Digitale Souveränität in Gefahr : Deutschland bleibt bei Open Source hinter den Erwartungen zurück
Experten kritisieren die fehlenden Fortschritte bei Open Source und warnen vor Kontrollverlust. Sie fordern Reformen im Vergaberecht und nachhaltige Investitionen.
Das Engagement der Bundesregierung im Bereich Open Source ist hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Es mangele vor allem an politischer Entschlossenheit, machte die Mehrheit der Sachverständigen in einer Anhörung des Digitalausschusses am Mittwoch deutlich. In der Diskussion darüber, wie freie Software in der öffentlichen Verwaltung besser gefördert und eingesetzt werden kann, betonten die Expertinnen und Experten mehrheitlich die Vorteile von Open-Source-Lösungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie wiesen auf notwendige Änderungen, etwa im Vergaberecht hin und unterstrichen die Notwendigkeit eines Kulturwandels.
Risiken wie Kontrollverlust und unkontrolliert steigende Lizenzkosten werden verhindert
Digitalexpertin Jutta Horstmann vom Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung (ZenDis), sprach von kritischen Abhängigkeiten und einem "massiven Kontrollverlust". Diese gefährdeten die Handlungsfähigkeit des Staates. Open Source könne helfen, Abhängigkeiten zu lösen, sagte die Expertin auch mit Blick auf die deutlich gestiegenen Kosten für den Bund, etwa für Softwarelizenzen. Der nächste Bundestag müsse daher verbindliche gesetzliche Rahmenbedingungen für den Einsatz in der behördeninternen IT schaffen und durchsetzen, die Verankerung im Onlinezugangsgesetz reiche nicht aus, so Horstmann.
Nötig seien nachhaltige, regelmäßige Investitionen des öffentlichen Sektors in das Open-Source-Ökosystem, sagte Adriana Groh von der Sovereign Tech Agency und wies darauf hin, dass es kritische Open-Source-Projekte gebe, die von wenigen, oft ehrenamtlichen Personen betreut würden, was Risiken berge.
Experten schlagen Reform des Vergaberechts vor
Oliver Grün vom Bundesverband IT-Mittelstand sagte, nach Erhebungen seines Verbands seien etwa 85 Prozent der Anbieter in Deutschland proprietäre Hersteller ("Closed Source"). Es brauche daher beide Ansätze, Open Source und proprietäre Modelle, um das Ziel der digitalen Souveränität zu erreichen. Grün schlug vor, im Vergaberecht eine "Europarechtstreue" einzuführen.
Peter H. Ganten (Open Source Business Alliance) betonte, um den Aufbau von Open-Source-Alternativen in der Verwaltung voranzutreiben, brauche es einen gesetzlichen Vorrang für Open-Source-Software bei der öffentlichen Beschaffung, etwa im Zuge einer Reform des Vergaberechts. Wenn man berücksichtige, wohin wesentliche Mittel für die Digitalisierung in der Legislaturperiode geflossen seien, sei nicht wirklich viel in Sachen Open Source erreicht worden. Die Finanzierung des ZenDis sei "nicht befriedigend", so Ganten.
Europäische Unternehmen, die auf Freie Software setzten, könnten mehr Eigenständigkeit ermöglichen, kämen aber mangels strategischer Beschaffung nicht ausreichend zum Zuge, sagte auch Alexander Sander von der Free Software Foundation Europe. Die Stiftung setze sich dafür ein, dass mit Steuergeldern bezahlter Code der Öffentlichkeit als freie Software zur Verfügung stehe - auch um eine Nachnutzung zu ermöglichen.
Beschleunigte Innovationen durch "Gaining by Sharing"-Ansatz
Dass Open Source mehr sei als ein technisches Konzept und für einen Ansatz der Transparenz, Zusammenarbeit und Innovation stehe, machte Helmut Krcmar, Krcmar Lab an der Technischen Universität München deutlich. Für den erfolgreichen Einsatz im staatlichen Kontext sei eine offene, innovationsfreundliche Verwaltungskultur und behördenübergreifende Zusammenarbeit notwendig, erläuterte Stefan Decker vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik. Er betonte die Rolle von Open Source als Innovationstreiber: "Ohne Open Source und offene Standards hätte es kein World Wide Web gegeben", sagte Decker.
Wie der Wandel zu Open Source angegangen werden müsste, erklärte die Strategieberaterin Isabel Drost-Fromm: Dieser müsse schrittweise und nutzerzentriert erfolgen, nötig sei eine Fehlerkultur. Die transparente und kollaborative Arbeitsweise ermögliche es, Brücken zu bauen: Im Sinne von "Gaining by Sharing" würden Kräfte gebündelt, von der Expertise aller profitiert und Innovationen deutlich beschleunigt.
Es brauche vor allem Mut, sagte Bianca Kastl vom Innovationsverbund öffentliche Gesundheit: Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag und gemessen an der Zahl der als Open Source beauftragten und öffentlich gemachten Software sei Open Source in dieser Legislaturperiode keine durchgängige Regel geworden. Der Pragmatismus während der Corona-Pandemie in Sachen Digitalisierung werde wieder benötigt, sagte Kastl. Die Aufnahme der Entwicklung und des Betriebs von Open-Source-Software in die Gemeinnützigkeit sei mehr als wünschenswert.