Emran Feroz im Interview : "Ich versuche, eine Brücke zu bauen"
Zwischen Alpen und Hindukusch: Der österreichisch-afghanische Journalist Emran Feroz hat ein persönliches Buch über sein Leben und gefährliche Klischees geschrieben.
Herr Feroz, Sie sind als Kind afghanischer Eltern in Österreich aufgewachsen. Heute leben Sie in Deutschland. In Ihrem neuen Buch "Vom Westen nichts Neues" schreiben Sie nun über Ihre persönliche Geschichte und das Leben zwischen den Alpen und dem Hindukusch. Wie war es für Sie, zwischen diesen beiden Welten aufzuwachsen?
Emran Feroz: Bis heute ist es eine Herausforderung und ich versuche beiden Seiten gerecht zu werden, aber das klappt nie ganz. Ich war immer der Übersetzer - auch im metaphorischen Sinne. Man vermittelt dann zum Beispiel den Menschen in Afghanistan, wie der sogenannte Westen ist und andersherum.
Normalerweise berichten Sie als Journalist aus und über Afghanistan. Warum haben Sie jetzt ein Buch über Ihre persönliche Geschichte geschrieben?
Emran Feroz: Die Gedanken aus dem neuen Buch habe ich schon lange. Ich wollte sie gerne aufschreiben und mit familiären Geschichten verbinden. Denn ich denke, dass persönliche Geschichten näher gehen als eine strikte politische Reportage. Österreich und Afghanistan miteinander verweben zu lassen, auch in historischer Hinsicht, hatte ich schon lange im Kopf. Die ersten Parallelen fielen mir während meiner Schulzeit auf.
Afghanistan so richtig kennengelernt haben Sie das erste Mal als junger Student.
Emran Feroz: Genau, meine erste Reise fand in den Semesterferien statt. Ich wollte nach Afghanistan und von dort berichten, weil ich es als eine Chance gesehen habe. Zu dem Zeitpunkt fanden gerade Präsidentschaftswahlen statt und ich dachte, es wäre eine gute Gelegenheit, um meine Familie zu überzeugen, mich ziehen zu lassen. Denn viele afghanische Eltern, die im Ausland leben, waren selbst lange Zeit nicht mehr im Land und wollen ihre Kinder nicht nach Afghanistan reisen lassen. Sie denken, es ist zu gefährlich. So war es auch bei mir: Am Ende begleitete mich meine Mutter, wofür ich ihr bis heute dankbar bin.
Wie hat Sie diese Reise geprägt?
Emran Feroz: Die erste Reise war in vielerlei Hinsicht prägend. Für mich war es zum Beispiel verrückt zu sehen, wie einfach man nach Afghanistan kommt. Ich bin damals vom Flughafen in München über Istanbul nach Kabul gereist. Ich war innerhalb von einem Tag in Afghanistan. Das war schon ein verrückter Gedanke. Gerade wenn man bedenkt, wie schwierig es für Flüchtlinge aus Afghanistan ist, nach Deutschland zu kommen - lediglich, weil ihnen Papiere fehlen, um frei zu reisen. Das sind Gedanken, die mich immer wieder beschäftigen.
Im Klappentext heißt es, ihr Buch "entschlüsselt die gefährlichen Klischees des Westens über die muslimische Welt". Welche Klischees über Afghanistan begegnen Ihnen?
Emran Feroz: Zuerst einmal: Die Klischees haben nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stark zugenommen. Afghanistan wurde plötzlich mit Terrorismus assoziiert. So auch das mehrheitlich muslimische Volk. Seitdem werden viele Menschen in Afghanistan direkt mit den Taliban und Osama bin Laden assoziiert. Die Kleidung der Afghanen, ihr Aussehen und die Art, wie sie sprechen, ist negativ konnotiert.
Unterwegs in Afghanistan: Emran Feroz (links) als Sozius eines Motorradfahrers.
Wo macht sich das besonders bemerkbar?
Emran Feroz: Das macht sich nicht nur im Privaten, sondern zum Beispiel in den hiesigen Medien oder in der Popkultur bemerkbar. In vielen Filmen über den Krieg in Afghanistan ist der Vorzeige-Antagonist ein bärtiger Mann mit Turban, der eine bedrohlich klingende Sprache spricht. Oft werden in solchen Filmen Afghanen gezeigt, die Arabisch sprechen, obwohl die allermeisten Afghanen gar kein Arabisch können. Für mich war es daher ein Anliegen, mit dem Buch das Ganze zu dekonstruieren.
Viele Klischees gibt es doch sicher auch in Afghanistan über den sogenannten Westen, oder?
Emran Feroz: Ja, es gibt auch viele Vorurteile über Europa. Zum Beispiel, dass hier jeder nackt herumläuft, jeder betrunken ist und jeder einen Haufen Geld vom Staat bekommt. Diese Klischees muss man dann abbauen. Wenn ich dort bin, stelle ich das richtig. Gleichzeitig erkläre ich hier: In Afghanistan ist nicht jeder ein Frauenunterdrücker, es trägt nicht jeder eine Burka und es ist nicht jeder ein Terrorist. Mit dem Buch versuche ich eine Brücke zwischen den zwei Welten zu schlagen.
Emram Feroz:
Vom Westen nichts neues.
Ein muslimisches Leben zwischen Alpen und Hindukusch.
C.H. Beck,
München 2024;
220 Seiten, 18,00 €
Was fehlt bisher für so eine Brücke zwischen "dem Westen" und "der muslimischen Welt"?
Emran Feroz: Was im Alltag fehlt, ist der Zugang zu den Afghaninnen und Afghanen und das Wissen darüber, was sie im Krieg und auf der Flucht erlebt haben. Den meisten hier ist nicht klar, wie traumatisiert viele sind. Man unterscheidet auch noch immer Flüchtlinge sehr stark aufgrund von Rassismus. So gab es vor zwei Jahren so viel Verständnis für ukrainische Geflüchtete, was ich absolut verstehen kann. Aber warum werden gleichzeitig afghanische Flüchtlinge marginalisiert?
Sind Sie zuversichtlich, dass so eine Brücke noch entstehen kann? Schließlich halten sich einige Klischees hartnäckig.
Emran Feroz: Ich versuche optimistisch zu sagen, es muss funktionieren. Denn unsere Welt ist gar nicht so groß. Afghanistan ist gar nicht so weit weg, sondern unser Nachbarland. Momentan sind jedoch wieder viele Gräben zwischen beiden Welten da, auch aufgrund der Geschehnisse in Nahost. Gleichzeitig gibt es viele Akteure hier, die neue Gräben schaffen - zum Beispiel rechte Kräfte in der Politik und rechtsextremes Gedankengut, das immer präsenter wird. Das ist sehr bedenkenswert. Dem sollte man entgegenwirken. Ich hoffe, dass meine Geschichte Menschen erreicht, die vielleicht bis dahin anders über Afghanen gedacht haben.
Dafür machen Sie auf viele Gemeinsamkeiten von Afghanistan und Österreich aufmerksam. Wie zum Beispiel die Berge, alte Sagen oder konservative Großmütter.
Emran Feroz: Genau. Das ist vielleicht ein bisschen provokant, aber mir war es wichtig, den Blick in die andere Richtung zu lenken und sich die Frage zu stellen, was wäre, wenn in Tirol zwanzig oder dreißig Jahre lang Krieg herrschen würde, wie wären die Menschen dann drauf? Vielleicht gäbe es dann mehr Verständnis für die Lage der Afghanen und für einander.
Im Februar hat die Enquete-Kommission des Bundestages, die Lehren aus dem deutschen Engagement in Afghanistan für die künftige Außen- und Sicherheitspolitik ziehen soll, einen Zwischenbericht vorgelegt. Sie haben ihn gelesen. Wie bewerten Sie den Bericht?
Emran Feroz: Man könnte meinen, da wurde ein kritischer Bericht verfasst. Ein Blick hinein zeigt aber, dass das nicht stimmt. Es werden hauptsächlich die afghanische Armee und die Sicherheitskräfte, die zuhauf pulverisiert wurden, für das Versagen verantwortlich gemacht - und nicht die westlichen Truppen. Auch zahlenmäßig werden die Afghanen unsichtbar gemacht. Man lernt in dem Bericht beispielsweise, dass in den zwanzig Jahren 66 Deutsche in Afghanistan getötet wurden. Dass aber auch mindestens 176.000 Afghanen Opfer des Krieges wurden, liest man nicht. Es gibt in dem Bericht kaum Stellen, die sich den afghanischen Opfern widmen.
Gibt es denn ihrer Meinung nach überhaupt positive Aspekte des Einsatzes in Afghanistan?
Emran Feroz: Die positiven Entwicklungen in Afghanistan waren in den vergangenen Jahren sehr marginal und hatten meiner Meinung nach nichts mit der Präsenz ausländischer Truppen zu tun. Die Taliban waren zwar weg und es entwickelte sich in Kabul eine Blase aus NGOs und Botschaften. So ist viel Geld in die Stadt geflossen. Dieses Geld konnte zwar zur Bildung der Menschen in den Städten beitragen, aber das passierte in einem sehr kleinen Rahmen. Viele Menschen außerhalb von Kabul und besonders auf dem Land fühlten sich abgehängt und der Fortschritt hat sie nie erreicht.
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Der Einsatz ist also komplett gescheitert?
Emran Feroz: Afghanistan wird mittlerweile komplett von den Taliban kontrolliert. Das war in den 1990er Jahren zum Beispiel noch nicht der Fall. Vergleicht man den letzten Einsatz westlicher Truppen mit der sowjetischen Besatzung in den 1980er Jahren, gibt es einen krassen Unterschied. 1989 verließ der letzte sowjetische Soldat Afghanistan. Die von den Sowjets installierte Regierung konnte sich noch ganze drei Jahre danach halten. Erst 1992 fiel Präsident Nadschibullah, der Bürgerkrieg brach aus und 1996 kamen dann die Taliban. Aber im August 2021, nach 20 Jahren Nato-Einsatz, fiel die Regierung, noch bevor der letzte Nato-Soldat das Land verlassen hat, und das ist sehr bezeichnend für das Versagen des gesamten Projekts.
Was wünschen Sie sich von der Politik?
Emran Feroz: Es ist wichtig, dass es ein ehrliches Interesse am Land gibt und auf handfeste Expertise zurückgegriffen wird. Die Politik muss sich mit der Sache verantwortungsbewusst auseinandersetzen. Es ist wichtig, dass Afghanistan nicht wieder in eine Isolation verfällt, wie in den 1990er Jahren. Daher sollten die Sanktionen, die weiterhin bestehen, zurückgenommen werden. Denn sie treffen nicht die Taliban, sondern den Durchschnittsafghanen. Wird das Land aber isoliert, wird es zu einem regionalen Nebenkonflikt für den sich niemand mehr interessiert und aus dem immer mehr Menschen flüchten.