Parlamentarisches Profil : Die Zuversichtliche: Gesine Lötzsch
Die Linke ist in einer schwierigen Lage, aber die langjährige Haushaltsexpertin Gesine Lötzsch bleibt zuversichtlich. "Panik hilft ja auch nicht", sagt sie.
Seit 33 Jahren sitzt sie in Parlamenten, davon mehr als 20 im Bundestag, aber diese Woche "ist schon was Besonderes", sagt Gesine Lötzsch. Sie schlägt lange schwarze Stiefel übereinander. "Das Karlsruher Urteil ist in seiner Schärfe von niemandem erwartet worden."
Es ist 10.00 Uhr, der Terminkalender quillt über, aber beim Gespräch mit Lötzsch beschleicht einen der Eindruck, dass sich die Abgeordnete der Linken gerade alle Zeit der Welt nehmen würde. Was bestimmt ein Trugschluss ist. Aber nun redet sie erstmal über "das Urteil", also die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Umbuchungen von Geldern im Haushalt der Bundesregierung zu durchkreuzen. Nun fehlen 60 Milliarden Euro, und die Ampelkoalition steht vor Entscheidungen. "Es ist sträflich, wie unvorbereitet die Regierung auf den Richterspruch war", sagt Lötzsch. "Aber auch die Union hatte nicht mit dieser Bandbreite gerechnet." Sie selber habe damit gerechnet, dass eine längere Frist zur Korrektur eingeräumt werde. Seit 2005 ist sie haushaltspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Und nun? "Die Schuldenbremse sollte für 2024 ausgesetzt und langfristig abgeschafft werden", wirbt sie. "Für Investitionen braucht man Kredite. Wollen wir tatsächlich auf Kredite verzichten, um dann den nachkommenden Generationen eine marode Infrastruktur zu überlassen?"
Drei Jahre lang Vorsitzende des Haushaltsschusses
Die Welt der Zahlen betrat sie aus einer gewissen Not heraus. Lötzsch ist promovierte Philologin, sie kommt aus jener der Buchstaben. 2002 war ihre Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, und da Lötzsch ihren Wahlkreis Berlin-Lichtenberg direkt gewonnen hatte, gründete sie gemeinsam mit der Siegerin in Marzahn-Hellersdorf, Petra Pau, eine "Zwei-Frauen-AG" im Bundestag. "Der Haushaltsausschuss umfasst die gesamte Bandbreite der Politik, also musste ich da rein", erinnert sie sich. Lötzsch arbeitete sich ein. "Man muss die politischen Schwerpunkte erkennen, die sich durch die Zahlen abbilden", sagt sie, und: "Okay, die Grundrechenarten sollte man schon beherrschen." Zwischen 2014 und 2017 fungierte sie als Vorsitzende des Haushaltsausschusses.
Wer ihr 1990 vorhergesagt hätte, was ihr in der Politik bevorstehen würde, als sie damals für die PDS in die Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung einzog, hätte bei ihr nur Kopfschütteln ausgelöst. Damals hatte die CDU überraschend die letzte Volkskammerwahl gewonnen, und Lötzsch, Mitglied der SED seit 1984, war geschockt. "Das bestärkte in mir die Erkenntnis: Für Dinge, die einem wichtig sind, muss man sich selbst engagieren."
In der Politik wuchs dann rasch die Verantwortung. Schon 1991 zog sie in das Berliner Abgeordnetenhaus, übernahm Parteiämter. Und dann, seit den Nullerjahren bis heute direkt gewählte Bundestagsabgeordnete. Die Verantwortung ist in diesen Tagen besonders groß.
Klassische "Berliner Schnauze"
Die Linke steht unter Druck. Abgeordnete rund um Sahra Wagenknecht spalten sich ab, die Bundestagsfraktion steht vor der Auflösung. Und es steht wegen der Wahlpannen in Berlin bei der Bundestagswahl von 2021 eine Nachwahl an; verteidigt Lötzsch nicht wieder ihren Wahlkreis, und bleibt die Linke nach wie vor unter fünf Prozent, erblasst die bundespolitische Sichtbarkeit der Partei. Lötzsch muss liefern, mal wieder.
Sie sei vorbereitet, sagt sie. Das Wichtigste sei, auf die Menschen zuzugehen, ansprechbar zu sein - und dass die Menschen einen ansprechen wollen. Ihr Slogan? 'Ich passe auf Ihr Geld auf'". Sie lacht. Aber was ist mit dem Gewicht der Verantwortung? "Ich kann ja nichts anderes machen, als positiv da ranzugehen." Auch die Auflösung der Fraktion kommentiert sie mit einem: "Panik hilft ja auch nicht."
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Lötzsch redet schnell, zuweilen fällt es ihr schwer, die letzten Worte des Gegenübers abzuwarten. Aber dann folgt kein Monolog, es bleibt immer ein Diskurs, ein Ernstnehmen. Was anfangs schroff wirken mag, ist die klassische "Berliner Schnauze". Über ihrem Schreibtisch hängt ein Gemälde von Thomas Richter, ein Riesenfisch schnappt nach einem Menschen im Meer. Frisst er ihn oder rettet er ihn? "Ich denke positiv." Das muss sie auch.