Atomausstieg : Der Plan funktioniert
Ende 2022 sollen alle Reaktoren stillgelegt sein. Der Ersatz durch Gaskraftwerke erfolgt jedoch nur zögerlich. Experten drängen auf zusätzliche Investitionsanreize.
Der Atomausstieg läuft nach Plan. Stufenweise geht ein Kernkraftwerk nach dem anderen vom Netz, zuletzt Ende 2019 das Kernkraftwerk Philippsburg 2. Bis Ende 2021 werden die Kernkraftwerke Grohnde, Grundremmingen C und Brokdorf abgeschaltet. Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 werden spätestens Ende 2022 vom Netz gehen.
Doch gewinnt die Diskussion um eine weltweite Renaissance der Atomkraft für eine CO2-freie und stabile Energieversorgung wieder an Raum. Vor allem Frankreich prescht mit der Vision neuartiger, angeblich sicherer Mini-Reaktoren vor und pocht auf deren "grüner" Anerkennung im Rahmen der anstehenden EU-Taxonomie.
Debatte um Renaissance der Atomkraft
Einzelne Manager wie Linde-Chef Steve Angel und sein designierter Nachfolger Sanjiv Lamba wagten sich kürzlich hierzulande aus der Deckung und bezeichneten den gesetzlich beschlossenen Atomausstieg als Fehler. "Wir werden einen Energiemix brauchen. Dazu gehört auch Atomkraft", zitiert das Handelsblatt Lamba.
Auch Ex-BASF-Chef Jürgen Hambrecht plädiert für eine Laufzeitverlängerung der Atommeiler in Deutschland. Angesichts des Atom- und Kohleausstiegs komme die Energieversorgung in Deutschland "schnell an Grenzen" sagte er dem Magazin "Cicero". Man brauche "eine Rückfalloption, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint".
Der langfristige Trend ist ungebrochen
Ist an diesen Forderungen was dran? Die verbliebenen Atommeiler in Deutschland verfügen über eine Bruttostromleistung von etwas über acht Gigawatt (GW). Dies entspricht rund 3,5 Prozent der gesamt installierten Netto-Stromerzeugungsleistung von 229 GW. Mit 60,9 Milliarden Kilowattstunden trugen sie im Jahr 2020 rund 12,5 Prozent zum deutschen Strommix bei, ein Minus gegenüber dem Vorjahr um 14 Prozent. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung 2020 knackte mit 50,5 Prozent (2019, 46 Prozent) erstmals die 50er Marke. Braunkohle lieferte 16,9 Prozent des Stroms (2019, 19,7), Steinkohle 7,3 Prozent (minus 28 Prozent gegenüber 2019).
Die Nettostromerzeugung aus Erdgas lag bei 12,1 Prozent, ein Plus von 11,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In ersten Halbjahr 2021 verschoben sich die Zahlen unter anderem aufgrund schwacher Windmonate und des anziehenden Energiebedarfs wieder etwas zu Lasten der erneuerbaren Energien. Verglichen mit dem ersten Halbjahr 2019 war die Stromerzeugung aus Kohle- und Kernkraftwerken aber auch 2021 niedriger. Das heißt: Der langfristige rückläufige Trend ist ungebrochen.
Bundesregierung bleibt zuversichtlich
Zuversichtlich in puncto künftiger Versorgungssicherheit und Energiewende zeigt sich die Bundesregierung. "Alle aktuellen Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass die sichere Stromversorgung in Deutschland auch künftig auf dem heutigen hohen Niveau gewährleistet bleibt. In den Analysen wird auch der Ausstieg aus der Kernenergie und die Beendigung der Kohleverstromung berücksichtigt", so das Bundeswirtschaftsministerium.
Doch klar ist, dass die Herausforderung, die Strom- und Energieversorgung des Industriestandorts Deutschlands auch ohne Atom- und Kohlemeiler zu sichern, sportlich bleibt. Neben dem beschleunigten Ausbau der Windkraft und Photovoltaik, der Netzinfrastruktur, der Energiespeicher und des intelligenten Lastmanagements braucht es flexible Gaskraftwerke, die mittels Kraft-Wärme-Kopplung die Strom- und Wärmeversorgung auch im Winter zuverlässig absichern, fordert der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ab sofort sollten die Gaskraftwerke zudem "H2 ready" gebaut werden, damit sie ohne Umrüstung mit erneuerbarem Wasserstoff und klimaneutralen Gasen betrieben werden können.
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Weil dies jedoch kurzfristig schon aus Gründen der mangelnden Verfügbarkeit großer zusätzlicher Mengen grünen Stroms kaum flächendeckend möglich ist, braucht es noch etliche Jahre fossiles Erdgas als Stütze der Versorgungssicherheit. So fordert das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) bis 2030 in Deutschland einen Zubau von 45 GW an gesicherter Leistung, vor allem flexibler Gaskraftwerke. Gerade einmal 2,7 GW verteilt auf zwölf Gaskraftwerke sind derzeit im Bau. Weitere fünf GW verteilt auf neun Gaskraftwerke sind laut Brancheninitiative "Zukunft Gas" in Planung. Dringend nötig seien deshalb zusätzliche Investitionsanreize.