Nachtragshaushalt 2021 : Lindner geht ins Risiko
Die Ampel will mit einem Nachtragshaushalt Spielräume in einer Rücklage sichern. Das Vorhaben wird wohl in Karlsruhe landen.
In neuer Funktion: Nach wenigen Tagen im Amt brachte Finanzminister Christian Lindner (FDP) vergangene Woche einen Nachtragshaushalt im Bundestag ein.
Die neue Bundesregierung war noch keine Woche im Amt, da beschloss das Kabinett einen Nachtragshaushalt für das überschaubare Rest-Jahr. Überraschend kam das nicht: SPD, Grüne und FDP hatten es bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. Bei der ersten Lesung des Nachtragshaushaltsgesetzes (20/300) im Bundestag am vergangenen Donnerstag zweifelten insbesondere die Neu-Oppositionellen von der Union sowie die AfD daran, ob der Etat mit dem Grundgesetz vereinbar ist (siehe Beitrag unten rechts). Die Unions-Fraktion will sogar nach Karlsruhe ziehen. Auch der Bundesrechnungshof dürfte grundsätzliche Kritik äußern.
Die Ampel sieht im aktuellen, durch geplante Kredite im dreistelligen Milliardenbereich aufgepumpten Pandemie-Etat finanzielle Spielräume - und will sich diese für die Zukunft sichern. Dazu sollen 60 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rücklage des Energie- und Klimafonds (EKF), einem Sondervermögen des Bundes, fließen. Aus Sicht der Koalitionäre besteht dieser Spielraum, weil sie davon ausgehen, dass im laufenden Jahr 35 Milliarden Euro weniger ausgegeben und gleichzeitig 25 Milliarden Euro mehr eingenommen werden. Mittels des EKF sollen künftig "zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der deutschen Wirtschaft" bezahlt werden, heißt es im Koalitionsvertrag.
Aus der Perspektive der Ampel ergibt dieses Vorgehen politisch durchaus Sinn. Die Vorhaben der neuen Koalition sind kostspielig - und die Haushaltsansätze dürften wieder deutlich unterhalb der aktuellen 500 Milliarden Euro liegen. Ab 2023 will Finanzminister Lindner die Schuldenbremse des Grundgesetzes wieder einhalten, eine hohe Kreditaufnahme fällt damit aus. Eine Aufweichung der Schuldenregel wollen die Liberalen nicht, auch eine Erhöhung der Steuereinnahmen hat die Partei in den Koalitionsverhandlungen strikt ausgeschlossen. Mit Blick auf die Ausgabeseite darf bezweifelt werden, dass SPD, Grüne und FDP sich auf so substantielle Streichungen einigen könnten, um die notwendigen Summen zu heben.
Rechtliche Grauzone
Was politisch verlockend erscheint, könnte rechtlich in eine Grauzone führen. Der Vorwurf unter anderem der Opposition: Ausnahme-Kreditermächtigungen im Haushalt werden zweckentfremdet. Denn bei den übertragenen 60 Milliarden Euro handelt es sich tatsächlich um Kreditermächtigungen. Insgesamt darf der Bund in diesem Jahr Kredite in Höhe von 240 Milliarden Euro aufnehmen. Das sieht der im April von der alten Bundesregierung beschlossene Erste Nachtragshaushalt vor. Damit der Bund überhaupt in der Lage ist, diese Summe aufzunehmen, musste der Bundestag - wie schon im vergangenen Jahr - eine Ausnahme von der Schuldenregel beschließen. Die in Artikel 115 des Grundgesetzes normierte Regel sieht eigentlich vor, dass die jährliche Nettokreditaufnahme 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten darf, wenn die Wirtschaft brummt, noch weniger, wenn die Wirtschaft schwächelt, eher mehr. In diesem Jahr wären das neue Kredite in Höhe von maximal rund 33,2 Milliarden Euro. Die tatsächlich geplante Kreditaufnahme liegt um 207 Milliarden Euro über dieser Grenze.
Die Große Koalition hatte seinerzeit die "außergewöhnliche Notsituation" mit der Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie begründet. Nun zweifelt insbesondere die Union daran, dass die Verlagerung von Mitteln in einen Fonds, aus dem klima- und transformationspolitische Projekte der Ampel bezahlt werden sollen, in einem Sachzusammenhang mit der Pandemie steht. Das Vorgehen wäre also nicht von der Ausnahme von der Schuldenregel gedeckt, der Etat damit verfassungswidrig.
Die Koalition sieht das anders: Sie führt das Handeln der alten Bundesregierung als Vorbild an: Mit der Zuführung wird laut Begründung des Haushaltsgesetzes angeknüpft "an die bereits im Jahr 2020 im Zusammenhang mit dem Konjunktur- und Zukunftspaket erfolgten und zur Pandemiebewältigung bewährten Zuweisung an den Energie- und Klimafonds". Im Zweiten Nachtragshaushalt 2020 hatte die alte Bundesregierung eine Zuführung von 26 Milliarden Euro an den EKF eingepreist.
Aus Sicht der Ampel dient die neuerliche Zuführungen "weiterhin der Pandemiebewältigung und sind zur Überwindung der pandemiebedingten Notsituation erforderlich". Eine hohe Zuweisung an den EKF sei notwendig, "um nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten zur Überwindung des Klimawandels beziehungsweise zur Transformation der deutschen Volkswirtschaft im Rahmen der Überwindung der Pandemie zu schaffen, damit in der anhaltenden pandemischen Notsituation Planungssicherheit für die Folgejahre zu geben und hiermit zusätzliche private Investitionstätigkeit anzuregen." Auf eine solche Zuweisung zu verzichten und die sich ergebenden Spielräume nicht "für pandemiebedingt notwendige wirtschaftliche Impulse ... und Transformationsaufgaben zu nutzen, würde der aktuellen Situation nicht gerecht", heißt es in der Begründung weiter.
Rechnungshof kritisiert Sondervermögen
Mit dem Verweis auf "nachhaltige Finanzierungsmöglichkeiten" touchiert die Bundesregierung zudem einen Kritikpunkt, den insbesondere der Bundesrechnungshof in den vergangenen Jahren immer wieder angeführt hat und voraussichtlich wieder anführen wird. Dieser fällt eher in die Feinkostabteilung der Haushaltspolitik: der Sinn und Zweck von Sondervermögen. Sondervermögen sind gesonderte Teile des Bundesvermögens mit eigener Wirtschaftsführung, für deren Einrichtung es eine gesetzliche Grundlage braucht. Aus Sicht der Rechnungsprüfer können Sondervermögen dann sinnvoll sein, "wenn dort die zu finanzierenden Aufgaben nachweisbar effizienter als durch eine Mittelveranschlagung im Bundeshaushalt erfüllt werden", wie es in den aktuellen Bemerkung des Bundesrechnungshofes (20/180) heißt.
Bei den in jüngster Zeit eingerichteten Sondervermögen war das nach Meinung der Rechnungsprüfer häufig nicht der Fall. Dabei unterscheiden die Rechnungsprüfer zwischen echten und unechten Sondervermögen. Ein echtes Sondervermögen verfügt über eigenes Vermögen oder über eigene Schulden. Ein Beispiel ist der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (siehe Seite 4), für den eigene Kreditermächtigungen eingerichtet worden sind. Unechte Sondervermögen erhalten ihre Mittel beziehungsweise übertragene Aussgabeermächtigungen direkt aus dem Bundeshaushalt. Dazu zählt etwa der 2011 eingerichtete EKF. Ganz grundsätzlich befindet der Rechnungshof, dass diese unechten Sondervermögen die verfassungsrechtlich gebotene Einheit des Haushalts beeinträchtigen. "Haushaltsrechtlich bedenklich" sei zudem, dass Zuweisungen an die Fonds im jeweiligen Jahr im Haushalt abgebildet werden, kassenrelevant werden die so übertragenen Kreditermächtigungen gegebenenfalls aber erst in den Folgejahren. Das "buchmäßige Vorziehen von Ausgabenbewilligungen" verletze zudem Haushaltsgrundsätze wie "die Jährlichkeit, die Fälligkeit (Etatreife) und damit im Ergebnis auch die Haushaltswahrheit - im Sinne der Schätzgenauigkeit - und Haushaltsklarheit".
Diese Probleme zeigen sich nach Darlegung der Rechnungsprüfer "besonders stark" beim EKF - just dem Fonds, den die Ampel nun aufpumpen will. In dem Fonds seien 2020 - wie auch in den Vorjahren - bei einer Vielzahl von Ausgabetiteln die geplanten Ausgaben zu hoch veranschlagt worden, also die Mittel schlicht nicht so abflossen, wie geplant. Dass die schon erwähnte Zuweisung durch die Große Koalition gleich direkt in die Rücklage wanderte, wertet der Rechnungshof als Zeichen dafür, dass die Regierung davon ausging, dass die Mittel in dem Haushaltsjahr überhaupt nicht benötigt würden. "Bewusste Überveranschlagungen allein vor dem Hintergrund politischer Signalwirkungen sind mit den Haushaltsgrundsätzen unvereinbar und zu unterlassen", kritisieren die Rechnungsprüfer. Aus ihrer Sicht wäre es aus haushaltsrechtlicher und finanzwirtschaftlicher Sicht am überzeugendsten, den EKF aufzulösen und in den Gesamthaushalt zu integrieren. In künftigen Haushaltsjahren geplante Ausgaben könnten - statt über Rücklagen in Sondervermögen - im Kernhaushalt mit sogenannten Verpflichtungsermächtigungen ausgebracht werden. Das wäre das "haushaltsrechtlich angemessene Instrument".
Die Ampel-Koalition plant ziemlich genau das Gegenteil. Der EKF soll zum "Klima- und Transformationsfonds" (EKT) weiterentwickelt werden. Mit Blick auf den Etat 2022 will die Koalition zudem prüfen, wie der EKT "im Rahmen der verfassungsmäßigen Möglichkeiten" weiter verstärkt werden kann. Weitere Konflikte, zumindest mit dem Bundesrechnungshof, scheinen vorprogrammiert.