Taiwan und die Volksrepublik China : Ein Hindernis auf dem Weg zum Hegemon
Der Sinologe Stephan Thome analysiert den brandgefährlichen Konflikt um Taiwan. Ein Krieg hätte gravierendere ökonomische Folgen.
Die Gewinner der Abstimmung johlten und jubelten - während die Vertreter der "Republik China", wie Taiwan bis heute offiziell heißt, gedemütigt den Saal verließen. Der 25. Oktober 1971 war ein Schicksalstag für die Insel vor der Ostküste Chinas. Denn an diesem Tag beschloss die UN-Vollversammlung mit 76 Ja-Stimmen bei 35 Gegenstimmen und 17 Enthaltungen, anstelle Taiwans die Volksrepublik China in die Vereinten Nationen aufzunehmen und ihr auch den Sitz im Sicherheitsrat zu übertragen.
Als Schutzmacht der Insel hatten die USA noch versucht, eine Mehrheit für den Verbleib Taiwans in der Uno zu organisieren. Dass sich aber auch die Regierung in Washington schon umorientiert hatte, wurde nicht zuletzt daran deutlich, dass sich just am Tag der Abstimmung US-Sicherheitsberater Henry Kissinger in Peking aufhielt, um den historischen China-Besuch von Präsident Richard Nixon im Jahr darauf vorzubereiten. Nicht mehr Taiwan, wohin sich 1949 General Chiang Kai-shek nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen Mao Zedongs Truppen mit seinen Anhängern geflüchtet hatte, sondern der kommunistischen Volksrepublik galt fortan das Hauptinteresse der US-Regierung.
Taiwan ist der weltweit größte Produzent von Halbleitern
"Mit der Entscheidung von New York begann Taiwans Weg in die diplomatische Isolation, die es dem Land heute so schwer macht, sich der chinesischen Bedrohung zu erwehren", schreibt Stephan Thome in seinem neuen und sehr lesenswerten Buch "Schmales Gewässer, gefährliche Strömung" über den weltpolitisch so gefährlichen Konflikt um das Eiland etwa von der Größe Baden-Württembergs. Ein Krieg um Taiwan hätte aller Voraussicht nach sehr viel gravierendere ökonomische Folgen als der Ukraine-Krieg, denn "für die Weltwirtschaft sind taiwanesische Chips deutlich wichtiger als ukrainisches Getreide", wie Thome schreibt. In Taiwan sitzt schließlich mit der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company das weltweit größte Unternehmen für die Produktion von Halbleitern, die für unzählige elektronische Produkte benötigt werden.
Der promovierte Sinologe Thome, der seit vielen Jahren in Taiwan lebt und auch schon erfolgreiche Romane geschrieben hat, macht in seinem Buch auf sehr überzeugende Weise deutlich, wie sich im Konflikt um die Insel historische, politische, wirtschaftliche und strategische Aspekte auf brisante Weise vermischen. Für die chinesische Führung, die sich noch immer kommunistisch nennt, ist der Anspruch auf Taiwan unverhandelbar, was schon Nixon und Kissinger bei ihren Annäherungsversuchen an Peking erfahren mussten. 1979 erklärte sich schließlich Jimmy Carter bereit, die diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abzubrechen und die ohnehin schon stark reduzierten US-Truppen von der Insel ganz abzuziehen - selbst Waffenlieferungen an die Regierung in Taipeh wurden deutlich eingeschränkt.
Stephan Thome:
Schmales Gewässer, gefährliche Strömung.
Über den Konflikt in der Taiwanstraße.
Suhrkamp,
Berlin 2024;
366 Seiten, 25,00 Euro
Dass der sich der Konflikt um Taiwan wieder verschärft hat, erklärt Thome mit einer Mischung aus "machohafter Aggressivität und extremer Dünnhäutigkeit", mit der China mittlerweile agiere. "Unterdrückt und verdrängt, aber weiterhin wirksam" sei in der chinesischen Führung die Angst vor dem Zerfall des Riesenreichs, weshalb sie auch so brutal gegen jede Unabhängigkeitsbewegung in Tibet, der Uiguren-Region Xinjiang oder Hongkong vorgehe. Diese unterschwellige Angst befeuere "die nationalistische Gier", sich die "abtrünnige Provinz" vor der eigenen Küste endlich einzuverleiben.
Thome erkennt aber auch ein zentrales strategisches Interesse Chinas: Es könne sein Ziel, zum "Hegemon im Indopazifik" aufzusteigen, nur erreichen, wenn es die sogenannte Erste Inselkette von US-Verbündeten und -Partnern durchbricht, die von Japan über Taiwan und die Philippinen bis nach Indonesien reicht und das Reich der Mitte wie ein Sperrriegel von den Weiten des Pazifik trennt.
Die Zeit arbeitet gegen Peking in der Taiwan-Frage
Hinzu kommt, dass sich Taiwan nach der brutalen Diktatur Chiang Kai-sheks seit den 1980er Jahren tiefgreifend demokratisiert hat. Während die jahrzehntelang mit Kriegsrecht herrschende Kuomintang-Partei noch die Fiktion einer Rückeroberung des Festlands aufrechterhielt, bekennt sich die seit einigen Jahren regierende Demokratische Fortschrittspartei klar zu einer taiwanesischen Identität, was auch die Mehrheit der Bevölkerung teilt - die Zeit arbeitet in der Taiwan-Frage also nicht für, sondern gegen die Führung in Peking.
Thome wagt keine Prognose, ob China eine militärische Invasion der Insel in den nächsten Jahren wagen wird, die erhebliche Risiken mit sich brächte. Er gibt Deutschland und der EU aber drei Ratschläge zum Umgang mit dem Konflikt: Zurückweisung des chinesischen Narrativs, dass Taiwan seit jeher zu China gehört habe, maximale Unterstützung der Insel jenseits einer diplomatischen Anerkennung wie etwa Städtepartnerschaften und Einbindung in internationale Veranstaltungen sowie drittens der Verzicht auf unnötige Provokationen Chinas.
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