Digitalpolitik als Sicherheitsfrage : Union will Deutschland aus der digitalen Defensive holen
Während China Standards setze, fehle Deutschland eine Strategie in der globalen Digitalpolitik, moniert die Union. Das sei gefährlich für die Souveränität Europas.
Mitte April war es soweit: Auf der bayerischen A 9, nördlich von München, ist erstmals ein autonom fahrender Lkw von MAN im regulären Verkehr getestet worden. Mit am Steuer des Sattelschleppers auf der zehn Kilometer langen Strecke: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Bis zur Serienreife autonomer Lkw wird es noch einige Jahre dauern, doch die gesetzliche Grundlage dafür gibt es bereits seit Sommer 2021. Es handele sich um den ersten Rechtsrahmen weltweit, mit dem man solche Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen zulassen könne, hieß es aus Wissings Haus. Und: Deutschland nehme mit dem Gesetz die Spitzenposition in Europa ein.
Zwei Tage zuvor war Wissing in China, um eine gemeinsame Erklärung zu unterzeichnen und das Thema international voranzutreiben. Um die Technologie aus den Laboren auf die Straße zu bringen, gehe es auch um fairen Wettbewerb: "Dafür sind gemeinsame Standards und Normen wichtig", sagte Wissing in Peking. Und weiter: Man wolle auch Themen angehen, bei denen kein Konsens bestehe, etwa beim grenzüberschreitenden Transfer von Daten. China ist bekannt für eine zunehmend restriktive Datengesetzgebung.
Stärkere Rolle Deutschlands in der globalen digitalen Ordnung gefordert
Genau hier fordert die Opposition mehr Engagement von Minister Wissing, der das Digitale nicht nur im Namen des Ministeriums nach vorn rücken wollte. Wissings Internationaler Digitalstrategie fehle es an strategischem Anspruch und konkreten Maßnahmen, kritisiert die Unionsfraktion in einem Antrag, über den der Bundestag am Donnerstag erstmals debattierte. Zudem gehe das Schnittstellenthema "im Federführungsbingo" der Ampel unter, monierte Nicolas Zippelius (CDU). Deutschland müsse sich personell und inhaltlich mehr mit Partnern und systemischen Konkurrenten auseinandersetzen und weniger beachtete Felder wie etwa digitale Außenpolitik, digitaler Handel, Cybersicherheit und technische Standardisierung besetzen, so Zippelius.
Insbesondere der "Vormarsch Chinas" bei internationalen Standards und in Normierungsgremien und bei infrastrukturellen Bemühungen wie der "Digital Silk Road" sei "besorgniserregend", sagte Zippelius. Fraktionskollege Reinhard Brandl (CSU) fand noch deutlichere Worte. Das Internet sei eine "Arena". Nötig sei ein konkreter Plan, wie sich Deutschland in dieser Arena behaupten, Angreifer abschrecken und Souveränität gewinnen könne. Darauf gebe die Strategie keine Antwort, so Brandl. Dass man eine Situation habe, in der eine Person - Starlink-Inhaber Elon Musk - darüber entscheide, wie das ukrainische Militär Zugang zum Internet, zur Konnektivität habe, sei kein Zustand "mit dem wir leben können".
Globalen Süden mitdenken: Linke möchte Orientierung am globalen Gemeinwohl
Auch Anke Domscheit-Berg (Gruppe Die Linke) vermisste konkrete Ziele, Zuständigkeiten und Ressourcen, verwies aber darauf, dass der Antrag der Union die Defizite der Strategie ebenfalls nicht behebe. Die Folgen internationaler Digitalpolitik seien "unfassbar ungerecht" verteilt, sagte die Digitalpolitikerin. Den Nutzen habe der globale Norden, den Löwenanteil der Last trage der globale Süden. Statt Ausbeutung und Umweltzerstörung brauche es eine gemeinwohlorientierte Digitalpolitik mit einer globalen Perspektive.
Die Internationale Digitalstrategie auf einen Blick
🟢 Neun Grundsätze: Die Digitalpolitik Deutschlands soll sich laut Strategie an neun Grundsätzen ausrichten. Ganz oben steht der Schutz der Grund- und Menschenrechte "online wie offline".
🤝 Verstärkte Zusammenarbeit: Die Bundesregierung möchte sich künftig verstärkt international in Gremien einbringen.
🗺️ Mehr als 100 Beteiligte: An dem 16-Seiten-Papier haben unter anderem Wissenschaftler, Vertreter von Digital- und Wirtschaftsverbänden und internationaler Organisationen mitgewirkt.
Für die AfD-Fraktion kritisierte Eugen Schmidt, dass die Forderungen nur für andere Länder, nicht aber für Deutschland selbst gelten würden. So werde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nun durch das "noch striktere" Digitale-Dienste-Gesetz abgelöst, mit dem man zunehmend in die Privatsphäre der Bürger eindringen und Freiheitsrechte einschränken wolle, sagte Schmidt.
SPD: Ansiedlungen bei Halbleitern in Deutschland entfalten Sogwirkung
Redner der Koalitionsfraktionen betonten, dass sich viele Forderungen der Union bereits in der Strategie wiederfänden. So verwies Jens Zimmermann (SPD) darauf, dass man kritische Abhängigkeiten reduziere: Bei Computerchips etwa habe man in Magdeburg mit Intel 30 Milliarden Euro in die Halbleiter- und Chipindustrie investiert - "eine der größten Industrieansiedlungen nach dem Zweiten Weltkrieg", so Zimmermann. Die Ansiedlung entfalte zudem eine Sogwirkung,: Mit den Halbleiterherstellern TSMC und Infineon in Dresden oder dem Chip-Hersteller Wolfspeed im Saarland zeige sich, dass ein Ökosystem entstehe.
Tobias B. Bacherle (Grüne) betonte, dass es in der globalen Debatte entscheidend darum gehe, welches Menschenbild digitalisiert werde. "Die Strategie gibt eine klare Leitlinie für alle internationalen digitalpolitischen Vorhaben und Baustellen dieser Bundesregierung", sagte Bacherle.
Maximilian Funke-Kaiser (FDP) verwies mit Blick auf Fragen um Desinformation und Propaganda darauf, dass die Digitalpolitik inzwischen fundamental die Außen- und Sicherheitspolitik bestimme. Mit der Strategie trage die Bundesregierung der geopolitischen Dimension des digitalen Wandels endlich Rechnung: "Deutschland steht jetzt nicht mehr an der Seite, sondern prägt international die Entscheidungen aktiv mit", sagte der Liberale.