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Rezension : Die vereinnahmte Schöne

Der Historiker Sebastian Conrad erzählt die Geschichte der neuzeitlichen Karriere der ägyptischen Königin Nofretete zu einer globalen Ikone.

23.02.2024
2024-02-23T16:56:42.3600Z
4 Min

Vor 100 Jahren erblickte erstmals eine breite Öffentlichkeit ihr Antlitz. Und die Besucher der Ausstellung auf der Berliner Museumsinsel waren begeistert: Ein "Weib von großer Schönheit" sei sie, "mit großen und langen Augen, einem stolze Munde und dem Hals einer Gazelle". Kurzum, sie sei eine "göttlich schöne Frau". Auch heute ist "schön" das wohl meistgebrauchte Attribut, wenn sich die Besucher im Nordkuppelsaal des Neuen Museums der 50 Zentimeter hohen Büste der Nofretete ehrfürchtig nähern. Wie könnte es auch anders sein? Schließlich bedeutet der Name der ägyptischen Königin, die vor rund 3.000 Jahren an der Seite ihres Mannes Echnaton am Nil regierte, ins Deutsche übersetzt: "Die Schöne ist gekommen". Und schön ist sie.

Foto: picture alliance/dpa/Christophe Gateau

Erhaben und schön: Die Büste der Nofretete im Nordkuppelsaal des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel.

Zwölf Jahre vor ihrer ersten öffentlichen Ausstellung im Jahr 1924 war die Kalksteinbüste der Nofretete während der Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft unter Leitung des Ägyptologen Ludwig Borchardt in Tell el-Amarna rund 300 Kilometer südlich von Kairo entdeckt worden. "Beschreiben nützt nichts, ansehen", notierte Borchardt begeistert in seinem Grabungstagebuch.

100 Jahre nach ihrer ersten Ausstellung hat der Historiker Sebastian Conrad nun die Karriere der Nofretete-Büste zur "global zirkulierenden Ikone par exellence" in seinem wärmstens zur Lektüre empfohlenen Buch "Die Königin" nachgezeichnet. Wäre es jedoch nach Ludwig Borchardt gegangen, dann wäre der antiken Schönheit diese neuzeitliche Weltkarriere verwehrt geblieben. Als die Funde seiner Amarna-Grabung bereits 1913 erstmals in Berlin ausgestellt werden, fehlt die Büste. Borchardt fürchtet, dass Ägypten die Büste gerade wegen ihrer Schönheit und trotz der vereinbarten Fundteilung mit der ägyptischen Antikenverwaltung zurückfordern könnte. Und genau dies sollte nach ihrer Ausstellung 1924 dann erstmals auch geschehen.

Emotional aufgeladene Debatte über die Rückgabe von Kulturgütern

Schon der Direktor des Ägyptischen Museums, Heinrich Schäfer, hatte nach Ende des Ersten Weltkriegs geunkt, "die Verheimlichung der Büste" durch Borchardt wecke "überall den Verdacht, dass es bei der Erwerbung nicht mit rechten Dingen zugegangen sei." Es ist Sebastian Conrad hoch anzurechnen, dass er in der moralisch und emotional aufgeladenen Debatte über die Rückgabe von Kulturgütern, die im Zeitalter des Kolonialismus in europäischen Museen und Sammlungen auf unterschiedlichste Weise gelangten, eine differenzierte Sicht beibehält. Conrad lässt zwar keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Erwerb der Nofretete schon deshalb kritisch zu hinterfragen sei, weil Ägypten zu diesem Zeitpunkt faktisch unter der Kontrolle Großbritanniens stand - auch wenn es formal Teil des Osmanischen Reiches war - und die ägyptische Antikenverwaltung in französischer Hand war. Umgekehrt zeigt Conrad auf, wie sich etwa das aktuelle autokratische Regime von Abd al-Fattah as-Sisi in Ägypten all zu gerne im Glanz der alten Pharaonen zu inszenieren versucht, um die eigene Herrschaft zu legitimieren.


„Nofretete stand für Femininität und Schönheit, aber eben auch für weibliche Selbstbehauptung, Autonomie und Macht.“
Sebastian Conrad, Historiker und Autor

Überhaupt ist die Geschichte der Büste der Nofretete eine Geschichte der Vereinnahmung für unterschiedlichste ideologische, politische, ökonomische oder gesellschaftliche Zwecke und Ziele. Schon sehr früh beginnt etwa die Kosmetikindustrie Schönheitsprodukte aller Art mit dem Konterfei oder dem Namen Nofretetes an die Frau zu bringen. Im US-Bundesstaat Nebraska gründete sich in den 1930er Jahren gar der "Nofretete Club", der sich unter Verweis auf das fehlende linke Auge der Büste an Frauen richtet, die sehbehindert oder blind waren. Nofretete sei es gelungen, "ihr Handicap in eine Attraktion zu verwandeln und das Herz eines jeden Mannes zu erobern", lautete die Losung des Clubs.

Umgekehrt entdeckten in den 1920er Jahren aber auch Feministinnen Nofretete für sich als Vorbild, die am Hof von Echnaton eine machtvolle Rolle gespielt und nach dessen Tod möglicherweise selbst die Rolle der Herrscherin eingenommen hatte. "Sie stand also für Femininität und Schönheit, aber eben auch für weibliche Selbstbehauptung, Autonomie und Macht", schreibt Conrad.

Rihanna ließ sich Nofretete auf den Oberkörper tätowieren

Als Aushängeschild weiblicher Selbstbehauptung hat Nofretete auch längst unter afroamerikanischer Frauen Karriere gemacht. So präsentierte sich etwa die amerikanische Sängerin Beyoncé im April 2018 beim Coachella Valley Music and Arts Festival in Kalifornien im Stil der Nofretete und evozierte damit das Bild einer mit großer Machtfülle ausgestatteten afrikanischen Frau, zugleich ein Symbol von "Black is beautiful". Beyoncés Kollegin Rihanna ließ sich die Nofretete gar auf den Oberkörper tätowieren. Durch all diese modernen Sichtweisen, Projektionen und Vereinnahmungen habe sich die ikonische Büste von der historischen Nofretete völlig abgelöst in den vergangenen 100 Jahren.

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Nach Abschluss der Lektüre von Sebastian Conrads exzellenten Buch bleibt nichts anderes zu tun, als der sowohl schönen als auch wirkmächtigen Königin selbst einen Besuch auf der Berliner Museumsinsel abzustatten. Denn an einem Punkt hat Ludwig Borchardt in jedem Fall die Wahrheit kundgetan: "Beschreiben nützt nichts, ansehen."

Sebastian Conrad:
Die Königin.
Nofretetes globale Karriere.
Propyläen,
Berlin 2024;
384 S., 29,00 €