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Jüdische Kinder aus Wien winken bei ihrer Ankunft mit dem Passagierschiff "S.S. Präsident Harding" am 3. Juni 1939 in New York der Freiheitsstatue zu.

Emigration und Exil : Ein unglückliches, verrutschtes Leben

Die Historiker Wolfgang Benz hat mit "Exil" eine umfassende Gesamtdarstellung der Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland verfasst.

08.04.2025
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3 Min

Die Porträtierung von prominenten und auch im Exil erfolgreichen Geistesgrößen wie Thomas Mann, Lion Feuchtwanger oder Albert Einstein, die Deutschland angesichts des nationalsozialistischen Diktatur verließen, hat ein "Trugbild" entstehen lassen, das den Blick für die Mehrheit der Exilanten verstellt hat. Dies ist eine der grundlegenden Botschaften, die der Historiker Wolfgang Benz in seinem Buch "Exil" vermittelt. Exil sei für die allermeisten Verlust, Unwillkommensein, Verzweiflung, Armut, harter Überlebenskampf gewesen. Oder mit den Worten der nach Holland geflüchteten Schriftstellerin Grete Weil ausgedrückt: "Emigration ist nicht der Sturz aus der eigenen Klasse in eine tiefere. Emigration ist Fallen ins Bodenlose."

Dieser Erkenntnis folgend setzt Benz den Schwerpunkt seiner Darstellung nicht in der Beschreibung schillernden Lebens in kalifornischen oder südfranzösischen Villen, sondern bei den nicht so bekannten Exilanten und der Analyse politischer und sozialer Strukturen: Was führte zur Auswanderung? Wie konnte ein erhoffter Rettungsort erreicht werden? Wie gelang das Leben im Exil?

Auswanderung war das Gebot der Stunde ab 1933

Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung beginnt mit einem Kapitel über politische Emigration im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik. Menschen, die gegen "nationalistischen Taumel und Kriegsgebrüll" argumentierten, sei "chauvinistischer Hass" entgegengeschlagen. Benz stellt klar: Diese Emigration konnte selbst bestimmter Entschluss sein, während die spätere erzwungene Emigration der Juden immer Vertreibung gewesen sei.


Wolfgang Benz:
Exil.
Geschichte einer Vertreibung 1933-1945.
C.H. Beck;
München 2025;
407 Seiten, 36,00 €


Das Deutschland Hitlers machte es sich zum Ziel, den Juden das Leben so schwer wie möglich zu machen, um möglichst viele aus dem Land zu zwingen. Demütigungen, Schikanen und Existenzzerstörungen nahmen schrittweise zu, angefangen vom Boykott jüdischer Geschäfte 1933 über die Entrechtung durch die Nürnberger Rassengesetze 1935 bis hin zur Reichspogromnacht 1938 mit verwüsteten Geschäften, brennenden Synagogen und mindestens 26.000 festgenommenen jüdischen Männern. Bei den Erniedrigungen hätten Länderregierungen und lokale Akteure proaktiv viel Erfindungsreichtum gezeigt. Kein Turnverein, kein Sängerbund, kein Wanderclub habe Juden ausschließen müssen, schreibt Benz: "Aber alle taten es." Die nach der "Reichskristallnacht" Festgenommenen wurden in Konzentrationslagern sadistisch gequält, um das Bemühen um Ausreise zu forcieren. Vielen Juden, die lange gezögerte hatten, sei endgültig klar geworden: Auswanderung ist das Gebot der Stunde.


„Alle Länder ohne Ausnahme haben ihre Grenzen gesperrt. Man fürchtet Überfremdung.“
Verleger Alfred Heller

Gleichzeitig wurden Ausreisen durch schwer zu erlangende Formalia wie Bürgschaften, Vermögenshinterlegungen, Visa, Gebühren, Verschleppungen von deutscher Seite auch gebremst - was eine verzweifelte Lage schaffte. Und die anvisierten Exilländer streckten den Juden aus Deutschland keineswegs offene Arme aus. Der Verleger Alfred Heller schrieb: "Alle Länder ohne Ausnahme haben ihre Grenzen gesperrt. Man fürchtet Überfremdung." Mit solchen Argumenten, die auch heute gegen Migration angeführt werden, sei damals eine großzügige Asylpolitik verhindert worden.

Wer in meist völlig überfüllten Transportmitteln das Zielland erreicht hatte, stieß wie in Frankreich auf viel Bürokratie und Reserviertheit, in der Sowjetunion auf den Terror der Säuberungen von 1936/37 oder landete in New York ausgegrenzt in "Germantown" im Existenzkampf der einfachen Leute. Die große Not der Mehrheit konnte auch durch die Hilfsbereitschaft einzelner Menschen und Organisationen nur wenig gelindert werden. Zudem war es aufgrund des deutschen Eroberungskriegs oft nicht die letzte Station der Odyssee. Relativ großzügig ließen Mexiko und die Tschechoslowakei Flüchtlinge einreisen, für Shanghai wurde nicht mal ein Visum benötigt und Großbritannien rettete 10.000 jüdische Mädchen und Jungen mit Kindertransporten.

Schiffsunglücke, Irrfahrten und Zurückweisungen

Die Lage wurde mit dem Auswanderungsverbot vom Herbst 1941 noch verheerender, jetzt wurde endgültig auf physische, systematisch organisierte Ausrottung gesetzt. Nun war nur noch illegale Flucht - beispielsweise organisiert von der zionistischen Haganah in Palästina - möglich, die jedoch häufig durch Schiffsunglücke, Irrfahrten und Zurückweisungen unglücklich endete.

Als Autor etlicher Bücher über Hitlerdeutschland hat Benz auch das ganze Elend zusammenfassende Lebensberichte ausgewertet. Die nach Haifa geflüchtete Jüdin Ima leidet unter Heimweh und Schwermut: ein "unglückliches, verrutschtes Leben". Die Dichterin und Malerin Etel Adnan konstatiert: "Exiliert zu sein heißt, besiegt, geschlagen zu sein."

Exil ende, wenn Integration aus dem Gast einen Bürger mache - mit all den beidseitigen Anforderungen, die das bedeute, schreibt Benz, und: Die Hunderttausenden Bürger in Deutschland, die gegen "Remigration" und für Demokratie Toleranz und Humanität demonstrieren, hätten die richtige Erkenntnis aus der Geschichte des Exils gezogen.

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