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Linken-Fraktionsvize Ferschl : "Es gibt keine Einwanderung in die Sozialsysteme"

Linken-Fraktionsvize Susanne Ferschl über die Notwendigkeit der Fachkräfteeinwanderung und mögliche Gefahren für den Arbeitsmarkt.

02.05.2023
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5 Min

Frau Ferschl, als das Bundeskabinett Ende März die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes verabschiedete, warnten Sie vor einer Einwanderung in prekäre Beschäftigung. Weshalb?

Susanne Ferschl: Weil der Fachkräftemangel nicht in dem Maße vorhanden ist, in dem er von der Arbeitgeberseite gerne propagiert wird. Schaut man sich das Verhältnis der offenen Stellen und der Bewerber an, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldet sind, zeigt sich, dass in 82 Prozent aller Berufsgruppen die Zahl der Bewerber höher ist. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es einen Fachkräftemangel gibt, der in bestimmten Branchen auch stärker ist. Aber gerade in Branchen wie Gastronomie, Bau, Pflege, in denen er vermeintlich auch so hoch ist, führen schlechte Löhne und Arbeitsbedingungen dazu, dass die Menschen hierzulande sich etwas anderes suchen. Wenn dann mehr Menschen in einen zu schlecht regulierten Arbeitsmarkt kommen, sinkt der Preis natürlich entsprechend. Darum ist es wichtig, dass es gesetzliche Regelungen und eine hohe Tarifbindung gibt, um Einwanderung in prekäre Arbeitsverhältnisse zu verhindern, wie sie die Westbalkanregelung ermöglicht...

Foto: Ben Gross

Susanne Ferschl will Einwanderung in prekäre Arbeitsverhältnisse durch gesetzliche Regelungen und eine hohe Tarifbindung verhindern.

...die Menschen vom Westbalkan für jede Beschäftigung einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt eröffnet.

Susanne Ferschl: Genau. Das Problem ist, dass dafür nicht eine Tarifbindung zwingende Voraussetzung ist. Wir haben die Zahlen auch hier abgefragt: Danach wird ein sehr großer Teil der Menschen, die auf diesem Weg hier zu uns kommen, zu Niedriglöhnen beschäftigt. Ungefähr die Hälfte von ihnen arbeitet auf dem Bau, also einer der Branchen mit vermeintlichem Fachkräftemangel. Und genau in dem Bereich haben die Arbeitgeber den Branchenmindestlohn gekündigt. Da stellt sich schon die Frage, ob man hier weiter nur für "billige Arbeitskräfte" sorgen will. Deshalb wäre es wichtig, dass diese Menschen nach Tarif bezahlt werden müssen.

Die Tarifbindung ist aber schon seit langem rückläufig. Gerade Branchen wie die Gastronomie könnten dann weniger von solchen Regelungen profitieren, um ihrem Arbeitskräftemangel mit Drittstaatsangehörigen zu begegnen.

Susanne Ferschl: Unser Wunsch ist ja schon lange, dass Tarifverträge zum Beispiel in der Gastronomie für allgemeinverbindlich erklärt werden, damit sie flächendeckend gelten. Dann wäre natürlich auch dem Lohndumping Einhalt geboten. Ansonsten finde ich es richtig, dass Branchen, die für schlechte Arbeitsbedingungen bekannt sind, nicht von solchen Regelungen profitieren. Es ist gut, dass wir uns einer Fachkräfteeinwanderung öffnen. Aber dabei müssen die Bedingungen vor Ort stimmen, damit die Menschen, die zu uns kommen, ordentliche Bedingungen vorfinden, und damit sie nicht dazu benutzt werden, durch ein höheres Arbeitskräfteangebot das Lohnniveau auch für die inländischen Beschäftigten kaputt zu machen.

Die Regierung sagt, es werde keine Einwanderung zur Lohndrückerei geben .

Susanne Ferschl: Die Westbalkanregelung ist ein gutes Beispiel dafür, dass sie das nicht flächendeckend geschafft hat. Zwar gibt es an etlichen Stellen Regelungen, die das verhindern sollen, aber die sind nicht flächendeckend. Das Problem insgesamt ist eben, dass wir eine viel zu niedrige Tarifbindung haben. Deshalb ist eine der Stellschrauben, die Tarifbindung wieder zu erhöhen, insbesondere durch eine Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung.


„Ob sie wieder gehen, muss die Entscheidung dieser Menschen sein.“
Susanne Ferschl (Die Linke)

Von anderer Seite wird mit Blick auf die Neuregelung vor einer Zuwanderung in die Sozialsysteme gesprochen. Sehen Sie diese Gefahr auch?

Susanne Ferschl: Nein, die sehe ich nicht. Es gibt keine Einwanderung in die Sozialsysteme, weil diese Menschen für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssen und die Regelungen ja auch so gestaltet sind, dass sie zur Einreise einen Arbeitsvertrag beziehungsweise ein konkretes Arbeitsplatzangebot nachweisen müssen. Nicht wegzuleugnen ist aber, dass es etwa im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge zu Konkurrenzen kommen könnte: Wir haben zu wenig Kita-Plätze, zu wenig Wohnungen, die Schulen sind in keinem guten Zustand - und in dem Maß, in dem Menschen zu uns kommen, entsteht dann unter Umständen eine Konkurrenzsituation. Das ist aber nicht die Verantwortung der Menschen, die zu uns kommen, sondern es liegt in der Verantwortung der Bundesregierung, hier für ordentliche Bedingungen zu sorgen.

Künftig soll zur Arbeitskräfteeinwanderung ein ausländischer Abschluss und Berufserfahrung im Heimatland ausreichen. Ist das der richtige Weg?

Susanne Ferschl: Positiv ist, dass die Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen erleichtert wird - das fordern wir schon lange. Problematisch ist dagegen, dass jetzt auch verstärkt die Einwanderung in Helfer-Berufe etwa im Pflegebereich ermöglicht wird, weil dort eben die Gefahr des Lohndumpings vorhanden ist. Die richtige Antwort in diesen vermeintlichen Mangelberufen in der Gastronomie, der Pflege, auf dem Bau wäre ja eigentlich, dass sich die Arbeitgeber bemühen müssen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das werden sie aber nicht tun, wenn sie weiterhin - überspitzt formuliert - billige Arbeitskräfte zugeführt bekommen. Deswegen muss es hier Regularien geben, damit Menschen nicht als Mittel zum Zweck benutzt werden.

Derzeit kommen wieder mehr Flüchtlinge ins Land, nicht nur aus der Ukraine; trotzdem sucht Deutschland Fachkräfte aus dem Ausland. Wie kommt das?

Susanne Ferschl: Die Menschen, die aus humanitären Gründen zu uns kommen, erhalten zum Teil ja gar keine Arbeitserlaubnis, obwohl Arbeit ein super Mittel zur Integration ist. Aber bei der Bundesregierung liegt der Fokus darauf, möglichst viele entweder gar nicht hierher zu lassen oder wieder wegzuschicken. Nach wie vor gibt es die absurde Situation, dass Menschen aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus abgeschoben werden. Stattdessen müsste der Spurwechsel vom Asylsystem in den Arbeitsmarkt deutlich erleichtert werden.

Foto: Susanne Ferschl/Baur
Susanne Ferschl
Die 50-Jährige gehört dem Bundestag seit 2017 an und ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke. Im 19. Deutschen Bundestag war sie Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Foto: Susanne Ferschl/Baur

Könnte das die Bemühungen um die Fachkräfteeinwanderung ersetzen?

Susanne Ferschl: Nein, das glaube ich nicht. Wir brauchen Fortschritte auf allen Baustellen. Dazu gehört, dass das eigene Potenzial stärker gehoben wird: die hunderttausend Jugendlichen, die jährlich keine Ausbildung finden, die tausenden ohne Schulabschluss, oder auch die Frauen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Zweitens müssen wir denen eine Chance geben, die aus in einer Notsituation heraus zu uns kommen und gerne hier arbeiten wollen. Aber wir brauchen als dritten Punkt auch Fachkräfteeinwanderung.

Die Bundesregierung schreibt in ihrem Gesetzentwurf, ihr Ansatz solle auch den Interessen von Herkunftsländern dienen und "brain drain" vermeiden, also die Abwanderung von Fachwissen. Können Sie das erkennen?

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Susanne Ferschl: Nein. Dieser Punkt ist für mich nicht wirklich geregelt. Das ist natürlich gerade in Bereichen ein Problem, in denen die Herkunftsländer selbst in einer Mangelsituation sind. Es gab ja schon etliche Berichte insbesondere aus Osteuropa, von wo Pflegekräfte zu uns gekommen sind, weil sie hier ein besseres Einkommen haben, aber der Notstand sich dann in den Osten verschoben hat.

Sie haben eine dauerhafte Bleibeperspektive als eine Mindestvoraussetzung für Erwerbsmigration genannt. Verbaut das nicht Anreize, nach einiger Zeit wieder in das Heimatland zurückzukehren und sich dort einzubringen?

Susanne Ferschl: Ob sie wieder gehen, muss die Entscheidung dieser Menschen sein. Es geht nicht, dass gesagt wird, wir "benutzen" diese Menschen für vier Jahre und dann lassen wir sie fallen. Denken Sie an den Spruch "Wir rufen Arbeitskräfte, aber es kommen Menschen" - Menschen mit Familien, die eine entsprechende Infrastruktur benötigen, und die selbst entscheiden können müssen, ob sie hier bleiben wollen oder nicht.