Etat 2023 : Getrieben von der Inflation
Finanzminister Christian Lindner sieht die geringere Neuverschuldung als Beitrag zur Bekämpfung der Preissteigerungen.
Die Einbringung des Regierungsentwurfs für den Bundeshaushalt 2023 vergangene Woche begann ungewöhnlich: Statt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) trat der Parlamentarische Staatssekretär Florian Toncar (FDP) ans Rednerpult, um die Etatplanung der Bundesregierung vorzustellen. Der Finanzminister hatte sich aufgrund eines Trauerfalls im Familienkreis entschuldigen lassen. Die Gelegenheit, das Werk, für das sein Ministerium federführend verantwortlich zeichnet, vorzustellen, bekam der Minister zwei Tage später. Kurzfristig war eine Debatte zum Einzelplan des Bundesfinanzministeriums angesetzt worden, der normalerweise als Teil der Allgemeinen Finanzdebatte aufgerufen wird.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sieht seinen Haushaltsentwurf nicht nur als "Krisentat", er setze auch "mutige Schwerpunkte für die Zukunft". Die Opposition sieht das anders.
In der Debatte unterstrich der Finanzminister die haushalts- und finanzpolitische Haltelinie des Etats - und die krisenbedingten Herausforderungen. Die Bundesregierung wolle auch mit dem neuen Entlastungspaket an der Einhaltung der Schuldenbremse im Haushalt 2023 festhalten. 2020 und 2021 hatte der Bund jeweils mit einer Ausnahmeregelung deutlich höhere Schulden aufgenommen. Die Rückkehr zur Schuldenbremse sei aus "Verfassungsgründen ohnehin zwingend", sagte Lindner. Es sei aber auch ein "Gebot der ökonomischen Klugheit". Denn: "Wir sind ökonomisch in einer außerordentlich herausfordernden Lage", sagte Lindner mit Blick auf die Inflation. Das habe auch die historische Entscheidung der Europäischen Zentralbank, den Leitzins um 0,75 Punkte zu erhöhen, gezeigt. Die Inflation zu bekämpfen müsse daher die "erste Priorität" sein, bedeute sie doch unter anderem ein "Verarmungsprogramm für die Familien in der Mitte der Gesellschaft", sagte Lindner. Entsprechend verteidigte er die Pläne der Regierung, die kalte Progression abbauen zu wollen. Inflation bekämpfe man nicht "mit immer neuen Schulden, sondern nur dadurch, dass man zurück zur Seriosität und Solidität findet", führte der Liberale weiter aus. Für diesen Kurs der "fiskalischen Neutralität" wolle er sich auch auf europäischer Ebene einsetzen.
Union spricht von hinfälligem Haushaltsentwurf
Der Finanzminister wollte den Etat aber nicht nur als Krisenhaushalt verstanden wissen. Es sei auch ein Etat, "der mutige Schwerpunkte für die Zukunft setzt". Als Beispiele nannte Lindner etwa Investitionen in erneuerbare Energien und in die Schieneninfrastruktur. "Aus dem Haushalt sprechen Entscheidungskraft und Konsequenz", befand der Finanzminister.
Wenig überraschend - das zeigten die Debatten der Haushaltswoche nachdrücklich - sehen die Oppositionsfraktionen das ganz anders, gerade auch hinsichtlich finanz- und haushaltspolitischer Aspekte.
In der Schlussrunde am Freitag kritisierte die CDU-Abgeordnete Ingeborg Gräßle, dass der Haushaltsentwurf eigentlich hinfällig sei. Er enthalte das von der Bundesregierung geplante Entlastungspaket, das nur als "Presseerklärung" vorliege, noch gar nicht. "Sie bejubeln ein Vorgehen der Bundesregierung, das diesen Bundestag brüskiert", warf sie den Abgeordneten der Koalitionsfraktionen vor. Es fehlten nicht nur die Details zu den Maßnahmen, sondern auch die Zustimmung der Länder, "über deren Köpfe Sie hier einfach bestimmt haben", sagte die Christdemokratin.
AfD: Schuldenbremse wird nicht eingehalten
Die Abgeordnete verwies zudem auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes zur Schuldentragfähigkeit des Bundes. Danach liege die Nettokreditaufnahme des Bundes tatsächlich bei 78 Milliarden Euro und eben nicht bei 17 Milliarden Euro, wie der Finanzminister versuche zu verkaufen. Die FDP könnte auf die Unterstützung der Union beim Thema Schuldenbremse zählen, "wenn man sich in die Koalitionsreihen begibt, sieht es, glaub ich, schlecht aus", meinte Gräßle.
Ähnlich hatte sich in der Allgemeinen Finanzdebatte zum Beginn der Haushaltsberatungen auch der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Peter Boehringer, geäußert. Es sei schlicht nicht wahr, dass die Schuldenbremse eingehalten werde, "wenn es zum Nachtragshaushalt kommt, sowieso nicht mehr".
Aus gänzlich anderer Richtung attackierte die Linksfraktion den Etat-Entwurf. Gesine Lötzsch beschied dem Haushaltsentwurf, "gut für Gasspekulanten, Stromhändler, Waffenhändler, Immobilienkonzerne und Vermögende" zu sein, aber schlecht "für Menschen, die jeden Cent umdrehen müssen", und für kleine und mittlere Unternehmen, "deren Existenz bedroht ist oder die schon aufgeben mussten". Die Linken-Abgeordnete forderte eine Übergewinnsteuer. "Damit ließen sich Gas, Strom und Mieten deckeln. Das wäre der richtige Weg", sagte die haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion.
SPD fordert starken Staat
Von Seiten der Koalitionsfraktionen erfuhr der Finanzminister naturgemäß von seiner eigenen Fraktion die größte Unterstützung. Der haushaltspolitische Sprecher der Liberalen, Otto Fricke, freute sich, dass es trotz großer Skepsis von anderer Seite gelungen sei, einen Etat im Rahmen der Schuldenbremse vorzulegen. "Diese Koalition hat gezeigt, dass man, wenn man hart arbeitet, wenn man gegenseitig Kompromisse macht und dabei immer an die Menschen denkt, dann auch die Verfassung und die Schuldenbremse einhalten kann", sagte Fricke in der Dienstagsdebatte.
Der Chef-Haushälter der SPD-Fraktion, Dennis Rohde, hielt in derselben Debatte ein Plädoyer für einen starken Staat. Schon während der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie während der Corona-Pandemie habe der Staat das Heft des Handelns in die Hand genommen. "Wir brauchen jetzt wieder einen starken Staat, der die Bürgerinnen und Bürger nicht allein lässt. Nur gemeinsam kommen wir durch die Krise", sagte der Sozialdemokrat mit Verweis auf Inflation und steigende Energiepreise. Er lobte die Beschlüsse des Entlastungspaketes. "Das alles wird Geld kosten", betonte Rohde. Aber jetzt nicht zu handeln, würde den Staat sowie die Bürgerinnen und Bürger später mehr kosten.
Felix Banaszak (Bündnis 90/Die Grünen) lenkte in der Abschlussrunde am Freitag den Blick auf eine weitere Folge der EZB-Zinserhöhung. "Das bedeutet, dass wir geldpolitisch Rezessionsdynamiken wahrscheinlicher erleben werden." Daher müsse man sich fragen, was man tun könne, um diese Dynamiken weniger wahrscheinlich zu machen. Man werde die Wirtschafts- und Fiskalpolitik diesen "veränderten Realitäten" anpassen, so der Abgeordnete.
Einfach dürfte das alles nicht werden - darauf wies eingangs der Woche auch Grünen-Chef-Haushälter Sven-Christian Kindler hin: Er kündigte angesichts der Krisen "die schwierigsten Haushaltsberatungen seit Jahrzehnten" an. Diese starten ab kommender Sitzungswoche in den Fachausschüssen sowie im Haushaltsausschuss, der Abschluss ist für November geplant.
Der am 1. Juli 2022 vom Kabinett beschlossene Entwurf sieht im kommenden Jahr Ausgaben in Höhe von 445,2 Milliarden Euro vor. Das sind rund 50,6 Milliarden Euro oder 10,2 Prozent weniger als in diesem Jahr.
Die Neuverschuldung für 2023 wird in dem Entwurf mit 17,2 Milliarden Euro ausgewiesen, in diesem Jahr sind es im Soll 138,9 Milliarden Euro. Eine Ausnahme von der Schuldenobergrenze, die jeweils von 2020 bis 2022 in Anspruch genommen wurde, ist in dem Entwurf nicht vorgesehen.