75 Jahre Frankfurter Buchmesse : Die Welt der Büchermenschen
Seit den bescheidenen Anfängen in der Paulskirche 1949 hat sich die Frankfurter Buchmesse zu einem Mega-Event entwickelt. Inzwischen kommen hunderttausende Besucher.
Es ist eine Messe der Superlative: Mehr als 7.400 Verlage und andere Aussteller aus 104 Ländern der Welt präsentieren vom 16. bis 20. Oktober 2019 sich und ihre Romane, Sachbücher, Comics, Lyrikbände, Zeitschriften und Zeitungen, E-Books oder Hörbücher auf den rund 172.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche des Frankfurter Messegeländes. Mehr als 300.000 Besucher, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr, zieht das Spektakel mit seinen etwa 4.000 Lesungen, Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen an. Höhepunkte bilden auch in diesem Jahr die Verleihungen des Deutsche Buchpreises, des Deutschen Jugendliteraturpreises und zum Abschluss der Messe vor allem der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Mehr als 144.000 Fachbesucher - Verleger, Buchhändler, Literaturagenten, Schriftsteller, Bibliothekare, Wissenschaftler, Illustratoren, Übersetzer, Drucker, Verbände oder Antiquare - kommen, um Geschäfte zu tätigen, Kontakte zu knüpfen, sich zu informieren, rund 10.000 akkreditierte Journalisten berichten, bloggen oder streamen von der Bücherschau. In den Messehallen kommt es angesichts des Besucherandrangs immer wieder zu Staus in den Gängen zwischen den Ständen der Aussteller. Es lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Main-Metropole ist Gastgeber der größten Buchmesse der Welt - und dies nicht erst seit 2019.
In den vergangenen 75 Jahren hat sich die Frankfurter Buchmesse zum jährlichen Treffpunkt der Freunde des gedruckten und inzwischen auch digitalisierten Wortes entwickelt. Aber nicht alle Büchermenschen teilen die Begeisterung. Der vor zehn Jahren in Frankfurt verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki urteilte einst in der ihm eigenen bissigen Art: "Ich gehe sehr ungern zur Buchmesse nach Frankfurt. Der Anblick der Hallen allein, mit 100.000 Büchern - ein abstoßender Anblick." Der Trubel störe ihn seit 20 Jahren, bekannte er im Jahr 2000, er würde nie dort hingehen, "wenn man mich nicht zwingen würde". Dabei gehört das Schaulaufen der prominenten Vertreter aus der Literaturszene für viele Besucher zu den Highlights.
Virtuelle Messe in den Corona-Jahre
Vielleicht hätte der verehrte und gefürchtete Übervater der deutschen Literaturkritik seinen Verriss des Mega-Events doch ein Stück weit bedauert, wenn er noch die Gelegenheit gehabt hätte, in den verwaisten Messehallen im Herbst 2020. zu wandeln. Das Corona-Virus hat die Welt in den Lockdown geschickt und die Frankfurter Buchmesse verlegte sich so wie alle Großveranstaltungen weitestgehend in die digitale Welt.
Im Stadtgebiet fanden zwar Lesungen im Rahmen eines "Bookfest City" statt, doch ansonsten spielte sich die Buchmesse - auch der Handel - vor allem in der virtuellen Welt ab. Kulturstaatsminister Monika Grütters (CDU) schoss Fördergelder in Höhe von vier Millionen Euro aus dem "Neustart Kultur"-Programm für kostenfreie digitale Streaming-Angebote während der Messe zu. Immerhin rund 200.000 Menschen nutzen die digitalen Angebote.
Erst zwei Jahre später konnte die 74. Buchmesse wieder als Präsenzveranstaltung ihre Tore öffnen. Vom Niveau der Vor-Corona-Jahre war man aber 2022 mit 4.000 Ausstellern und rund 180.000 Besuchern noch deutlich entfernt.
Neustart in Frankfurt statt in Leipzig
Einen Neustart ganz anderer Art musste 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg und den Menschheitsverbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands mit der ersten Buchmesse in Frankfurt absolviert werden, die auf eine Initiative des Hessischen Verleger- und Buchhändlerverbandes zurückgeht und auch die Unterstützung der amerikanischen Besatzungsmacht fand. Die Verleger und Buchhändler am Main wollten an die Traditionen Frankfurts als internationale Messestadt anknüpfen und diese wiederbeleben.
Vor dem Zweiten Weltkrieg lag das wichtigste Zentrum des deutschen Buchhandels allerdings in Leipzig, das Frankfurt im 17. Jahrhundert zunehmend den Rang als Buchmesse-Stadt ablaufen konnte. Doch Leipzig lag nun in der Sowjetischen Besatzungszone, aus der am 7. Oktober 1949 analog zur am 23. Mai gegründeten Bundesrepublik die DDR entstand.
Ein Besucher bei der ersten Frankfurter Buchmesse 1949
Am 18. September war es schließlich soweit: 205 deutsche Verlage präsentierten sich bis zum 23. September in der geschichtsträchtigen Paulskirche zur ersten Frankfurter Messe der Nachkriegszeit, die etwa 14.000 Besucher anlockte. Für die Verleger wird die Messe zum Erfolg: Aufträge in Höhe von schätzungsweise 2,6 Millionen D-Mark können in Frankfurt abgeschlossen werden. Das "Börsenblatt" vermeldet den "Auftakt zu einer neuen Phase des deutschen Buchhandels".
Positiv wirkte sich zudem aus, dass zeitlich überschneidend zur Buchmesse in der Paulskirche eine Ausstellung französischer Verlage in den Römerhallen stattfand und erste internationale Kontakte ermöglichte, was sich bereits im kommenden Jahr auszahlen soll.
Schon im zweiten Jahr Europas Spitzenreiter
Der Erfolg der ersten Frankfurter Buchmesse veranlasste schließlich auch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Oktober 1949, die Messe organisatorisch zu übernehmen. Im Jahr darauf stieg die Nachfrage nach Ausstellungsfläche vor allem von Verlagen aus dem Ausland bereits dermaßen stark an, dass die Messeleitung die Römerhallen anmietete. Deren Instandsetzung war zu Beginn der zweiten Messe jedoch noch nicht abgeschlossen. Sie waren noch unverputzt, es fehlten die Fensterverglasung und sogar das Dach. Der Witz von den "Rheuma-Hallen" machte die Runde. Am Ende kamen von den insgesamt 460 teilnehmenden Verlagen 100 aus dem Ausland, 44 aus der Schweiz, 30 aus Frankreich, 20 aus Österreich, zwei aus Großbritannien, je ein Verlag aus den Niederlanden und Schweden. Selbst aus den USA hatten zwei Verlage den Weg über den Atlantik nach Frankfurt gefunden.
Trotz aller Widrigkeiten bemühte "Die Zeit" in ihrer Berichterstattung zum Abschluss der zweiten Messe bereits einen ersten Superlativ: "Was Größe der Ausstellung und Zahl der Verleger und den internationalen Charakter betrifft, hat die Frankfurter Buchmesse in Europa keine Parallele." Und drei Jahre später fasste der britische Verleger Sir Stanley Unwin die sich abzeichnende Erfolgstory in seiner Eröffnungsrede zur fünften Buchmesse in einem Satz zusammen: "Ein Frankfurter Phönix ist aufgestiegen aus der Leipziger Asche." Mit seiner Bemerkung spielte er darauf an, dass das Buchhändlerviertel in Leipzig während eines verheerenden Bombenangriffs in der Nacht des 4. Dezember 1943 zerstört worden war.
Gastländer gestalten Rahmenprogramm
Zur Internationalisierung und großen Beliebtheit der Frankfurter Buchmesse trugen zweifelsohne auch die Gastländer beziehungsweise Gastregionen bei, die sich dort seit 1988 - den Anfang macht Italien - präsentieren können. Die Länder und Regionen gestalten als sogenannte Ehrengäste einen eignenen Pavillon auf dem Messegelände, in dem sie mit einem Rahmenprogramm ihre Geschichte, Kultur und Literatur dem Publikum näher bringen.
Im Jahr 1993 zogen die Verantwortlichen der Messe dann die Konsequenz aus der sich anbahnenden digitalen Revolution und öffneten die 45. Frankfurter Buchmesse den elektronischen Medien. In einer eigenen Halle präsentieren 160 Aussteller aus 14 Ländern Disketten, CDs und alles rund um das Thema Electronic Publishing. Ohne Murren und Diskussionen ging das nicht ab: Noch war die Skepsis groß gegenüber den neuen Medien und einmal mehr wurde in der rund 500-jährigen Geschichte des Buches auch sein Ende prophezeit. Dabei ist die Geschichte Frankfurts als Buchmesse-Stadt eng verknüpft mit der ersten großen Revolution in der Geschichte des gedruckten beziehungsweise geschriebenen Wortes. Bereits im 11. Jahrhundert wurden in Frankfurt Handschriften verkauft - zumindest an eine kleine reiche Oberschicht, die des Lesens und der lateinischen Sprache mächtig war. Der Transport der wertvollen und gerollten Handschriften erfolgte noch in wasserdichten Fässern.
Gutenbergs Bibel
Rund 32 Kilometer Luftlinie entfernt von Frankfurt in Mainz gelang um das Jahr 1450 schließlich einem gewissen Johannes Gensfleisch, genannt Gutenberg, die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern. Das mühselige Kopieren hatte ein Ende, Gutenbergs Buchdruck, den das Magazin "Time-Life" 1997 zur bedeutendsten Erfindung des zweiten Jahrtausends wählte, löste eine Medienrevolution aus. Das erste Buch, das Gutenberg, in die Druckpresse schob, war die Bibel, deren Siegeszug zum meistgedruckten Buch der Welt somit begann. Die ersten Probebögen stellte Gutenberg auf dem Reichstag in Frankfurt im Oktober 1454 vor, wo sie Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., unter die Augen kamen. Später berichtete er von einem "bewunderswerten Mann", der Blätter einer Bibel vorgestellt habe, die in "höchst sauberer und korrekter Schrift ausgeführt" waren so dass man sie "ohne Brille" lesen konnte. Ein erster früher Frankfurter Superlativ.