Subventionen für die Landwirtschaft : Ökonomen geben Ampel bei Agrardiesel Rückhalt
Wirtschaftswissenschaftler zeigen wenig Verständnis für die Finanzhilfen für Bauern, kritisieren aber die hohe Regulierung.
Gegen wütende lautstarke Proteste musste Finanzminister Lindner bei der Bauern-Demo vor dem Brandenburger Tor anschreien. Von Ökonomen erhält er dagegen Rückhalt.
Für ihre Proteste ernteten die Landwirte in den vergangenen Wochen durchaus Zustimmung in der Bevölkerung. Ökonomen gehören aber eher nicht zu den Unterstützern der Bauern. Nahezu einhellig plädieren sie für die Abschaffung des Privilegs für Agrardiesel. "Berlin ist zu schnell umgekippt", kritisiert etwa Jan Schnellenbach, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Mikroökonomik, an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, auf Anfrage. Sein Nachgeben hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Demonstration der Bauern vor dem Brandenburger Tor selbst eingestanden: "Ihr Protest war bereits erfolgreich", rief er der wütenden Menge entgegen.
Schrittweiser Abbau der Diesel-Subvention bis 2028
Die Ampel-Koalition hat ihren ursprünglichen Plan, zur Haushaltskonsolidierung die Subventionen für Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirte zu streichen, rasch wieder kassiert, nachdem die Bauern deutschlandweit ihre massiven Proteste gestartet hatten. Jetzt soll die 440 Millionen Euro schwere Diesel-Subvention erst schrittweise bis 2028 vollständig abgebaut werden, die Steuerfreiheit für Kfz wird nicht angetastet.
Dabei hatte der Sachverständigenrat Wirtschaft bereits in seinem Jahresgutachten 2019 ein Ende der Subventionen für Agrardiesel gefordert. Auch Friedrich Heinemann, Wirtschaftsforscher am ZEW - Leibniz-Zentrum in Mannheim, mahnt, dass "die exklusive Förderung" von Agrardiesel "eine energieintensive umweltschädliche Produktionsform" fördere. Heinemann war auf Vorschlag der SPD-Fraktion am 15. Januar als Sachverständiger bei einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses. Er sieht Möglichkeiten zur Diesel-Einsparung etwa "bei der Wahl der Anbaupflanzen, der Entscheidung über die Bodenbearbeitung und Pflanzenschutztechniken bis hin zur Gewichtung des Dieselverbrauchs bei der Fahrzeugauswahl".
Allerdings ist es nicht so, dass die Landwirte auf keinerlei Verständnis bei Ökonomen stießen. "Ich kann die Bauern verstehen, wenn sie sich gegen die immer stärkere Regulierung wehren", sagt Ökonom Schnellenbach. "Es kommt vor, da hat ein Landwirt gerade einen neuen Stall gebaut, und dann kommt sofort eine neue Regulierung, und er muss seinen Stall wieder umbauen." Der Volkswirt fordert: "Aus ordnungspolitischer Sicht ist mehr Kontinuität geboten. Außerdem müsste die deutsche Politik ihre Ambitionen ändern, oft das strengste Regulierungsniveau in der Europäischen Union zu haben."
Schnellenbach: Landschaftsschutz ist kein Argument für Diesel-Subvention
Auch Subventionen für öffentliche Güter seien aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt, erklärt Schnellenbach. Wenn Bauern Leistungen im Bereich Landschaftspflege und Umweltschutz erbringen, sei das durchaus ein Grund dafür, dass sie öffentliche Finanzhilfen erhalten. "Aber dafür gibt es bereits Fördertöpfe, und das ist sicher kein Argument für die Steuerfreiheit des Agrardiesels", sagt Schnellenbach. Der Sachverständige Heinemann sagt dazu: "Eine Dieselsubvention oder eine pauschale Hektarprämie haben Effekte wie höhere Land- und Pachtpreise, sie führen zu Verhaltensänderungen in Richtung eines größeren Dieseleinsatzes, die Landschaft hat aber erstmal nichts davon."
Hohe Subventionen, hohe Regulierung und dazu noch hohe Zölle für die Abschottung der Landwirtschaft vor internationaler Konkurrenz - diesen Weg geht seit Jahrzehnten die Schweiz. Ein Vorbild für Deutschland? "Bloß nicht", sagt Patrick Dümmler von der Denkfabrik Avenir Suisse auf Anfrage. "Für die Steuerzahlenden und Konsumenten ist unsere Agrarpolitik eine der teuersten der Welt." Dümmler zufolge stammen bei den eidgenössischen Bauern knapp 50 Prozent der Einnahmen aus Subventionen. "In der EU sind es im Mittel weniger als 20 Prozent, in den USA rund zehn und in Neuseeland und Australien etwa ein Prozent", sagt der Ökonom.
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Laut Berechnungen von Ian Mitchell und Arthur Baker vom Think Tank Center of Global Development für das Jahr 2017 - aktuellere Daten gibt es nicht - erhalten deutsche Landwirte im Schnitt 14 Prozent ihrer Einnahmen aus Staatshilfen. In Frankreich sind es 19 Prozent, in Polen 21 und in Österreich 23 Prozent, in Belgien allerdings nur elf und in den Niederlanden gar nur sieben Prozent.
Argument Versorgunssicherheit ist "schlicht Unsinn"
Wie in Deutschland, so würden auch in der Schweiz die hohen Agrarsubventionen mit dem Argument der Versorgungssicherheit verteidigt. "Aber das ist schlicht Unsinn", schimpft Dümmler und verweist auf die Kriegsjahre 1943 und 44: "In dieser Zeit musste die Schweiz bis zu 20 Prozent der nötigen Kalorien für die Versorgung der Bevölkerung importieren, das klappte, obwohl um uns herum der Krieg tobte."
Auch Ökonom Schnellenbach sieht keinen Grund für deutsche Autarkie-Gedanken: "Wir haben die Europäische Union und damit einen Binnenmarkt mit 27 Ländern, von denen wir Agrarprodukte beziehen können.". Im Welthandel gebe es keine Abhängigkeit von bestimmten Ländern. "Das ist anders als beim russischen Gas", sagt Schnellenbach und ergänzt: "Wenn es effizienter ist, Getreide andernorts in der Welt zu produzieren, dann nutzen wir doch einen Teil unserer Flächen hier anders, vielleicht ökologischer."