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Tom Krebs' "Fehldiagnose" : Ein Ökonom auf Kurs von DGB und SPD

Der Volkswirt Tom Krebs attackiert seine Zunft als "marktradikal" und fordert einen festen Strompreis bis 2035, um Verbraucher und Unternehmer zu entlasten.

17.10.2024
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4 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Soeren Stache

Für einen Brückenstrompreis: Der Volkswirt Tom Krebs teilt die Forderung der Gewerkschaften, um Industriearbeitsplätze zu schützen.

Da will jemand provozieren, und zwar die eigene Zunft: "Fehldiagnose. Wie Ökonomen die Wirtschaft ruinieren und die Gesellschaft spalten", lautet der angriffslustige Titel des Rundumschlags von Tom Krebs, Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim, einer der führenden volkswirtschaftlichen Fakultäten des Landes.

Für höhere Mindestlöhne und eine Vermögenssteuer

Krebs, der unter anderem auch Mitglied der Mindestlohnkommission ist, attackiert in seinem Buch die "marktliberalen Ökonomen" und vertritt eine Reihe von Außenseiterpositionen innerhalb der Ökonomen-Zunft, etwa die mit seinen Forderungen nach höheren Mindestlöhnen und einer Vermögenssteuer, klassischen SPD-Positionen. 

Auch im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) werden Krebs Positionen für Freude sorgen. Doch dazu kommt seine Fundamentalkritik: Ökonomen, die nicht seiner Meinung sind, leben eben in einer modelltheoretischen "Märchenwelt". So streift das Buch am Rande zum Pamphlet, wo eine sachliche Analyse guttäte.

Reallöhne liegen zehn Prozent unter ihrem Vorkrisentrend

Das ist äußerst schade, zumal Krebs auf zentrale Punkte hinweist, die in der wirtschaftspolitischen Debatte des Landes tatsächlich größerer Aufmerksamkeit bedürften. Das gilt allen voran für seine Analyse der Folgen des russischen Exportstopps von Gas sowie der EU-Embargos gegen Kohle und Öl aus Putins Reich. Krebs schreibt: "Die aktuelle Lage in Deutschland ist schlecht. Die Energiekrise hat die Wirtschaft schwer getroffen, die Reallöhne liegen zehn Prozent unter ihrem Vorkrisentrend, und die Bevölkerung ist zu Recht verunsichert." 


„Wirtschaftliche Verunsicherung stärkt die politischen Ränder, und davon hat in Deutschland besonders die AfD profitiert.“
Ökonom Tom Krebs

Damit verkennt die Politik Krebs zufolge eine erhebliche Ursache des Erstarkens der in Teilen als gesichert rechtsextremistisch geltenden AfD: "Wirtschaftliche Verunsicherung stärkt die politischen Ränder, und davon hat in Deutschland besonders die AfD profitiert." Man möchte ergänzen: Die Migration ist nicht das einzige Problem, vielleicht nicht mal das größte.

Selten zu beobachten: Volkswirt fordert Preisbremsen

Zur Lösung des Energiepreisproblems schlägt Krebs einen Brückenstrompreis bis zum Jahr 2035 vor. Die Politik soll Unternehmen und Verbraucher vor hohen Strompreisen schützen, feste Preise garantieren und den Transformationsprozess in Richtung Klimaneutralität erleichtern. Das ist eine weitere Minderheitenposition in der Wirtschaftswissenschaft, die bei staatlichen Eingriffen in den Preismechanismus äußerst skeptisch ist.

Über die Medizin lässt sich streiten, aber die Diagnose, dass Wirtschaft und Verbraucher noch immer unter den Folgen der Energiekrise leiden, und Deutschland nicht plötzlich über Nacht ein struktureller Notfallpatient wurde, ist durchaus beachtenswert, wenngleich man auch die Klagen von Unternehmen über Bürokratie und hohe Arbeitskosten wohl nicht ignorieren sollte, um die aktuelle Wirtschaftskrise zu beschreiben.

Kanzler Scholz und die Wirtschaftswissenschaftler

Für Krebs ist die Energiekrise indes das Hauptproblem, das viele Ökonomen nicht sehen. Er erinnert an einen Fernsehauftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im März 2022, in dem dieser sich abschätzig über einige Ökonomen äußerte, die in einer Studie zu dem Schluss kamen, dass der wirtschaftliche Schaden für Deutschland verkraftbar wäre, wenn es zu einem unmittelbaren Gaslieferstopp käme. Gegen die Schmähung des Kanzlers wehrten sich die Wissenschaftler mit lautstarken Protesten vor allem in den Sozialen Medien.


Tom Krebs:
Fehldiagnose.
Wie (marktliberale) Ökonomen die Wirtschaft ruinieren und die Gesellschaft spalten.
Westend,
Neu-Isenburg 2024;
240 S., 25,00 €


Für Krebs hatte Scholz mit seiner Schelte dagegen völlig recht. Von der Studie hält er wenig. Frappierend ist, dass Krebs mit seiner Kritik letztlich vor allem den Ökonomen Rüdiger Bachmann trifft, wenngleich er ihn namentlich nur in einer Fußnote nennt. Bachmann hat sich öffentlich besonders laut über die Aussagen des Kanzlers echauffiert. Doch gerade Bachmann teilt einige von Krebs Forderungen. So findet Krebs in ihm einen Mitstreiter gegen das starre Festhalten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes, um mehr staatliche Investitionen in die Infrastruktur und in Bildung zu ermöglichen. Das gilt auch für den Ruf nach höheren Erbschaftssteuern.

Technischer Kniff und 44 Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt  

Gemeinsamkeiten mit Ökonomen anderer Denkschulen kann Krebs sogar bei einer seiner Kernforderungen finden, der er ein eigenes Kapitel widmet, der "Neuberechnung der Konjunkturkomponente" der Schuldenbremse. Was technisch klingt, hat es in sich. Auf diesem Weg kann es Krebs zufolge ohne Grundgesetzänderung "einen zusätzlichen finanziellen Spielraum von 44 Milliarden Euro" für den Bundeshaushalt geben. Krebs ignoriert, dass auch Volkswirte, die er als "Marktfundamentalisten" geißelt, darüber diskutieren. So hat der Ökonom Lars Feld, Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), im Februar im Monatsbericht des Ministeriums erklärt, dass "als Reformoption die Revision der Konjunkturkomponente" bleibe. Eine Verbesserung der Konjunkturbereinigung gemäß den methodischen Fortschritten in der Wissenschaft könne sinnvoll sein.

Krebs geriert sich als einsamer Kämpfer gegen die marktradikale Mainstream-Ökonomik. Das ist aber ein verzerrendes Bild. Wer sich das klar macht, findet in seinem Buch durchaus erhellendes. Seine radikal-reißerische Kollegen-Schelte ist indes unnötig daneben. 

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