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Rezension zu Richard Overys "Weltenbrand" : Kampf um die Imperien

Der Historiker Richard Overy erklärt den Zweiten Weltkrieg als eine imperiale und globale Konfrontation, die deutlich vor 1939 beginnt und erst nach 1945 endet.

30.11.2023
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4 Min
Foto: picture alliance / akg-images

Ikonische Aufnahme des amerikanischen Fotografen Joe Rosenthal: US-Soldaten errichten am 23. Februar 1945 auf der Insel Iwojima einen Flaggenmast mit dem Sternenbannen.

Als Richard Overy vor gut 40 Jahren begann, über den Zweiten Weltkrieg zu schreiben, "war es noch möglich, das meiste von dem zu lesen, was über ihn vorlag und Brauchbares zu sagen hatte". Doch in den folgenden vier Jahrzehnten sei die historische Literatur förmlich explodiert. Es muss also einen Grund haben, dass sich der renommierte britische Historiker und Weltkriegs-Experte noch einmal aufmachte, eine wahrhaft monumentale Gesamtdarstellung vorzulegen. Auf rund 1.300 Textseiten und 200 Seiten Anhang, Register und Kartenmaterial bringt es sein "Weltenbrand" und hat mehr als nur "Brauchbares" zu bieten.

Richard Overy hat einmal mehr ein Standardwerk vorgelegt. Besonders lesenswert sind jene Kapitel, in denen er sich Themen annimmt, die in Gesamtdarstellungen zum Zweiten Weltkrieg mitunter zu kurz kommen - beispielsweise die Gewalt gegen Frauen, den Umgang mit Kriegsverbrechen oder die Bedeutung des Widerstandes von Zivilisten gegen die Besatzer.

Imperiale Träume in Deutschland, Japan und Italien

Aufräumen will der Historiker aber vor allem mit den weitverbreiteten Darstellungen, die den Fokus auf den Krieg in Europa und dem Mittelmeerraum zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland unter Adolf Hitler sowie dem faschistischen Italien unter Benito Mussolini auf der einen Seite und den alliierten Siegermächten auf der anderen legen - und dabei den Krieg des japanischen Kaiserreiches in China, Südostasien und im Pazifikraum als "Anhängsel" vernachlässigen. Der Zweite Weltkrieg müsse "als globales Ereignis verstanden werden". Die Ursachen dieses globalen Krieges sieht Overy in einem finalen Zusammenstoß zwischen den alten imperialen Kolonialmächten wie Großbritannien und Frankreich, die in der Weltordnung nach dem Ersten Weltkrieg allen Versprechungen des Völkerbundes zum Trotz noch immer den Ton angaben, und jenen Mächten, die sich in den 1930er Jahren anschickten, selbst gewaltige territoriale Imperien zu erobern.

Trotz aller Unterschiede zwischen Deutschland, Italien und Japan zeigten sich die Führungen in Berlin, Rom und Tokio sehr einig in der Einschätzung, nur der Erwerb großer territorialer Imperien als "Lebensraum" und Wirtschaftsraum nebst unbeschränkten Zugriff auf Bodenschätze könne sie vor den Auswirkungen von Wirtschaftskrisen wie in den 1920er Jahren wirksam schützen. Ebenso einig zeigten sich die sogenannten Achsenmächte in der Ablehnung der Ergebnisse des Ersten Weltkriegs, der Regelungen des Versailler Vertrages und des Völkerbundes. Dies war im Fall Deutschlands aufgrund der territorialen Verluste und der harten Auflagen der Siegermächte wenig verwunderlich. Doch auch Italien und Japans waren enttäuscht, weil sie sich an den Katzentisch der Siegermächte verbannt und ihre imperialen Ambitionen unerfüllt sahen.


„Die konventionelle Chronologie dieses Krieges ist obsolet geworden.“
Richard Overy

Folgerichtig weitet Overy nicht nur geographisch, sondern auch zeitlich den Rahmen seiner Darstellung. Die "konventionelle Chronologie", die den Zweiten Weltkrieg mit dem deutschen Einmarsch in Polen am 1. September 1939 beginnen und mit den Kapitulationen Deutschlands und Japans 1945 enden lässt, sei "obsolet geworden". Der Krieg zwischen 1939 und 1945 sei zwar das "Herzstück" des globalen, imperialen Konflikts, doch der beginne spätestens mit dem Einmarsch Japans in die chinesische Mandschurei im September 1931. Letztlich interpretiert Overy den Ersten und Zweiten Weltkrieg als "Etappen eines zweiten Dreißigjährigen Krieges", in dem es um "die Neuordnung des Weltsystems in einer Endphase der imperialen Krise" ging. Und diese Krise endete in Overys Sicht nicht mit dem Sieg der Alliierten, sondern mit der Phase der Dekolonisation nach 1945, die eine Reihe weiterer Kriege mit sich brachte.

Konflikte zwischen den USA und Großbritannien

Gänzlich neu ist Overys Sicht auf den Weltkrieg nicht. Sein Verdienst ist es jedoch, dass er diese Interpretation stringent durchdekliniert. Wie dominierend etwa die imperiale Sicht der Briten war, zeigte sich, als es Premierminister Winston Churchill 1942 schaffte, US-Präsident Theodor Roosevelt von einer Landung in Nordafrika zu überzeugen, um die deutsch-italienische Bedrohung des Suez-Kanals endgültig zu beseitigen. Anschließend beharrte er auf den Landungen in Sizilien und Italien, wo Briten und Amerikaner nur unter schwersten Verlusten langsam vorankamen. Die amerikanischen Generäle schäumten vor Wut, sie wollten endlich in Frankreich landen. Man sei schließlich gekommen, um die Deutschen zu besiegen und nicht, um die Vormachtstellung des britischen Empire im Mittelmeer zu sichern.

Wie imperial die Vorstellungen in Deutschland, Italien und Japan waren, kann Overy auch an den Besatzungsrealitäten in den okkupierten Gebieten zeigen, die überwiegend eben nicht in die Nationalstaaten eingegliedert wurden, sondern wie Kolonien verwaltet und rücksichtslos ausgeplündert wurden. Die Bevölkerungen hatten faktisch als Sklaven zu dienen, wurden zwangsumgesiedelt oder ermordet. Doch Overy weiß auch, dass die imperiale Schablone nicht auf alle rassistischen Gräuel wie den Holocaust an den europäischen Juden angelegt werden kann, und macht dies auch deutlich.

Richard Overy:
Weltenbrand.
Der große imperiale Krieg 1931-1945.
Rowohlt Berlin
Berlin 2023;
1.520 S., 48,00 €