Ein Jahr Krieg im Nahen Osten : Bundestag erinnert an die Schicksale der Hamas-Geiseln
Ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel bleibt die Region von Angst und Gewalt gezeichnet. Im Bundestag schildert Zeuge Alon Gat das Geschehen am 7. Oktober.
Als Hagar Brodutch am Morgen des 7. Oktober 2023 ihre Haustür im Kibbuz Kfar Aza öffnet, steht ein dreijähriges Mädchen davor. Die kleine Avigail ist blutverschmiert und hat Angst. Ihre Eltern wurden ermordet, ihr Zuhause verwüstet. Es ist der Tag, an dem die Terrororganisation Hamas Israel angreift.
Brodutch zögert nicht, sie nimmt das Mädchen auf und versteckt sich gemeinsam mit ihren eigenen drei Kindern – dem vierjährigen Oriya, dem achtjährigen Juval und der zehn Jahre alten Ofri – im Schutzraum des Hauses. Doch auch dort sind sie nicht sicher: Kurze Zeit später brechen 14 Terroristen der Hamas in das Haus ein und verschleppen Hagar Brodutch und die vier Kinder als Geiseln in den Gazastreifen.
Die tragische Geschichte von Avigail und der Familie Brodutch ist nur eines von vielen Schicksalen, die in einer Videoinstallation im Bundestag an den ersten Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel erinnern. Mehr als 1.200 Menschen wurden an diesem Tag getötet, 250 entführt.
Banner mit gelben Schleifen erinnern an Schicksal der Geiseln
„Wir stellen ihre Schicksale vor, damit die Opfer des Terrors keine abstrakte Zahl sind“, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) im Bundestag während der Gedenkveranstaltung am Montagmittag. Als Zeichen der Solidarität und aus Anteilnahme mit den Opfern wurden an der Fassade des Reichstagsgebäudes und im Paul-Löbe-Haus des Bundestags zudem große Banner mit gelben Schleifen angebracht. „Sie stehen für die Hoffnung, dass die Geiseln nach Hause kommen“, erklärte Bas. An die Hamas richtete die Bundestagspräsidentin eindringlich den Appell: „Lasst die Geiseln frei“.
Überlebende Geisel berichtet im Bundestag vom 7. Oktober
Einer der überlebenden Geiseln ist Alon Gat. Er ist an diesem 7. Oktober im Bundestag zu Gast und berichtet von seiner Geschichte: Vor genau einem Jahr wurden er und seine dreijährige Tochter von der Hamas verschleppt. In einem Moment als das Fahrzeug der Entführer anhalten musste, gelang es ihnen zu fliehen. Gat weiß, dass viele nicht so viel Glück hatten. Seine Mutter und seine Schwester wurden ebenfalls von der Hamas entführt und anschließend brutal getötet. Gats Ehefrau konnte nach 54 Tagen aus der Geiselhaft befreit werden. Er fordert im Bundestag: „Jetzt ist es an der Zeit zu handeln, um die Leben der Geiseln zu retten und sie aus diesem Albtraum zu befreien“.
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, der ebenfalls an der Veranstaltung teilnahm, erklärte, dass Israel sich derzeit in der „größten Tragödie“ seit seiner Staatsgründung befinde. Das Land werde von einer „tödlichen Ideologie“ bedroht, die nicht nur Israel vernichten wolle, sondern auch alle anderen demokratischen Staaten. „Wir haben es mit Verrückten zu tun, mit Mördern zu tun“, so Prosor. Ein Waffenstillstand könne erst in Betracht gezogen werden, wenn alle Geiseln freigelassen würden. Bis dahin müsse Israel seine militärischen Operationen fortsetzen.
Gewalt dominiert in der Region
Seit dem 7. Oktober 2023 führt die israelische Armee eine umfassende Militäroperation gegen die Hamas im Gazastreifen durch. Die humanitäre Lage dort ist mittlerweile verheerend: Laut Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza sind bis heute über 41.500 Palästinenser ums Leben gekommen, mehr als 96.000 wurden verletzt. Über eine Million Menschen sind laut Amnesty International im Gebiet akut von einer Hungernot bedroht. Israel verzeichnet mehr als 5.400 Verletzte. Weitere Militäroperationen führt Israel unter anderem im Süden Libanons gegen die schiitische Hisbollah oder gegen die Huthi-Miliz im Jemen. Experten warnen, dass die Lage in der Region zu eskalieren droht und ein umfassender Krieg bevorstehen könnte.
Hagar Brodutch und ihre Kinder wurden nach 51 Tagen in Geiselhaft befreit, doch der Weg zurück in ein normales und friedliches Leben ist lang – so wie für die gesamte Region.
Der Bundestag wird sich am Donnerstagvormittag in einer Vereinbarten Debatte mit dem Jahrestag des Überfalls auf Israel befassen. Vor Beginn der Debatte soll der Geiseln und Opfer des 7. Oktober 2023 und all der Menschen, die seitdem zu Opfern des Krieges in der Region wurden, mit einer Schweigeminute gedacht werden.