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Foto: picture-alliance/dpa/Sebastian Gollnow
Überall in der Republik ließen die Landwirte die Ampel ihren Unmut spüren. Die teilweise Rücknahme der geplanten Kürzungen reichte ihnen nicht aus.

Proteste gegen Kürzungen : Die Wut der Bauern

Deutschlands Landwirte beklagen den agrarpolitischen Schlingerkurs, der lange zurückreicht. Die Kompromissvorschläge der Ampel stoßen auf Kritik.

19.01.2024
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5 Min

Mehrere Tausend Bauern demonstrieren in Berlin gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Die Veranstalter sprechen von 40.000 Teilnehmern - und die Polizei zählt 8.600 Trecker, mit denen die Bauern das Zentrum der Hauptstadt lahmgelegt haben. So stand es in den Nachrichten vom 27. November 2019. Etwas mehr als vier Jahre später, im Januar 2024, demonstrieren die Landwirte in Deutschland mehr als eine Woche lang, bundesweit sollen nach Angaben des Bauernverbandes dafür "über 100.000 Trecker und zigtausende Landwirtinnen und Landwirte auf der Straße gewesen sein". Die Bauern sind wütend über die Agrarpolitik der Bundesregierung. Sie beklagen Haushaltskürzungen, aber vor allem die mangelnde Planungssicherheit im Umbau für mehr Tierwohl und Klimaschutz sowie die geringe Wertschätzung für ihre Arbeit.

Die Protestwelle dauert an

Den Adressaten in der Ampel-Regierung ist die Anspannung anzusehen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatten sich auf verschiedenen Protestaktionen den Landwirten gestellt. Angespannt stand Özdemir auf der Bühne am Brandenburger Tor und hörte sich fast 90 Minuten lang die Kritik an der Agrar- und Sparpolitik der Bundesregierung an. Minister Lindner brüllte Anfang dieser Woche bei einer Großkundgebung in Berlin minutenlang gegen laute Buh-Rufe, Hupen und Pfiffe der Landwirte an und wurde als "Lügner" und "Heuchler" beschimpft. Obwohl sich die Ampel-Koalition dafür entschieden hatte, dass es doch keine Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft geben wird und die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel in mehreren Schritten bis 2026 vollzogen werden soll, nimmt der Protest kein Ende.


„Die Politik muss aufhören, nur in Legislaturperioden zu denken.“
Theresa Schmidt, Vorsitzende der Landjugend

Der Bauernverband will die Demonstrationen mit Beginn der Internationalen Grünen Woche an diesem Freitag fortsetzen. Um den Agrardiesel allein geht es den Landwirten längst nicht mehr. Als Antwort auf die Proteste von 2019 hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Einsetzung der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auf den Weg gebracht. Das Gremium bestand aus 31 Mitgliedern. Wissenschaftler und gesellschaftliche Akteure haben zusammen mit Praktikern Empfehlungen für eine praxistaugliche Transformation hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft zusammengetragen. Der 170-seitige Abschlussbericht wurde der Bundeskanzlerin im Juli 2021 übergeben. In dem Papier ist von einer ökonomischen Krise der Landwirtschaft die Rede und von einer Wirtschaftsweise der Landwirte, die weder ökologisch noch ökonomisch oder sozial zukunftsfähig sei.

Der Fleischkonsum geht zurück

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Doch für die Handlungsanweisungen zu einem Umbau der Tierhaltung, weniger Fleischkonsum, mehr pflanzlicher Nahrung und Klimaschutz fanden sich weder finanzielle Mittel, noch zogen alle Vertreter aus der Landwirtschaft mit. Die Zukunftskommission hatte einen Finanzbedarf von sieben bis elf Milliarden Euro pro Jahr errechnet. Nach dem Regierungswechsel hatte Minister Özdemir zwar angekündigt, die Arbeit der ZKL fortzusetzen, doch bei der Ankündigung blieb es.

Ebenfalls 2019 wurde von Özdemirs Amtsvorgängerin, der CDU-Politikerin Julia Klöckner, das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung eingesetzt. Auftrag des Expertengremiums war die Ausarbeitung eines Handlungskonzepts für den ökologischen Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland. Geleitet wurde das Gremium von dem ehemaligen Landwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU), weshalb das Netzwerk auch Borchert-Kommission genannt wurde. Anfang 2020 stellte die Borchert-Kommission ihre Empfehlungen vor. Sie sahen den Umbau der Nutztierhaltung bis 2040 vor. So sollte in einem ersten Schritt bis 2030 zunächst der gesetzliche Standard für die Nutztierhaltung auf die erste Stufe des staatlichen Tierwohlkennzeichens erhöht werden.

Die Nutztierhaltung soll umgebaut werden

Bis 2040 sollte dann die zweite Stufe des Kennzeichens zum Mindeststandard werden. Doch auch diese Vorhaben hätten viel Geld gekostet. Die Experten hatten zwischen 2,9 bis 4,3 Milliarden Euro pro Jahr für den Umbau der Tierställe veranschlagt. Die Borchert-Kommission löste sich im August 2023 auf. Das Expertengremium teilte damals mit, weder die vorherige noch die aktuelle Bundesregierung hätten die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung ihrer Empfehlungen geschaffen.

Die deutsche Landwirtschaft in Zahlen

📉 Die Zahl der Agrarbetriebe ist laut Statistischem Bundesamt auf 255.000 gesunken, 7.800 weniger als 2020.

💰 Laut Agrarbericht der Regierung gibt es große Schwankungen beim jährlichen Einkommen, bei Haupterwerbsbetrieben waren es 26.900 Euro (2015/16) und 46.100 Euro (2021/22).

📈 Die Pachtpreise stiegen zwischen 2010 und 2022 im Bundesschnitt um 67 Prozent an und lagen bei 380 Euro/ha.

🌲 Die ökologisch bewirtschaftete Fläche stieg seit 2020 um 16 Prozent auf aktuell 1,85 Millionen Hektar, das sind elf Prozent der landwirtschaftlichen Flächen.



Noch immer favorisieren Teile der Landwirtschaft die Ergebnisse der Borchert-Kommission. Und nun hat vor wenigen Tagen auch Minister Özdemir die Einführung einer Tierwohlabgabe in die Debatte eingebracht. Allerdings haben Kritiker bereits kurz nach Bekanntwerden der Borchert-Pläne davor gewarnt, dass mögliche Mehrwertsteuererhöhungen zwar denkbar seien, aber eine strikte Zweckbindung der Einnahmen rechtlich problematisch sein könnte. "Tierwohlabgaben kollidieren mit EU-Bestimmungen. Sie würden bei ihrer Umsetzung auch auf Importe erhoben, von den Rückflüssen sollen aber nur Produzenten in Deutschland profitieren. Das ist eine Diskriminierung, die grundlegenden EU-Prinzipien widerspricht", schreibt der Agrarökonom und langjährige Landwirtschaftspolitiker Hermann Onko Aeikens in seinem aktuellen Buch.

Junge Bauern wünschen sich mehr Planungssicherheit

Trotz der Kritik von Landwirtschaftsverbänden und aus dem politischen Bereich haben vor allem jüngere Bäuerinnen und Bauern längst begriffen, dass es einen Wandel in ihrer Branche geben müsse. Dazu brauche es allerdings Planungssicherheit. "Die Politik muss aufhören, nur in Legislaturperioden zu denken", fordert Theresa Schmidt, Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend.

Doch statt damit zu beginnen, wenigstens Teile der Ergebnisse der ZKL und der Borchert-Kommission umzusetzen, blieb der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung zum Umbau und zur Zukunft der Tierhaltung sowie zu deren Finanzierung vage. Dabei hatten sich vor allem Landwirte und Agrarpolitiker klare Bekenntnisse zur ZKL und zu Borchert gewünscht.


„Der Ball liegt im Spielfeld der Koalitionäre.“
Deutscher Bauernverband

Albert Stegemann, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schrieb kurz nach der Vereidigung der Ampel-Regierung: Der Koalitionsvertrag enthalte "Leerformeln, gerade, wenn es um eine Gesamtstrategie für den gesellschaftlich gewollten Umbau der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung geht". Stegemann stellte fest: "Die Empfehlungen der Borchert-Kommission werden auf 170 Seiten Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt." Für den Umbau der Tierställe sind im Koalitionsvertrag für vier Jahre insgesamt eine Milliarde Euro vorgesehen. Bei Akteuren und Betroffenen hinterließen solche "leeren Formulierungen Enttäuschung", schreibt Hermann Onko Aeikens. Die Bundesregierung bleibe damit "weit hinter den von Wissenschaftlern und Kommissionen als notwendig ermittelten Werten zurück".

Tierwohllabel soll ausgebaut werden

In der Tierhaltung legte die Bundesregierung den Fokus stattdessen auf die Einführung eines Tierhaltungskennzeichens. Doch in seiner Halbzeitbilanz resümierte Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir im Dezember vergangenen Jahres, aus seiner Sicht sei die Einführung der beschlossenen Haltungskennzeichnung für frisches Schweinefleisch ab 2024 zwar ein "erster Erfolg", aber es müsse gelingen, dass auch der Transport und die Schlachtung in das Label einbezogen würden und andere Tierarten dazukämen. Auch die Forderungen der Landwirte und deren Organisationen, angesichts der Auswirkungen des Ukraine-Krieges Vorhaben der Bundesregierung und der EU-Kommission aufzuweichen oder zu verschieben, fanden in Berlin und in Brüssel bisher wenig Gehör.

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Nach den Protestwochen ist nun auch wieder Bewegung in die Finanzierung für mehr Tierwohl gekommen. Die Koalitionsfraktionen haben Mitte dieser Woche einen Vorschlag vorgelegt, wie die heimische Landwirtschaft zukunftsfähig gestaltet werden soll. Bis zur Sommerpause sollen Maßnahmen dazu vorgestellt werden. Ob damit die Kundgebungen der Landwirte enden, bleibt abzuwarten. "Der Ball liegt im Spielfeld der Koalitionäre", heißt es in einer Mitteilung des Bauernverbands.