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Energiewende : Schub für die Erneuerbaren

Die neue Bundesregierung steht in der Verantwortung für die Vorhaben zum Ausbau erneuerbarer Energien. Diese brauchen mehr Tempo, um den Klimawandel aufzuhalten.

15.11.2021
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5 Min

Bereits im Jahr 1993 schrieben deutsche Stromversorger in einer Zeitungsanzeige: "Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken." Dieses Zitat ist ein eindrucksvolles Relikt, doch keineswegs eine Ausnahme. Als die erneuerbaren Energien Mitte der 2000er Jahre bereits zehn Prozent des Strombedarfs deckten, hieß es, dass 20 Prozent unrealistisch seien. Und auch heute -2020 stammten immerhin 45 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Energien - gibt es immer noch die Skeptikerinnen und Skeptiker, die ein vollständig erneuerbares Energiesystem für unplausibel halten.

Foto: picture-alliance/imageBROKER/Lilly

Windräder sollen in Zukunft mehr als bisher dafür sorgen, dass der Strom durch Starkstromleitungen im Land verteilt wird.

Die deutsche Energiewende basiert auf dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das im Jahr 2000 im Kontext des damals geplanten Atomausstiegs eingeführt wurde. Mit festen Einspeisevergütungen für verschiedene erneuerbare Energien garantierte das EEG Investitionssicherheit und förderte Innovationen und sinkende Kosten. Damit verhalf es der Wind- und Solarenergie zum Durchbruch. Allein seit dem Jahr 2010 sind die Kosten für PV-Module um 90 Prozent gesunken. Das EEG war mehr als ein Jahrzehnt enorm erfolgreich. Zeitweise wurden die Ausbauziele des Gesetzes sogar deutlich übertroffen. Im vergangenen Jahr trug die Windenergie stärker zum deutschen Strommix bei als jede andere Energiequelle und gemeinsam erzeugten die Erneuerbaren mehr Strom als Steinkohle, Braunkohle und Erdgas zusammen.

Dramatischer Einbruch beim Ausbau der Windenergie an Land

Das EEG war ein Erfolg. Doch der heutige Zustand der Energiewende ist desaströs. Seit 2017 ist der Ausbau der Windenergie an Land dramatisch eingebrochen und streckenweise komplett zum Erliegen gekommen. Zwar deutete sich dieses Jahr wieder ein leichter Aufwärtstrend an, dennoch wird deutlich weniger ausgebaut als notwendig und im EEG angestrebt. Auf See sieht es nicht besser aus: Erstmals seit über zehn Jahren wird 2021 kein einziges Offshore-Windrad zugebaut. Bei der Solarenergie ist die Lage zwar etwas positiver, dennoch wird auch hier der historisch höchste Zubau der Jahre 2010 bis 2012 bei weitem nicht erreicht. Ein weiterer negativer Trend ist, dass die dezentrale, bürgernahe Energiewende auf dem Rückzug ist. In den frühen Jahren des EEG waren es gerade engagierte Bürgerinnen und Bürger, die etwa über Genossenschaften dezentral die Energiewende vorantrieben. Deren Anteil ist stark gesunken, was vor allem an bürokratischen Hürden liegt.

Der Ausbau erneuerbarer Energien kommt nicht schnell genug voran. Nicht einmal die zu niedrigen Ausbauziele des EEG werden erreicht. Die deutschen Klimaziele wurden im Sommer 2021 zwar deutlich verschärft. Damit ist ein Kohleausstieg bis 2030 unumgänglich. Doch dafür muss der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur wieder in Gang, sondern massiv beschleunigt werden. Erschwerend kommt hinzu: Energiewende ist mehr als Stromerzeugung. Auch im Verkehr, bei der Wärmeerzeugung und in der Industrie muss eine Energiewende stattfinden, sonst sind die Klimaschutzziele nicht erreichbar.

Mobilitätswende: Weniger motorisierter Individualverkehr nötig

Der Individualverkehr wird heute noch fast komplett mit Erdöl betrieben, lange veränderte sich hier kaum etwas. Erst langsam legen Neuzulassungen für reine Elektroautos zu und erreichten in den letzten Monaten einen Anteil von rund 15 Prozent aller Neuzulassungen - Tendenz steigend. Diese Dynamik lässt auf eine Trendwende hoffen. Gleichzeitig ist es aber mit der Antriebswende für Pkw nicht getan. Für eine echte Mobilitätswende braucht es weniger motorisierter Individualverkehr, dafür mehr Fuß- und Radverkehr sowie mehr Bus und Bahn. Und: Auch Lkw, Schiffe und Flugzeuge müssen auf Erdöl-basierte Treibstoffe bald verzichten. Die Wärme in Gebäuden wird zu drei Vierteln direkt mit Erdgas oder Heizöl erzeugt, das gilt auch für Fernwärme. Immer noch werden neue Gasheizungen eingebaut und die Sanierungsrate der Gebäude ist zu niedrig. Eine echte Energiewende fand hier bislang kaum statt. Dabei sind Lösungen verfügbar: Gebäude müssen energetisch saniert werden und sollten elektrische Wärmepumpen oder Wärmenetze mit erneuerbaren Energien nutzen. Dies umzusetzen könnte zur größten Herausforderung der Energiewende werden.

Auch die Industrie kann von der Nachfrage nach Klimaschutztechnologien stark profitieren. Doch auch dort braucht es einen Politikwechsel: Anstatt umfangreiche Ausnahmen für energie- und stromintensive Industrien zu gewähren, sollten ausreichend Anreize für Investitionen in klimaschonende Technologien gesetzt werden. Nur wenige Industriezweige - wie in der chemischen Industrie oder in der Metallerzeugung - weisen hohe Energiekosten und gleichzeitig eine hohe Exportintensität auf. Hier ist der Anpassungsdruck hoch. Die lange Nutzungsdauer der Anlagen erschweren die Transformation zusätzlich.

Ausbauziele für Wind- und Solarenergie an die Klimaziele anpassen

Fest steht: Wir brauchen zügiges und entschlossenes Handeln, um den Klimawandel aufzuhalten. Die Erneuerbare Welt birgt riesige Chancen - auch für mehr Lebensqualität. Die neue Regierung hat die einmalige Möglichkeit, das in Angriff zu nehmen. Wichtige nächste Schritte, um die Energiewende wieder auf Kurs zu bringen, sind: Erneuerbare massiv ausbauen, Probleme der Windenergie überwinden: Wir brauchen einen Ausbau-Turbo für Erneuerbare Energien. Dazu müssen die Ausbauziele für Wind- und Solarenergie an die Klimaziele angepasst und somit deutlich angehoben werden. Um der Windenergie wieder Rückenwind zu geben, sollte die finanzielle Teilhabe gestärkt, ausreichend Fläche zur Verfügung gestellt und Planungs- und Zulassungsverfahren beschleunigt werden. Naturschutz und die Nutzung der Windenergie können in Einklang gebracht werden, auch wenn die Windenergie massiv ausgebaut wird.

Schluss mit Kohle, Erdgas und Erdöl: Werden Wind- und Solarenergie schnell genug ausgebaut, ist ein beschleunigter Kohleausstieg bis 2030 möglich. Damit das CO2-Budget, das Deutschland im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015 zusteht, eingehalten werden kann, muss in dieser Legislaturperiode auch ein Ende von Erdöl und Erdgas eingeleitet werden. Andernfalls drohen Fehlinvestitionen, die uns noch teuer zu stehen kommen - entweder über hohe Ausgleichszahlungen aus Steuergeldern oder über ein Scheitern der deutschen Klimapolitik. Daher sollte die Bundesregierung keine neuen Erdgas-Pipelines und Flüssiggas-Terminals mehr zulassen, den Einbau von Erdgasheizungen zügig verbieten und den Abschied vom Verbrennungsmotor im Pkw-Bereich festschreiben.

Wasserstoff umweltfreundlich herstellen und zielgerichtet einsetzen: Allein "grüner" Wasserstoff, der umweltfreundlich und nachhaltig aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, ist emissionsfrei. Die Herstellung ist teuer, die Ressourcen sind begrenzt. Wasserstoff ist ein knappes, wertvolles Gut, das nur dort eingesetzt werden darf, wo es keine effizientere Alternative gibt. Sprich: Direktelektrifizierung ist immer besser. Die Herstellung von Wasserstoff aus Erdgas verursacht klimaschädliche Treibhausgase. Wer trotzdem in entsprechende Infrastrukturen investiert, verstärkt Abhängigkeiten und verhindert den Umstieg. Mobilitätswende ermöglichen: Es braucht hohe Investitionen in die Schiene und die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität. Eine Weiterentwicklung des Straßenverkehrsrechts kann dabei helfen, eine echte Mobilitätswende anstatt lediglich einen Technologiewechsel voranzutreiben.

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Umweltschädliche Subventionen abbauen: Zunächst sollten das Diesel- und das Dienstwagenprivileg abgeschafft werden. Sie sind sozial ungerecht, da sie vor allem höheren Einkommensbeziehern zugutekommen. Energiesteuern und -abgaben sollten stattdessen konsistent an den mit der Nutzung verbundenen Emissionen ausrichtet werden, um die richtigen Anreize zu setzen. Sozial gerecht ausgestaltet bildet dies einen wichtigen Hebel für den Klimaschutz.


Claudia Kemfert ist Professorin für Energieökonomie und Energiepolitik und leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Zudem ist sie Co-Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen.