Parlamentarisches Profil : Der Dompteur: Kay Gottschalk
Kay Gottschalk war mal Mitglied der SPD. Heute ist er Bundestagsabgeordneter der AfD und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion.
Draußen vor seinem Büro, auf einem Tisch im Flur des Abgeordnetenhauses in der Wilhelmstraße, liegt ein Buch. Für die Wartezeit, von irgendjemand abgelegt. Auf Seite 394 steht: "Je größer die wirtschaftliche Freiheit, desto größer ist das Bedürfnis nach klaren gemeinschaftlichen Spielregeln und einer effizienten Behörde, um sie durchzusetzen." Ein Satz aus den Memoiren des früheren EU-Kommissars Karel van Miert, der Kay Gottschalk gefällt. "Kann ich unterschreiben", sagt er und rührt seinen Kaffee um. "Einen Raubtierkapitalismus möchte eigentlich niemand. Ich bin ein Freund der Marktwirtschaft, aber sie braucht Leitplanken und Grenzpfähle." Er mache Politik, sagt er, damit es allen gut gehe. Das klingt recht sozialdemokratisch. Und Gottschalk, 58, bekennt sich sogleich als Anhänger von Helmut Schmidt, erzählt, wie er als Saalordner am 17. Februar 1983 in Hamburg ein Autogramm von ihm erhielt - und sich auf dessen Rückseite eines von Björn Engholm geben ließ.
Kay Gottschalk sitzt seit 2017 im Bundestag und ist Mitglied im Finanzausschuss.
Nur liegt das sozialdemokratische Engagement als Parteimitglied hinter ihm. Gottschalk ist Bundestagsabgeordneter der AfD, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. "Die sozialdemokratische Prägung ist mir geblieben", sagt er, "es muss fair zugehen." Gottschalk legt beim Reden leicht nach vorn gebeugt die linke Hand unters Kinn, der rechte Arm ruht auf dem Schoß. "Kapitalismus, das war in den USA bis zu den vorigen Dreißigern das Ausnutzen von Menschen und Freiheiten. Da wurde eine Grenze überschritten, welche die Gesellschaft verteidigen muss."
Gottschalk sieht die AfD als konservative SPD
Gottschalk weiß, wovon er spricht. Nach einer Ausbildung im Bankwesen absolvierte er ein Doppelstudium in Betriebswirtschaftslehre und Jura, "eine eindrucksvolle Leistung", wie er auf seiner Website schreibt. "Ich sehe die AfD als konservative SPD", sagt er. Davon wird er in seiner Partei nicht alle überzeugen, es zeugt aber von den Unterschieden innerhalb der AfD. Wie kam es bei ihm zum Wechsel, weg von der SPD zur AfD, gab es eine Entwicklung? "Die SPD legte auch einen Entwicklungsprozess hin", antwortet Gottschalk. "Früher war sie eine klassische Arbeiterpartei, eine des gerechten Ausgleichs." Mit ihrer Klientel sei sie nicht mitgewachsen, "die SPD ist eine Lehrerpartei geworden". Woran macht er das fest? "Zum Beispiel wurde die Pendlerpauschale seit 2004 nicht mehr erhöht, und in den Nullerjahren beerdigte die SPD den sozialen Wohnungsbau." Außerdem hätten die Sozialdemokraten zu sehr auf die Friedensdividende und zu wenig auf Verteidigungsbereitschaft gesetzt. "Hab' aber noch immer gute Kontakte zu ein paar Genossen."
Es fällt auf, dass Gottschalk mehr über die SPD als über die AfD erzählt. Bei letzterer gibt es auch ein paar Klippen, etwa all jene Politiker dort, die viel rechter zu verorten sind als er selbst, die auf eine Äußerung von ihm wie "Ich bin kein Gegner einer bunten Stadt, in der sich alle an die Spielregeln unseres Grundgesetzes halten" mit Hautausschlag reagieren würden. Er sei anders groß geworden, in Hamburg, entgegnet er. Vom Schreibtisch grüßt ein Wimpel des HSV. "Das Wort 'Flüchtlinge' will ich heute nur einmal in den Mund nehmen."
In jungen Jahren erfolgreich mit Aktien spekuliert
Gottschalks Vater war als Angestellter bei der Lufthansa und beim Flughafen Gewerkschaftsmitglied, die Mutter Chemielaborantin. Der Junior hatte es früh mit Zahlen, schippte für fünf D-Mark den Schnee der Nachbarn, sammelte sein Taschengeld in einem blauen Miniaturtresor aus Plastik. Mit 18 begann er, mit Aktien zu spekulieren, und zwar so erfolgreich, dass er sich mit 21 eine eigene Wohnung kaufte. Nach dem Studium heuerte Kay Gottschalk bei mehreren Versicherungskonzernen an, arbeitete als leitender Angestellter.
2013 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der AfD, der Finanzexperte eckte indes mit den damaligen Sprechern Bernd Lucke und Jörg Meuthen an, welche die Grenzen der Marktwirtschaft verschieben wollten. 2017 dann der Einzug in den Bundestag. Was noch kommen wird? "Ach", sagt Gottschalk, "auf jeden Fall auch ein Leben nach der Politik."