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Männerträume: Die Automesse Retro Classics in Stuttgart ist mit über 90.000 Besuchern zentraler Treffpunkt der Oldtimer Szene in Süddeutschland.

Kult um das Auto : Wie das Patriarchat eine Mobilitätswende verhindert

In „Männer am Steuer“ beschreibt der Ökonom Boris von Heesen, warum die männerdominierte Autowelt das größte Hindernis für eine Verkehrswende ist.

27.03.2025
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4 Min

Boris von Heesen ist durch seine exakten Berechnungen darüber, welchen gesellschaftlichen Preis das Patriarchat verursacht - "Was Männer kosten", lautete der plakative Buchtitel - bekannt geworden. In seinem jüngsten Werk nimmt sich der Darmstädter Ökonom nun den "Mann am Steuer" vor: jenen nicht unbedingt die Mehrheit bildenden Teil des männlichen Geschlechts, der mit überdimensionierten Fahrzeugen, aggressivem Verhalten und unangemessener Lautstärke die Straßen beherrscht. 

Zudem analysiert von Heesen, wie männliche Netzwerke in Autokonzernen, Wissenschaft, Politik und Lobbyverbänden eine "zukunftsfähige Mobilität" verhindern.


„Fest eingeschlossen in ihre letzten maskulinen Schutzräume, gestikulieren sie wild und aggressiv, beleidigen und nötigen andere Menschen, die ihnen auf asphaltierten Wegen in die Quere kommen.“
Ökonom Boris von Heesen

In Männerkreisen kursiert teils bis heute der sexistische Spruch "Frau am Steuer, Ungeheuer". Mit seiner Replik "Mann am Steuer" spielt der Autor auf solche Klischees an. Ihn beschäftigt die Frage, warum manche Männer ihre Autos so abgöttisch lieben - und sich im Verkehr entsprechend verhalten: "Fest eingeschlossen in ihre letzten maskulinen Schutzräume, gestikulieren sie wild und aggressiv, beleidigen und nötigen andere Menschen, die ihnen auf asphaltierten Wegen in die Quere kommen." Durch dieses risikoreiche Verhalten, so der Autor, gefährden die Fahrer "andere und auch sich selbst". Verantwortlich dafür sei die nach wie vor wirkmächtige patriarchale Erzählung, dass "erst ein großes, lautes und mit Status aufgeladenes Fahrzeug einen richtigen Mann macht".

Männliche Fahrer verursachen mehr und schwere Autounfälle

Den Schwerpunkt des Buches bilden aber nicht solche psychologischen Erklärungsversuche, von Heesens Spezialgebiet sind vielmehr ökonomische Argumente. Er listet im Detail auf, welche volkswirtschaftlichen Kosten die männliche Leidenschaft für das Auto verursacht, und legt dabei großen Wert auf gesicherte Daten auf der Basis seriös nachgewiesener Statistiken. So sind nach den Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes vier von fünf Pkw in der motorstärksten und umweltschädlichsten Leistungsklasse auf männliche Halter zugelassen, meist handelt es sich um steuerbegünstigte Dienstwagen.


Boris von Heesen:
Mann am Steuer.
Wie das Patriarchat die Verkehrswende blockiert.
Heyne,
München 2025;
288 S., 18,00 €


Bei Verkehrsunfällen steigt die Beteiligung von Männern mit der Dramatik der Folgen überproportional an. Gibt es schwerverletzte Opfer, sind Männer zu 65 Prozent hauptverantwortlich, bei Getöteten wächst ihr Anteil unter den Verursachern auf über 78 Prozent. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen die Autoversicherer in der Statistik der Sachschäden. 

Als Hauptursache für schwere Unfälle gelten die Faktoren Alkohol am Steuer und überhöhte Geschwindigkeit. 91 Prozent der Fahrzeuglenker, die mit über 50 Stundenkilometern innerhalb geschlossener Ortschaften erwischt wurden, sind Männer. Auch bei den "Punkten in Flensburg" mit der Höchststrafe "Entzug der Fahrerlaubnis" liegen sie einsam an der Spitze. Das ökonomische Fazit des Autors: Die Mehrkosten der durch Männer verursachten Verkehrsunfälle summierten sich allein im Jahr 2023 auf knapp 13 Milliarden Euro.

Der ADAC hat mehr Mitglieder als die katholische Kirche

"Patriarchales Fahren", wie es von Heesen überspitzt nennt, sei eine Gefahr für alle anderen Verkehrsteilnehmer. Er prangert die "absurden Auswüchse" des Kults um das Auto an, berichtet von tiefergelegten und hochgetunten Fahrzeugen, von Rasern, Posern und illegalen Rennen. Choreografiert werde das Spektakel von der männerdominierten Automobilindustrie: "Wie eine Spinne im Netz, die alle Fäden kontrolliert, verbindet sie geschickt Politik, Behörden und Verbände und setzt so in Vorder- und Hinterzimmern ihre Interessen durch." 

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Der ADAC, wichtigster Gegner des in allen Nachbarländern selbstverständlichen Tempolimits auf Autobahnen, habe mehr Mitglieder als die katholische Kirche. Das Bundesverkehrsministerium hat noch nie eine Frau geleitet, meist führe es ein autofixierter CSU-Mann, der sich wenig für Bahn- oder Radfahrer interessiere. Seit Jahrzehnten regiere in Deutschland eine mächtige, maskulin geprägte Fahrzeuglobby mit. Vorsitzende des einflussreichen Branchenverbandes ist aktuell zwar eine Frau, Hildegard Müller. Einen Kulturwandel löste die frühere CDU-Politikerin aber nicht aus, ihre Anpassung hat die an männlichen Denkmustern orientierten Strukturen eher verfestigt.

Im Schlusskapitel versucht der Autor, Alternativen aufzuzeigen. In seinem "Labor der Lösungen" plädiert er für mehr Verkehrserziehung "vom Bobbycar zum Rollator". Er entwirft die Zukunftsperspektive einer "mobilen Befreiung zu Fuß und auf zwei Rädern", fordert den Abschied vom üblichen Dreiklang "mein Haus, mein Auto, meine Garage". Das ist aus einer städtischen Perspektive gedacht; für die Bewohner von Regionen, in denen nur zweimal am Tag ein Bus kommt, klingt es eher utopisch. Die Mobilitätswende und der Abschied von der "maskulinen Autonormativität" seien "feministisch", bekennt von Heesen. Doch es ist etwas einfach, wenn auch vielleicht verkaufsträchtig, alle Hindernisse pauschal dem meist männlichen Geschlecht der Akteure anzulasten.

Mehr dazu im Dossier zur Zukunft des Autos lesen