Entlastung für Verbraucher und Unternehmen : "Die Preise müssen runter"
Der Bundestag verabschiedet die dritte Novellierung des Energiesicherungsgesetzes und debattiert über Maßnahmen zur Versorgungssicherheit im Winter.
Energiesicherheit. Dass der Begriff auch eine martialische, gar militärische Facette hat, ist spätestens mit dem russischen Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks in Saporischschja und den jüngst verübten Sabotageakten an Pipelines in der Ostsee klar geworden. Mehr und mehr schlägt sich das auch in der Wortwahl der hiesigen Politik nieder.
Lindner: Wir befinden uns im Energiekrieg
So verwies Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Begründung des 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirms der Bundesregierung am vergangenen Donnerstag darauf, dass Russland "international seine Energielieferungen als Waffe" einsetze.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte das Regierungspaket eine "große Entscheidung" - die den "Angriff von Putins Regime, auf unsere Volkswirtschaft" und die "demokratische Ordnung in Europa und in Deutschland abwehren" solle.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wiederholte tags darauf im Bundestag seine knappe Zeitdiagnose: "Wir befinden uns in einem Energiekrieg."
Der Strompreis hat sich seit Jahresbeginn verdoppelt. Die Politik ringt um die Entlastung von Verbrauchern und Unternehmen, die ihrerseits aufgefordert sind, weniger Energie zu verbrauchen.
Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, was in den vergangenen Wochen an zuvor undenkbaren Maßnahmen ergriffen wurde: Verstaatlichungen von Energieunternehmen, Treuhänderschaften, Energiepreisdeckel für Gas und Strom. Darüber hinaus Milliarden-Kredite, Milliarden-Entlastungen, Milliarden-Hilfsprogramme. "Die Preise müssen runter", so die Vorgabe des Kanzlers. Koste es, was es wolle?
Bis zu 3.000 Euro steuerfreie Prämien
Es wird an großen und kleinen Stellschrauben gedreht. Arbeitgeber können ihren Beschäftigten bis zu 3.000 Euro steuerfreie Prämien zur Abfederung der hohen Inflation zahlen. Die Umsatzsteuer auf Gaslieferungen, so wurde es am Freitag im Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen bei Enthaltung der Linken beschlossen, wird bis zum Frühjahr 2024 auf sieben Prozent gesenkt. Das gilt nun auch für Fernwärme. Kosten: 13 Milliarden Euro - und zwar zusätzlich zum 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm.
Der soll die hohen Energiekosten für Bürger und Unternehmen senken, indem unter anderem mehr Kapazitäten bei Wärme und Strom in den Markt gebracht werden soll: durch eine fortgesetzte Kohleverstromung, durch eine Streckung des Betriebs von Atomkraftwerken, durch den Aufbau von Flüssiggas-Terminals - und vor allem durch die Ausschöpfung aller Potenziale der erneuerbaren Energien.
Gasverbrauch reduzieren, Erneuerbare ausbauen
Dazu dient die inzwischen dritte Novellierung des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG3.0) und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften, die ebenfalls am Freitag im Bundestag beschlossen wurde - mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Union, gegen die Stimmen der AfD und Linken. Zur weiteren Reduzierung des Gasverbrauchs im Winter sieht das EnSiG3.0 eine nochmalige Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien vor, weitere Kapazitäten bei Wind und Sonne, Biogas sollen nicht länger gedeckelt, der Netzausbau forciert werden.
Nina Scheer (SPD) begrüßte den "Erneuerbare-Energien-Booster als einen rechtssicheren Weg, "um Energiesicherheit auch preislich zu gewährleisten".
Opposition kritisiert Abwehrschirm
Die Opposition nutzte die Plenardebatte, um über den Abwehrschirm zu reden. Grundsätzlicher Tenor aus der Unionsfraktion. In der Sache weitgehend richtig, aber zu spät, zu zaghaft, zu unklar. So bleibe völlig offen; wer wie viel wofür an Hilfe bekommen solle.
Jens Spahn (CDU) sagte, "Bazooka", "Zeitenwende", "Doppel-Wumms" - das seien tolle Schlagwörter, "aber die Taten müssen dann auch auf Höhe der Ankündigungen sein". Nach den "Rohrkrepierern" der Vergangenheit - Stichwort Gasumlage - "wäre es gut, wenn Sie jetzt einmal ins Schwarze träfen: "Machen Sie es schnell, machen Sie es richtig,", sagte Spahn. Das Land brauche Sicherheit und eine Perspektive.
Die AfD warf der Bundesregierung Aktionismus vor.. "Wenn man merkt, dass man auf dem falschen Weg ist, nützt es nichts, das Tempo zu erhöhen", sagte Marc Bernhard. Man könne ein Industrieland wie Deutschland einfach nicht mit Luft und Sonne betreiben: Wo solle die Energie herkommen, wenn nachts kein Wind weht, fragte Bernhard - "darauf bekommen wir keine Antwort von Ihnen".
FDP: Wir sind zum Problemlösen hier
Für FDP-Politiker Michael Kruse wurde in der zurückliegenden Woche zu viel über die Frage "Wer ist schuld?" und zu wenig über die Frage geredet, die außerhalb des Bundestages die am häufigsten gestellte sei: "Wie kommen wir raus aus dem Schlamassel?".Als Abgeordnete seien sie alle hier im Parlament, um Probleme der Wählerinnen und Wähler zu lösen. Deswegen tue die Bundesregierung alles, was nötig sei, um das Land vorzubereiten, damit es gut durch den Winter komme.
Klaus Ernst (Die Linke) ärgerte sich, dass der Bundestag sich am Freitag mit der Gaspreisanpassungsverordnung befassen sollte, während gleichzeitig die Regierung per Umlaufbeschluss die in Rede stehende Gasumlage beerdige. "Warum müssen wir darüber reden? Weil Sie ihre Arbeit nicht gemacht und den Unfug durchgezogen haben bis zum Ende", sagte Ernst.
Grüne wollen das Energiesparen forcieren
Grünen-Vertreterin Julia Verlinden griff die Mahnung der Bundesnetzagentur auf, dass trotz gefüllter Gasspeicher mehr in Energieeffizienz investiert - und vor allem in Privathaushalten noch mehr Energie gespart werden müsse.
Mit dem Osterpaket soll der Ausbau von Wind- und Solaranlagen massiv beschleunigt werden. Bis 2023 soll der Strom zu 100 Prozent klimaneutral sein. Energiekrise: "Abwehrschirm" mit "Doppel-Wumms"
Im Kampf gegen die hohen Energiekosten will die Bundesregierung nun auf Preisbremsen statt einer Umlage setzen. Nach Angriff Russlands auf die Ukraine: Neue Vorgaben für Gasspeicher
Um die Gasversorgung gewährleisten und die Abhängigkeit von Energieimporten zu vermindern beschließt der Bundestag Mindestfüllmengen für Speicher.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte am vergangenen Mittwoch dem Energie- und Klimaschutz-Ausschuss zu Fragen der Energieversorgungssicherheit Rede und Antwort gestanden. Müller sagte, es gebe drei relevante Stellschrauben für die Gasversorgung im Winter. Nach ausbleibenden Lieferungen aus Russland müsse erstens ein diversifizierter Gaszufluss organisiert werden.. Das passiere mit Lieferungen aus Norwegen, Belgien, Frankreich und dem Bau von Flüssiggasterminals.
Zweitens müssten die Gasspeicher befüllt werden. Da liege man über Plan. Und drittens müssten Industrie und Privathaushalte mehr als 20 Prozent einsparen. Industrieseitig geschehe das bereits durch Innovationen, Brennstoffumstellung ("fuel switch") und teilweise drastische Einschränkungen der Produktion. Auf Seiten der privaten Verbraucher beobachte man Einsparungen, die Anlass zur Hoffnung gäben, da sei aber noch Luft nach oben, ergänzte Müller.