Ortstermin #everynamecounts : Jeder Name zählt - Aktion gegen das Vergessen von Nazi-Opfern
Jeder kann helfen, dass die Opfer der Nazis nicht vergessen werden. Die Arolsen Archives machen es möglich und zeigen: Geschichte muss nicht im Archiv stattfinden.
Auf dem Bildschirm erscheint eine gelblich-braune Karte mit einem schwarzen Rand. Sie ist mit Zahlen und Worten bedruckt - in der typischen kantigen Schrift einer Schreibmaschine, die darauf schließen lässt: Dieses Dokument stammt aus einer anderen Zeit. "Efraim Traube" steht auf der Karte und die Häftlingsnummer des polnischen Juden: 132499.
Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas (CDU) half im Bundestag bei der Aktion #everynamecounts der Arolsen Archives.
Das Dokument mit Informationen über Traube wurde bei seiner Ankunft im Konzentrationslager Gusen von Mitarbeitern des KZ oder der Gestapo ausgestellt und beinhaltet alle Informationen, die für die KZ-Verwaltung wichtig waren. Was mit Traube nach seiner Ankunft im KZ passierte, ist nicht weiter bekannt; sein Schicksal ist nicht auf der Karte vermerkt. Bei den Dokumenten anderer Inhaftierter ist das anders, dort ist zum Teil der Todestag oder der Grund für die Haft vermerkt.
Freiwillige brauchen lediglich Bildschirm und Internetverbindung
"Das kann ganz schön emotional werden", sagt Martha. Gemeinsam mit Lina stehen die beiden 15-jährigen Schülerinnen hinter einem Laptop im Bundestag und erklären vorbeikommenden Abgeordneten und Mitarbeitern die historischen Dokumente und wie sie digitalisiert werden können. Denn genau darum geht es: Irgendwann in der Zukunft soll der Name und die Geschichte eines jeden Opfers des Holocausts über ein paar Klicks im Internet zu finden sein.
Das ist das Vorhaben der Arolsen Archives, früher bekannt als Internationaler Suchdienst, das am vergangenen Dienstag ihre Arbeit im Bundestag vorstellten. Im Rahmen der Aktion #everynamecounts (auf Deutsch: "jeder Name zählt") können Menschen weltweit online auf die bereits eingescannten historischen Dokumente des Archivs zugreifen. Anschließend können Freiwillige die Informationen der Dokumente wie Name, Geburtsdatum, Beruf oder Häftlingsnummer in einer Onlinemaske eingeben. Jeder, der dabei helfen möchte, braucht lediglich einen Bildschirm und eine Internetverbindung.
Einträge werden dreifach überprüft
Martha sagt: "Manchmal entdeckt man, dass ein Häftling genauso alt war, wie man selbst oder denselben Geburtstag hatte." Diese persönlichen Verbindungen machen die Arbeit nicht nur emotional, sondern wecken oft auch das Interesse an den einzelnen Schicksalen.
Iris Fehlemann-Heindörfer, die bei den Arolsen Archives im Bereich der Datenpflege arbeitet, erklärt: "Um sicherzustellen, dass die eingegebenen Daten auch stimmen, wird jedes Dokument von drei verschiedenen Nutzern bearbeitet. Stimmen alle drei Einträge überein, werden die Daten direkt übernommen". Andernfalls müsse ein Team der Arolsen Archives die Angaben erneut überprüfen.
Es ist eine Mammutaufgabe: Hinweise zu etwa 17,5 Millionen Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus beherbergen die Arolsen Archives. Im gleichnamigen hessischen Bad Arolsen lagern rund 30 Millionen Dokumente, darunter Häftlingskarten aus den Konzentrationslagern oder Fragebögen der Internationalen Flüchtlingsorganisation. Würde man allein die überlieferten Dokumente aus den Konzentrationslagern und anderen NS-Haftorten übereinanderlegen, wäre der Papierstapel so hoch wie die Zugspitze.
Digitales Denkmal: Jeder Eintrag hilft
Am Ende des Aktionstages im Bundestag wurden zahlreiche Namen von NS-Opfern in die Datenbank eingepflegt. Abgeordnete wie die Bundestagsvizepräsidentinnen Petra Pau (Die Linke) und Yvonne Magwas (CDU) halfen mit. Lina sagt: "Wie viele Dokumente wir heute geschafft haben, haben wir nicht gezählt". Das sei aber auch nicht so wichtig. Denn hinter jedem Dokument steht eine Person mit einem Leben, das durch den Nationalsozialismus zerstört wurde. "Jeder, der bei der Digitalisierung hilft, trägt dazu bei, dass diese Menschen nicht vergessen werden", erklärt Lina.
Die Digitalisierung der Dokumente ist mehr als nur eine technische Aufgabe - sie ist ein Auftrag, ein weltweit digitales Denkmal zu schaffen. Ein Denkmal, das sicherstellt, dass die Opfer des Holocausts nie vergessen werden.