehende Behauptung hingegen, dass "der Gegner auf der Regierungsbank unehrlich agiert", sei "nicht nur ein Bruch mit dem parlamentarischen Komment". Das nationalistische Vokabular diene dazu, den Staat als nicht legitimiertes Okkupationsregime hinzustellen. "Die Führungsriege der AfD ist ein Bund von Fanatikern und Opportunisten", unterstreicht der Autor und erweist sich damit seinerseits als Meister klarer Worte. Von Interesse sind nicht nur die "Fallstudien" Bahners zu den zahlreichen Facetten der AfD, darunter die bewusst gepflegten Feindbilder, die Verschwörungstheorien oder das Verständnis für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Bahners scheut sich auch nicht, bürgerliche Ideengeber für die Rechtsparteien aus dem bürgerlichen Lager zu benennen. Insbesondere Thilo Sarrazin und der "Facebook-Tribun" Boris Palmer hätten mit ihrer vordergründig faktengestützten Rhetorik den neuen Nationalismus befördert.
Studie zur parlamentarischen Arbeit der AfD
Den Lesern, die sich für eine wissenschaftliche Analyse der Tätigkeit der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag in den Jahren 2017 bis 2021 interessieren, sei die Dissertation von Fedor Ruhose empfohlen. Der Autor ist hauptberuflich Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung in Rheinland-Pfalz und arbeitete bis 2021 als Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Mainzer Landtag. Ruhose untersucht die Arbeit der "rechtspopulistischen Opposition" anhand von Dokumenten und Reden. Dabei erklärt er umfassend die Strategien der AfD-Fraktion, die sich als "Stimme des Volkes" und der "Demokratie-Fraktion" stilisiere. Auch wenn seine Analysen durch seine politische Arbeit als befangen gelten könnten, ist Ruhoses Studie in ihrer Detailliertheit sehr informativ.
Fedor Ruhose:
Rechtspopulismus in der Opposition.
Die AfD-Fraktion im Bundestag 2017-2021.
Campus,
Frankfurt/Main 2023;
406 Seiten, 39,00 €