Sorgen vor neuer Bankenkrise : Milliarden im Feuer
15 Jahre nach der großen Krise zeigen sich wieder Risse im Finanzsystem. Kanzler Scholz versucht, zu beruhigen.
Aus und vorbei: Touristen machen Erinnerungsfotos vor einer Credit Suisse-Niederlassung.
Zehn Jahre nach der Finanzkrise von 2008 zog der Bundesfinanzminister eine Bilanz: "Allein den Bund dürfte die Stabilisierung des hiesigen Finanzsektors bislang etwas mehr als 30 Milliarden Euro gekostet haben. Ähnlich hoch dürfte der Anteil der Länder sein." Weitere fünf Jahre später ist Olaf Scholz nicht mehr Finanzminister, sondern Bundeskanzler. Und wieder wackeln Finanzhäuser, wird über die Rückkehr der Finanzkrise spekuliert.
Nach den Zusammenbrüchen mehrerer amerikanischer Banken und einer Notfusion der Schweizer Credit Suisse (CS) mit der UBS gerieten die Kurse deutscher Institute unter Druck. Die Aktie der Deutschen Bank fiel an einem Tag zeitweise um 15 Prozent, die Commerzbank-Aktie rauschte auch in die Tiefe. Scholz musste an die Mikrofone und beruhigen: "Es gibt keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen. Die Deutsche Bank hat ihr Geschäftsmodell grundlegend modernisiert und neu organisiert und ist eine sehr profitable Bank."
Das Kanzler-Wort erinnert etwas an das Versprechen von Scholz' Vorgängerin Angela Merkel von 2008, die nach Bekanntwerden von Milliarden-Löchern beim damaligen DAX-Konzern Hypo Real Estate (HRE) und einem drohenden Ansturm auf Bankschalter und Geldautomaten versichert hatte: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind." Ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) pflichtete bei: "Ich möchte gerne unterstreichen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren." Später versprach Merkel: "Wir wollen nicht, dass die Steuerzahler Banken retten müssen, sondern dass Banken sich selber retten."
Regulierungsziele wurden nicht erreicht
Nach dem Abflauen der Krise lief weltweit eine schärfere Regulierung der Finanzwelt an. Unter dem Stichwort "Basel" (nach dem Sitz des internationalen Ausschusses für Bankenaufsicht) sollte in mehreren Stufen das große Zocken eingeschränkt und das Eigenkapital der Institute gestärkt werden. Von Washington bis Berlin hieß die Devise, dass Banken sich im Krisenfall selbst abwickeln sollten, wobei die Einlagen der Sparer geschützt sein sollten. Der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) brachte die Sache auf den Punkt: "Wenn Banken insolvent werden, dann können nicht die Steuerzahler das Risiko übernehmen, das müssen dann schon diejenigen, die in guten Zeiten mit Banken und mit Geldanlagen Geld verdienen. Die tragen auch das Risiko." Also Aktionäre und Anleihegläubiger sollten haften müssen.
15 Jahre später und einige Bankpleiten weiter ist klar, dass die hohen Regulierungsziele nicht erreicht worden sind. Die Ursachen sind heute allerdings andere: Geriet das Finanzsystem 2008 wegen fauler Immobilien-Kredite aus den USA (Subprime-Krise), die zu Wertpapieren zusammengeschnürt worden waren, ins Schlingern, so lösten seit März 2022 Zinsanhebungen durch die Notenbanken von der amerikanischen Fed bis zur europäischen EZB die Probleme aus. Die Notenbanken bekämpfen damit die hohe Inflation.
Die gestiegenen Zinsen wirken sich auf die Kurse von Anleihen aus. Als besonders sicher gelten US-Staatsanleihen, mit denen sich Washington Geld von den Anlegern besorgt und die auch von Banken gehalten werden. Aber auch sie haben ein Kursrisiko. Das Kursrisiko bedeutet: Hat eine zehnjährige Anleihe über 1.000 Dollar etwa einen Zinssatz von zwei Prozent und steigt der Marktzins auf vier Prozent, kann der Kurs der Anleihe drastisch fallen. Es entstehen sogenannte Buchverluste, die allerdings so lange keine Auswirkung haben, wie der Halter der Anleihe diese nicht verkaufen muss. Wird das Papier bis zur Fälligkeit gehalten, verschwindet der Buchverlust wie von Zauberhand und die Anleihe wird zu 100 Prozent ihres Nennwerts zurückgezahlt. Es gibt Schätzungen, dass in den Büchern von US-Banken 620 Milliarden Dollar unrealisierte Verluste stehen sollen. Auch diese Verluste würden sich in Luft auflösen, wenn die Anleihen bis Laufzeitende gehalten werden könnten.
Banken in den USA kollabieren
So viel Zeit hatte die Silicon Valley Bank (SVB), die Hausbank vieler Start-ups aus USA und Europa, allerdings nicht. Sie hatte hohe Anleihenbestände. Start-ups hatten ihre in Finanzierungsrunden eingesammelten Gelder bei der SVB geparkt und diese das Geld in Anleihen gepackt.
Am 9. März beginnen Anleger aufgrund von Gerüchten Geld bei der SVB abzuziehen, der Aktienkurs geht auf Tauchstation. Zuvor hatte der Chef der SVB eigene Aktien im Wert von 3,6 Millionen Dollar verkauft. Am 10. März wird der Handel mit SVB-Aktien ausgesetzt, zwei Tage später gibt es von der US-Finanzaufsicht eine unbegrenzte Einlagengarantie (eigentlich beträgt diese 250.000 Dollar), und die US-Notenbank beginnt ein Programm, mit dem sie den Banken Geld gibt. Als Sicherheit werden Anleihen akzeptiert, ohne dass deren Kursverluste mitgerechnet werden. Dennoch kommt es in den nächsten Tagen zu schweren Kursverlusten bei anderen US-Banken und mehreren Zusammenbrüchen, zum Beispiel der "First Republic Bank", die schnell 30 Milliarden Dollar von anderen US-Banken bekommt.
Auch in der Schweiz verschärft sich das Banken-Drama im Februar, als die Credit Suisse einen Verlust von 7,3 Milliarden Schweizer Franken für 2022 bekannt gibt. Schon zuvor war das einst angesehene Geldhaus durch Pannen und Fehlinvestitionen aufgefallen. 2021 hatte CS bei der Pleite des Hedgefonds Archegos fünf Milliarden Franken im Feuer, bei der Insolvenz der Greensill-Bank (2021) waren es 6,7 Milliarden. Fälle von Korruption und Geldwäsche rundeten das Bild ab. Geld für Boni für Banker war immer genug da: 32 Milliarden Franken wurden seit 2013 gezahlt.
Aufseher prophezeien unruhige Zeiten
Am 15. März gibt der saudische CS-Großaktionär bekannt, kein weiteres Geld mehr nachschießen zu wollen. Einen Tag später gibt die Schweizer Notenbank eine Liquiditätshilfe von 50 Milliarden Franken, und am Sonntag, dem 19. März, führen die Schweizer Behörden in einer Blitzaktion die CS und die UBS zu einer Bank zusammen (Notfusion). Als am Montag die Börsen öffnen, halten die Rettungsseile, auch wenn es in den USA noch kleinere Turbulenzen gibt.
Doch Gefahren sind noch da, sagt selbst die Bankenaufsicht. So rechnet die europäische Bankenbehörde Eba nach der SVB-Pleite und der Schweizer Notfusion weiter mit unruhigen Zeiten. "Die Risiken im Finanzsystem sind nach wie vor sehr groß",erklärt Eba-Chef José Manuel Campa gegenüber dem "Handelsblatt". Die steigenden Zinsen würden die Finanzmärkte belasten. Die Eba habe die aufgrund der gestiegenen Zinsen angefallenen unrealisierten Verluste in den Bankbilanzen genau im Blick, sagt Campa. Er erwartet aber nicht, "dass wir bedeutende Institute finden, bei denen es wegen unrealisierter Verluste signifikante Solvenzrisiken gibt." Die drastische Zinswende erhöhe eben nicht nur die Ertragschancen der Banken, sondern auch die Risiken.
Aber warum kippen immer wieder Banken, was wie nach 2008 große Wirtschaftskrisen nach sich ziehen kann? Für Gerhard Schick von der Bürgerbewegung Finanzwende ist der Fall klar: Die Finanzlobby habe seit 2008 beständig Regeln für ein stabileres System verhindert. Die Regierungen seien immer wieder eingeknickt. "Auch 15 Jahre nach der Lehman-Brothers-Pleite ist das Finanzsystem viel zu krisenanfällig", argumentiert Schick. Es gebe jetzt zwar eine im Zuge der Euro-Krise eingerichtete europäische Bankenaufsicht und Maßnahmen gegen Spekulation, aber nicht umgesetzt worden seien ein Provisionsverbot, die Regulierung von Schattenbanken, eine europäische Einlagensicherung, eine Finanztransaktionssteuer und ein Trennbankengesetz. Auch Steinbrück räumt inzwischen ein, dass es ein Fehler war, kein Trennbankengesetz gemacht zu haben. Damit wären die risikoreichen Investmentteile der Finanzhäuser von anderen Bereichen wie Zahlungsverkehr getrennt worden.
Nervosität auch bei Immbolien
Überhaupt ist es ein Problem, wenn Banken zu groß werden: Die Bilanz der fusionierten UBS ist doppelt so groß wie das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz. Sie könnte damit "Too Big to Fail" (zu groß zum Scheitern) und auf Staatsgeld angewiesen sein, falls das die Schweiz nicht überfordert.
In Immobilienbereich steigt ebenfalls die Nervosität. Wie in den USA gibt es Probleme bei Krediten für Gewerbeimmobilien auch in Europa. Steigende Zinsen und sinkende Vermietungsquoten werden zum Problem. Auch die Wohnungswirtschaft leidet. Die Aktien deutscher Immobilienunternehmen wie Vonovia oder LEG markieren regelmäßig neue Tiefststände.
Um Einschläge wie durch faule Immobilienkredite zu überstehen, muss genug Eigenkapital vorhanden sein. Doch das ist bei den Banken nicht der Fall. Zwar gebe es durch die Basel-Beschlüsse höheres Eigenkapital als vor der Finanzkrise, aber um den Sektor zu stabilisieren, müssten die Banken etwa zehn Prozent Eigenkapital im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme haben, sagt Schick. Bisher seien es vier bis fünf Prozent bei großen Banken, deutlich weniger als in anderen Branchen. Wenn bei Problemen zu wenig Eigenkapital da sei, sei wieder der Staat gefragt.
Das sieht der frühere Chef des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn genauso: "Die Banken arbeiten mit ganz wenig Eigenkapital. Wenn es gut geht, haben sie schöne Erträge, die sie als Dividenden an ihre Eigentümer ausschütten." Und was ist, wenn es schief geht, wurde Sinn bei "The Pioneer" gefragt. Antwort: "Es ist halt wie immer. Wenn es wirklich brenzlig wird, dann übernimmt am Schluss der Steuerzahler die Rechnung."