Parlamentarisches Profil : Der Datenleser: Martin Sichert
Martin Sichert ist AfD-Mitglied der ersten Stunde: 2017 zog der gebürtige Nürnberger in den Bundestag ein. Davor hat er sich bei den Liberalen und der SPD engagiert.
Martin Sichert ruft vom Auto aus an, es ist Dienstagvormittag und er auf dem Weg von seiner Heimatstadt Nürnberg nach Berlin. "Hab kurzfristig einen Leihwagen genommen, die Straßen waren glatt, und bei einer plötzlichen Bremsung hatte ich mit meinem Auto die Leitplanke geküsst", sagt er. Sichert, 42, ist unterwegs zur Debatte über die Einführung einer Impfpflicht gegen das Coronavirus. Ein Thema, bei dem der Gesundheitspolitiker schnell in seinem Element ist - seine AfD-Fraktion hat den Antrag gegen solch eine Verbindlichkeit vorgelegt.
Martin Sichert, gesundheitspolitischer Sprecher der AfD im Bundestag, sieht Corona-Schutzimpfungen skeptisch.
"Warum eine Pflicht?", fragt er. "Dies wäre ein massiver Eingriff in die Grundrechte, und dafür müssen starke Voraussetzungen gegeben sein." Bei den aktuellen Impfstoffen aber gebe es nur eine bedingte Zulassung bis 2024, keine ordentliche, "das reicht nicht".
Sichert: Corona in Relation sehen
Ein Gespräch mit dem gesundheitspolitischen Koordinator der AfD über die Pandemie ist nicht einfach. Corona-Schutzimpfungen sieht er skeptisch, "ich bin selbst nicht geimpft, weil die Risiken in meiner Altersgruppe für mich schwerer wiegen als der Schutz". Covid-19 habe er bisher auch nicht gehabt. Und wenn? "Dann würde ich mich isolieren." Und was ist in den Tagen, in denen er von seiner Infektion noch nichts ahnen würde und andere anstecken könnte? "Ich kann mich doch nicht mein ganzes Leben wegsperren. Und die Impfung hilft auch nicht: Das zeigte der vergangene Kölner Karneval, an dem nur Geimpfte teilnehmen durften - und er entwickelte sich zu einem Superspreader-Event." Also, die Impfungen schwächten nicht im Jahr 2021 die Coronawelle? Die Toten von damals beeindrucken ihn nicht? "Seit 2006 steigt von Jahr zu Jahr die Zahl der Todesfälle. 2020 und 2021 sind nicht mehr Menschen gestorben, als nach den Erfahrungen der Vorjahre zu erwarten war. Man muss Corona in Relation sehen. Jeden Tag sterben in Deutschland knapp 3.000 Menschen aus den verschiedensten Gründen." Ja, und selbst in diesen Wochen täglich 200 an Corona. Es ist tatsächlich Relation. Für die einen beeindruckend, für die anderen weniger.
Sichert kam 2017 in den Bundestag, damals in den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Der Franke ist AfD-Mitglied der ersten Stunde, zwischen 2017 und 2019 war er bayerischer Landesvorsitzender. 2021 wechselte er in den Gesundheitsausschuss, mit Beginn der Pandemie hatte er sich tief in die Materie eingearbeitet. "Ich hatte dazu Reden mit großer Reichweite gehalten, das kriegten die Kollegen mit." Sichert ist Diplomkaufmann, er komme von der "statistischen Ecke" - das sei ein Vorteil in der Gesundheitspolitik. "Man muss kein guter Facharzt dafür sein, aber Daten muss man schon lesen können."
Das Ende der Pandemie?
Als Freigeist kann man ihn bezeichnen. Aufgewachsen in einer Großfamilie, die Eltern Diplom-Betriebswirte, habe man stets über vieles lebhaft diskutiert, auch über Politik. Und Sichert probierte einiges aus. 2001 trat er den Jungen Liberalen bei, wegen den Reaktionen auf den Terroranschlag vom 11. September. "Da wurden Bürgerrechte massiv eingeschränkt, der Große Lauschangriff etwa war unverhältnismäßig - man ging nicht an die Wurzel des Problems, den Islamismus." Doch die Jugendorganisation verließ er wieder. Trat 2008 der SPD bei, "erste Erfahrungen mit Arbeitgebern waren schwierig. Arbeitszeitregelungen wurden nicht eingehalten, und ich war naiv zu glauben, die SPD würde sich für die Rechte der Arbeitnehmer engagieren". Dann wieder ein Intermezzo bei der FPD - und schließlich die AfD. Warum? "Zuerst dachte ich daran, eine eigene Partei zu gründen. Aber die AfD ist einzige wahrhaft freiheitliche Partei." Da sei die Forderung nach dem schlanken Staat, nach direkter Demokratie.
Es wirkt, als bürste Sichert gern gegen den Scheitel. Im Gespräch braust er nicht selten auf, redet engagiert drauflos. Und er ist einer, dem nicht wenige zuhören. Er hat aktuell 75.532 "Follower" auf Facebook. Dort wird er am Abend in einem Bürgerdialog sagen: "Dass Corona nicht vorbei ist, ist ja ein deutsches Phänomen. Wir sehen ja international, dass Corona vorbei ist." Dass Corona vorbei sei, haben AfD-Politiker schon oft verkündet. Man braucht eben auch mal eine positive Botschaft. Für die, die es hören wollen. So macht man Kundschaft.