Modernisierung der Landwirtschaft : "Wir müssen die Ergebnisse der Borchert-Kommission 1:1 umsetzen"
Die Bundesregierung soll Konzepte, die zum Umbau der Landwirtschaft vorliegen, umsetzen, meint der CSU-Politiker und Landwirt Artur Auernhammer.
Herr Auernhammer, seit Wochen demonstrieren die Landwirte. Woher kommt die Wut?
Artur Auernhammer: Bei den Landwirten hat sich über Jahre etwas aufgestaut. Frust über immer mehr Auflagen, die die Politik in immer kürzeren Zeitabständen aufgegeben hat, verbunden mit einer enormen Bürokratie - die jetzigen Kürzungsbeschlüsse der Regierung haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Die geplante, aber zurückgenommene Kürzung der Kfz-Steuer hätte einen enormen bürokratischen Aufwand bedeutet, das wäre vor allem für kleine und mittlere Betriebe schwer gewesen. Der Wegfall der Agrardieselrückvergütung betrifft nicht nur die Landwirte, sondern jeden Produktionszweig in der Nahrungsmittelversorgung.
"Deutschland hat heute bereits in vielen Bereichen keine Selbstversorgung mehr, beispielsweise bei Obst und Gemüse", sagt Artur Auernhammer (CSU). Er ist Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Bundesregierung will die Kürzungen beim Agrardiesel nicht zurücknehmen. Was halten Sie von den Vorschlägen, eine Tierwohlabgabe einzuführen und Bürokratie abzubauen?
Artur Auernhammer: Das ist überhaupt nichts Neues! Nichts Innovatives, nichts, was den Berufsstand und den ländlichen Raum nach vorne bringt! Die Konzepte der Borchert-Kommission und der Zukunftskommission Landwirtschaft liegen auf dem Tisch und müssten nur umgesetzt werden.
2022 erhielt die Landwirtschaft sieben Milliarden Euro von der Europäischen Union sowie 2,4 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt. Werden die Mittel falsch verteilt? Kommt der Mittelstand zu kurz?
Artur Auernhammer: Die jetzige GAP-Förderperiode, von 2021 bis 2027, nimmt die Größe der geförderten Betriebe zu wenig in den Fokus. Kleine und mittlere Betriebe müssten mehr Unterstützung erhalten. Großbetriebe brauchen nicht die Unterstützung pro Hektar gerechnet, so wie es derzeit läuft. Ich bin für eine stärkere Degression, je größer ein Betrieb, desto geringer die Mittelzuweisung.
Sind die Proteste nicht überzogen, die Branche ist doch hochsubventioniert?
Artur Auernhammer: Man muss die Subventionen vor dem Hintergrund betrachten, dass dieses Land eine eigene Nahrungsmittelproduktion bereitstellt, um die Bürger zu versorgen. Zudem werden mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit zwei Drittel der Flächen bewirtschaftet, egal, ob Acker, Felder oder Wald. Das alles hat Auswirkungen auf die Kulturlandschaft, auf Biodiversität und den Naturschutz. Diese Leistungen kann die Landwirtschaft nicht zum Nulltarif erbringen. Zudem ist es mehr als fraglich, dass wir uns abhängig machen von Lebensmittelimporten aus Ländern, in denen Produktionsmethoden äußerst fragwürdig sind.
Warum ist der Erhalt der Landwirtschaft in Deutschland so wichtig?
Artur Auernhammer: Gerade der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat überdeutlich gezeigt, wozu Abhängigkeit - in dem Fall der Energieversorgung - führt. Es gab die große Sorge, wie dieses Land über die nächsten Winter kommt. Das Gleiche kann mit der Nahrungsmittelversorgung passieren, dazu reicht eine internationale Krise. Deutschland hat heute bereits in vielen Bereichen keine Selbstversorgung mehr, beispielsweise bei Obst und Gemüse. Bei Milch, Fleisch und Getreide sind wir noch gut versorgt, deshalb sollte die eigenständige Versorgung mit Lebensmitteln beibehalten werden. Keiner würde beispielsweise auf den Gedanken kommen, dass wir keine eigene Gesundheitsversorgung mehr haben.
In den vergangenen Jahren hatten die Landwirte immer mehr Vorgaben in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit umzusetzen. Dazu kamen die Wünsche der Verbraucher nach mehr Tierwohl. Wie ist das auf eine Reihe zu bringen?
Artur Auernhammer: Gerade bei der Tierhaltung hat die Gesellschaft gewisse Anforderungen an die Produktion, die nicht immer mit der Realität übereinstimmen. Tierhaltung hat das Tierwohl im Auge, aber immer auch wirtschaftliche Aspekte. Es gilt auszutarieren, was uns die heimische Produktion wert ist. Eine Alternative wäre, wir hätten keine heimische Fleischproduktion mehr und das Fleisch käme als Importe aus anderen Ländern. Zum Beispiel das Schweinefleisch aus den Hochhausfabriken Chinas. Das ist von niemandem gewollt, deshalb braucht es einen Ausgleich für den Preis, der durch höherwertig produzierte Produkte entsteht.
Wie soll das aussehen?
Artur Auernhammer: Acht von zehn Verbrauchern geben bei Umfragen an, sie seien bereit, mehr für höherwertig produziertes Fleisch zu zahlen. Wenn die zehn dann aber in den Supermarkt gehen, kann oder will nur ein sehr geringer Teil das teurere Produkt kaufen und für die Mehrkosten zahlen. Beim Umbau zu mehr Tierwohl ist deshalb eine zusätzliche Finanzierung notwendig. Dazu hat die Borchert-Kommission zusammen mit der gesamten Branche Vorschläge erarbeitet und zur Finanzierung gemacht. Das kann zum einen durch eine konkrete Abgabe, aber auch durch den Bundeshaushalt finanziert sein. Alleine durch die Entscheidung der Verbraucher kommen wir allerdings nicht zu mehr Tierwohl.
Die Borchert-Kommission hat 2020 Vorschläge für einen Umbau der Tierhaltung in mehreren Stufen bis zum Jahr 2040 vorgelegt. Sind die Borchert-Vorschläge überhaupt zu finanzieren und mit dem EU-Recht vereinbar?
Artur Auernhammer: Wir müssen die Ergebnisse der Borchert-Kommission 1:1 umsetzen! Es geht dabei auch um die Erhaltung der Vielfalt der landwirtschaftlichen Struktur. Beim Umbau der Tierhaltung müssen gerade kleine und mittlere Betriebe unterstützt werden. Die Regierung muss im Hinblick auf Haushaltsfragen abwägen, ob für eine souveräne Lebensmittelproduktion zusätzliche Finanzmittel ausgegeben werden sollen.
Hat die Wut der Bauern etwas mit dem Umgang der Politik mit den Ergebnissen der Borchert Kommission zu tun?
Artur Auernhammer: Die Vorschläge liegen vor, und es wäre an dieser Regierung gewesen, sie umzusetzen. Die Ergebnisse sind durch Diskussionsprozesse innerhalb der Branche, der Politik, des Umwelt- und Verbraucherschutzes entstanden, die öffentliche Hand muss das unterstützen. Ein Beispiel: Ein Nebenerwerbsbetrieb mit 15 Kühen im Allgäu, der seinen Stall umbauen will, kann das derzeit nicht mehr finanzieren. Er würde schließen müssen. Doch dieser Betrieb sorgt dafür, dass das Grünland gepflegt wird, dass die Flächen freigehalten werden, dass Artenvielfalt stattfindet. Der Betrieb leistet viel für die Allgemeinheit, deshalb sollten wir das auch weiter unterstützen.
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Ein Streitpunkt sind die Ziele des Ökolandbaus. Der Green Deal der EU und der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sehen vor, dass bis zum Jahr 2030 der Anteil der Öko-Landwirtschaft bei 25 bzw. 30 Prozent liegen soll. Sind solche festen Zielvorgaben sinnvoll?
Artur Auernhammer: Gewisse Vorgaben machen Sinn, um eine Motivation zur Veränderung anzuschieben. Ich als Landwirt und Praktiker sehe aber auch, welche realen Möglichkeiten gegeben sind, um diese Ziele zu erreichen. Der Ökolandbau merkt derzeit sehr deutlich, dass die Absatzmöglichkeiten beschränkt sind. Der Verbraucher hat weniger Geld zur Verfügung, das er für Lebensmittel ausgeben will. Wir merken, dass der Ökomarkt Absatzschwierigkeiten hat. Derzeit ist beispielsweise die Getreidesorte Dinkel kaum mehr absetzbar. Aktuell liegt eine komplette Jahresernte, das sind etwa 300.000 Tonnen, unverkäuflich im Lager.
Die Proteste der Bauern sollen weitergehen. Was ist für die nächsten Wochen zu erwarten?
Artur Auernhammer: In den nächsten Wochen wird die Landwirtschafts- und Agrarpolitik weiter im Fokus stehen, auch auf der Grünen Woche. Bei der Frage um die Landwirte geht es nicht nur um die Zukunft der Höfe, sondern um die gesamte Zukunft des ländlichen Raums, um die Frage: Wie soll die Struktur dieser Regionen aussehen, auch im Hinblick auf die Daseinsvorsorge? Das muss sehr viel stärker in den Blick genommen werden, sonst wandern immer mehr Menschen in die Ballungsräume ab, und dort entstehen dann neue Probleme, wie beispielsweise unbezahlbarer Wohnraum.