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Friedenspreis des deutschen Buchhandels : Humor und Weisheit

Salman Rushdie wird mit dem Friedenspreis des Buchhandels geehrt. Er sei einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache.

14.10.2023
2024-02-06T14:07:23.3600Z
5 Min

Es war ein absolutes Novum in der Geschichte der Frankfurter Buchmesse: 1989 wurde mit dem Iran erstmals ein Land komplett von der Messe ausgeschlossen. Auslöser für die Entscheidung war das am 14. Februar 1989 in einer sogenannten Fatwa ausgesprochene Todesurteil des iranischen Staatsoberhauptes und schiitischen Ayatollahs Ruhollah Chomeini gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie. Chomeini rief "alle aufrechten Muslime" auf, nicht nur Rushdie, sondern alle, die an der Veröffentlichung seines Buches "Die Satanischen Verse", das im Vorjahr erschienen war, "sofort hinzurichten". Das Buch richte sich "gegen den Islam, den Propheten und den Koran" ließ Chomeini verkünden. Die iranische "halbstaatliche" Stiftung "15. Chordat" setzte gar ein Kopfgeld von einer Million US-Dollar aus, das bis 2016 gar auf vier Millionen US-Dollar erhöht wurde.

Foto: picture alliance/Photoshot

Der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie.

Mordaufruf bedrohte Wesenskern der Frankfurter Buchmesse

Bis zu Chomeinis Fatwa hatten die Verantwortlichen der Frankfurter Buchmesse stets an ihrem Grundsatz festgehalten, "kein Land, keine Religion keine Ideologie, mochte sie auch noch so verworfen und grausam mit ihren Menschen umgehen" von der Messe fernzuhalten, weiß Peter Weidhaas, der damalige Direktor der Frankfurter Buchmesse (1975-2000), zu berichten. So seien die DDR, die Sowjetunion und der gesamte Ostblock ebenso toleriert worden wie das faschistische Spanien unter Franco, das Apartheid-Südafrika oder Griechenland, Indonesien, Argentinien, Brasilien und Chile während der Zeit ihrer Militärdiktaturen, schreibt Weidhaas in seinem 2003 erschienen Buch "Zur Geschichte der Frankfurter Buchmesse". Doch der Iran hatte eine Grenze überschritten. Der Mordaufruf bedrohte nicht nur Leib und Leben eines Schriftstellers sowie Mitarbeitern von Verlagshäusern und Buchhandlungen, sondern ganz prinzipiell den Wesenskern der Frankfurter Buchmesse, die Freiheit des Wortes und den freien Handel mit dem gedruckten Wort.

Wie verhängnisvoll und wirkmächtig der Mordaufruf auch noch mehr als drei Jahrzehnte später sein sollte, musste Salman Rushdie im Sommer vergangenen Jahres auf leidvolle Art erleben. Am 12. August 2022 verletzte ihn ein 24-jähriger fanatisierter Muslim während eines Vortrages in Chautauqua im US-Bundesstaat New York mit mehreren Messerschnitten an Hals, Gesicht, Leber und Arm lebensgefährlich. Seit dem Attentat ist der Schriftsteller auf dem rechten Auge blind, Funktion und Gefühl in seiner Schreibhand bleiben langfristig eingeschränkt.

Begründung der Jury: Leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache

Wenn Salman Rushdie am 22. Oktober in der Frankfurter Paulskirche mit der offiziellen Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (live im ZDF ab 11 Uhr) geehrt wird, dann wird der Schriftsteller Daniel Kehlmann, den auch eine langjährige Freundschaft mit Rushdie verbindet, in seiner Laudatio wohl auch auf jene Jahre zurückblicken, in denen Rushdie aus Angst vor Attentaten in Isolation und an wechselnden Wohnorten unter Polizeischutz leben musste - und sich dennoch nicht von seinem literarischen Schaffen abhalten ließ.

In ihrer Begründung zur Verleihung des Friedenspreises bezeichnet die Jury Rushdie als einen "der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache - und zwar nicht nur seiner eigenen, sondern auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt." Unter hohen persönlichen Risiken verteidige er eine wesentliche Voraussetzung des friedlichen Miteinanders. Trotz der erlittenen körperlichen und psychischen Folgen des Attentats schreibe er weiterhin "einfallsreich und zutiefst menschlich", in seinen Romanen und Sachbüchern verbinde er "erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit". Rushdie beschreibe die Wucht, mit der Gewaltregime ganze Gesellschaften zerstören, aber auch die Unzerstörbarkeit des Widerstandsgeistes Einzelner.

Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Der Preis wird jährlich an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beitragen. Er ist mit 25.000 Euro dotiert.

Der Friedenspreis geht auf die Initiative weniger Schriftsteller und Verleger zurück und wurde 1950 erstmals als "Friedenspreis deutscher Verleger" in Hamburg an den deutsch-norwegischer Schriftsteller Max Tau verliehen. 1951 wurde er zu einem Preis des gesamten Buchhandels.



Rushdie, der schon mit so vielen und renommierten Literaturpreisen ausgezeichnet worden ist, reagierte auf die Ankündigung der Verleihung des Friedenspreis mit Bescheidenheit: "Ich weiß, wie bedeutsam dieser Preis ist, und ich bin ein wenig eingeschüchtert von der Liste der bisherigen Preisträger, zu der sich mein Name nun gesellen wird."

Mit 14 Jahren an ein britisches Internat

Auf dieser Liste der Preisträger findet sich auch ein Name, der in Deutschland auf höchst kontroverse Weise eng mit dem von Rushdie verbunden ist: Annemarie Schimmel. Die Verleihung des Friedenspreises an die renommierte Orientalistin im Jahr 1995 löste einen monatelang anhaltenden Sturm der Empörung aus. Schimmel hatte in einem Interview mit den "Tagesthemen" deutliche Kritik an Rushdies "Satanischen Versen" geübt. Eine Morddrohung sei "natürlich etwas Grässliches", führte Schimmel aus, aber sie habe gesehen, "wie erwachsene Männer geweint haben, als sie erfahren haben, was in den ,Satanischen Versen' steht. Und das ist nach meiner Meinung eine sehr üble Art, die Gefühle einer großen Menge von Gläubigen zu verletzen."

Der Aufschrei war groß: Schimmel relativiere mit ihrer Äußerung den Mordaufruf Chomeinis, lautete der Vorwurf. Selbst Schimmels früherer Schüler, der Orientalist Gernot Rotter, fand sich in den Reihen der Kritiker. Schimmel wies die Vorwürfe zurück: Sie sei ein "absolut unpolitischer" Mensch und habe lediglich auf die verletzten religiösen Gefühle vieler Muslime hinweisen wollen. Nachdem die Kritik an Schimmel nicht verstummen wollte, sah sich der als Jury fungierende Stiftungsrat des Börsenvereins gezwungen, erneut über die Preisverleihung zu beraten, bestätigte sie schließlich jedoch mit großer Mehrheit.

Der 1947 im indischen Bombay (heute Mumbai) geborene Rushdie wuchs selbst in einer muslimischen Familien auf. Mit 14 Jahren schickte ihn sein Vater, ein Anwalt und Geschäftsmann, an ein Internat in Großbritannien. Nach einem Geschichtsstudium am King's College der Universität Cambridge arbeitete er zunächst am Theater, als freier Journalist und als Texter in der Werbung. Seinen internationalen Durchbruch als Literat schaffte er schließlich 1981 mit seinem Roman "Mitternachtskinder", in dem er die Geschichte eines Jungen mit dem des gerade in die Unabhängigkeit entlassenen Indiens verknüpft. Wie in vielen seinen späteren Werke verknüpft er die Geschichte mit Elementen von Mythen und Märchen.

Verarbeitung von Flucht und Isolation

In gleich zwei Werke verarbeitete Rushdie seine persönliche Situation von Flucht und Isolation in den Jahren nach dem Mordaufruf Chomeinis. Das für seinen Sohn geschriebene Kinder- und Jugendbuch "Harun und das Meer der Geschichten" (1990) handelt von einem Märchenerzähler, der die Fähigkeit verliert, Geschichten zu erzählen, weil er keinen Zugang mehr zum "Erzählwasser" hat. Im Jahr 2012 publizierte Rushdie schließlich seine Autobiografie mit dem Titel "Joseph Anton". Diesen Decknamen hatte er sich für sein Leben in der Anonymität zugelegt, zugleich verweist er auf seine beiden Lieblingsschriftsteller Joseph Conrad und Anton Tschechow.

Anfang diesen Jahres erschien schließlich sein aktuelles Werk "Victory City", eine Art historisches Märchen, das in seinem Heimatland Indien des Mittelalters spielt und von einer Prophetin erzählt, die im Namen einer Göttin für die Rechte der Frauen eintritt. Seinen Roman lässt Rushdie mit einem Satz enden, der keiner weiteren Kommentierung bedarf: "Worte sind die einzigen Sieger".