Piwik Webtracking Image

Stromversorgung : Koalition streicht klimaneutrale Stromversorgung bis 2035

Der Bundestag beschließt eine Reihe von Gesetzen zum Ausbau der erneuerbaren Energien - mit zahlreichen Änderungen in letzter Minute.

11.07.2022
True 2024-10-28T12:42:36.3600Z
4 Min

Die Koalitionsfraktionen im Bundestag haben einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht. Mit einer Reihe von Gesetzen soll die Grundlage für eine klimaneutrale Stromversorgung geschaffen werden. Die Gesetzentwürfe passierten am Donnerstag in namentlicher Abstimmung überwiegend mit Koalitionsmehrheit das Haus, einzig das Wind-auf-See-Gesetz traf auch auf Zustimmung bei Linken und Union; die Linke enthielt sich beim Wind-an-Land-Gesetz. Am Freitag stimmte auch der Bundesrat den Gesetzen zu. Auf der Zielgeraden des parlamentarischen Verfahrens waren sie zum Teil nochmals umfangreich geändert worden. Die wichtigsten Neuerungen im Überblick:

EEG 23

Das umfangreichste Vorhaben ist das Gesetz "zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor" (20/1630), das die Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad ausrichten soll. Gestrichen wurde, auf Drängen der FDP, das Ziel einer klimaneutralen Stromversorgung bis 2035 - nun soll sie mit dem Ende des Kohleausstiegs starten. Die EEG-Umlage wird nicht nur auf null gesenkt, sondern dauerhaft abgeschafft. Auch das Ende der EEG-Förderung ist angelegt. So soll nach der Vollendung des Kohleausstiegs der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien marktgetrieben erfolgen.

Zudem sollen alle erneuerbaren Energien als im überragenden öffentlichen Interesse stehend gelten - inklusive der kleinen Wasserkraft. Der Ausbau der Photovoltaik wurde nochmals erheblich attraktiver gemacht, die in Frage kommenden Flächen ausgeweitet (so dürfen die Anlagen nun auf 500 statt nur 200 Meter breiten Seitenrandstreifen entlang von Autobahnen stehen); die Vergütung wird teils erhöht (so wird der Tarif zur Teileinspeisung von Strom aus PV-Anlagen bis zehn Kilowatt auf 8,6 Cent pro Kilowattstunde angehoben - im Entwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium waren es 6,93 Cent. Und es wird zugelassen, dass auf einem Dach in Zukunft Teil- und Volleinspeiseanlagen nebeneinander installiert werden können.

Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf sind in der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), einem Anhang des EEG, alle Vorschriften gestrichen, die den Wärmeverlust von Neubauten begrenzen.

Offshore-Wind

Das "Zweite Gesetz zur Änderung des Windenergie-auf-See-Gesetzes und anderer Vorschriften" (20/1634), das unter anderem Ausbauziele für Windenergie auf See festlegt, sieht jetzt die Einführung eines Industriestrompreises vor, mit dem der energieintensiven Industrie für die Transformation ausreichend erneuerbarer Strom zur Verfügung stehen soll. Zudem sollen geänderte Ausschreibungsregeln den Zugang für kleine Projektierer erleichtern. So sollen die zur Ausschreibung kommenden Flächen eine zu installierende Leistung von 500 Megawatt Offshore-Wind erlauben. Ursprünglich war eine zu installierende Leistung von mindestens 1.000 Megawatt vorgesehen. Auch haben die Regierungsfraktionen sich auf Klauseln für mehr Naturschutz geeinigt. Eine Festlegung von Flächen für Offshore-Wind in einem Naturschutzgebiet darf nun erst erfolgen, wenn die gesetzlich festgelegte Menge an Gebieten anders nicht erreicht werden konnte.

Wind an Land

Das "Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land" (20/2355), das unter anderem das Ausbauziel von zwei Prozent der Bundesfläche für die Windenergie festschreibt, wurde leicht abgeschwächt. Die Bundesländer müssen nun erst ein Jahr später - 2027 statt 2026 - das Zwischenziel der im Gesetz verankerten Flächenziele erreichen. Zudem können die Bundesländer nun bis zu 50 Prozent der Flächen untereinander tauschen. Ursprünglich war nur der Tausch von 35 Prozent der Fläche erlaubt.Im Falle eines Tauschs verpflichtet sich ein Bundesland gegenüber einem anderen, mehr Fläche auszuweisen, als gesetzlich notwendig - der "Tauschpartner darf entsprechend weniger ausweisen, ohne gegen die Vorgabe zu verstoßen. Stadtstaaten können sogar 75 Prozent der Flächen tauschen.

Naturschutz

Ebenfalls nachgearbeitet wurde beim "Vierten Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes" (20/2354). Unter anderem soll das Repowering von Windkraftanlagen erleichtert werden. Das Bundeswirtschaftsministerium wurde damit beauftragt, eine Formel für die Kollisionswahrscheinlichkeit zwischen Vögeln und Windkraftanlagen vorzulegen.

Ersatzkraftwerke/EnSig

Das "Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage durch Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften" (20/2356), das nicht zum "Osterpaket" gehört, wurde auch nochmals gerändert. So sollen Gaskraftwerke nicht mehr mit einer Vertragsstrafe (Pönale) belegt werden. Ursprünglich sah der Entwurf vor, dass Gaskraftwerke im Gasversorgungsnotfall maximal sechs Monate lang mit diesem Malus belegt werden können, damit ihr Einsatz am Strommarkt unwirtschaftlicher wird.

Mehr zum Thema

Nahaufnahme einer Gasflamme am Herd
Energiesicherheit: Der Staat kann eingreifen
Der Bundestag billigt der Regierung mehr Kompetenzen zu.
Zwei Uniper Mitarbeiter arbeiten an der Anlage.
Energiekrise: Schutzschirm für Uniper
Deutschlands größter Gashändler hat Unterstützung durch die Bundesregierung beantragt.
Michael Grosse-Brömer im Anzug mit Krawatte und Brille legt Unterlagen ab.
Michael Grosse-Brömer im Interview: "Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen"
Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Michael Grosse-Brömer, über Staatshilfen für Uniper, Laufzeitverlängerungen für AKWs und die Schuldenbremse.

Auf Drängen der Grünen-Fraktion finden sich im Gesetz jetzt Hürden für die Rückkehr alter Braunkohlekraftwerke: Im Prinzip dürfen diese nun erst an den Strommarkt zurückkehren, wenn die Steinkohlekraftwerke nicht in dem gewünschten Maße Gaskraftwerke verdrängen. Zudem soll vorher überprüft werden, welche Auswirkungen der Betrieb alter Braunkohleanlagen auf die Trinkwasserversorgung hat.

Von einer Neuregelung im Energiesicherheitsgesetz (EnSig) könnte jeder einzelne Gaskunde betroffen sein: Per Umlage sollen künftig die steigenden Kosten der Gasbeschaffung auf alle Gasverbraucher verteilt werden.