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Leere Betten und Tische : Gastgewerbe zieht verheerende Bilanz

Vor allem Hotels und Gaststätten hat die Pandemie schwer zugesetzt. Die Wachstumsbranche musste ein Vollbremsung einlegen.

25.07.2022
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6 Min

Das Ferienhaus im Norden Portugals ist ein Traum. Die schon vor längerer Zeit gebuchten Flüge sind recht günstig und der Mietwagen steht nach Ankunft am Flughafen von Porto bereit. Die Schulferien haben begonnen, die Vorfreude auf den Urlaub, auf die schönsten Wochen des Jahres, steigt. Doch mit ihr steigen auch die Sorgen. Die Situation an den deutschen Flughäfen ist unübersichtlich bis katastrophal. Es fehlt an Sicherheits- und Servicepersonal, was zu langen Warteschlangen und Stress vor dem Abflug führt. Immer öfter werden zudem Flüge gestrichen. Bei Billig-Fliegern wie Easyjet ebenso wie bei der Lufthansa. Deren Chef Carsten Spohr entschuldigte sich unlängst bei den Fluggästen für entstehende Unannehmlichkeiten. Besserung ist gleichwohl seiner Aussage nach nicht in Sicht: "In den nächsten Wochen mit weiter steigenden Passagierzahlen, ob Urlaub oder Geschäftsreisen, wird sich die Situation kurzfristig kaum verbessern", so Spohr.

Überall fehlt das Personal

Die wiedererwachte - und auch von neuen Corona-Warnungen nicht zu bremsende - Reiselust der Deutschen trifft auf eine Branche, die noch immer in den Seilen hängt. Deutlich wird das an den Airports, wo Personalmangel und ein steigender Krankenstand dem reibungslosen Betriebsablauf im Wege stehen. In den operativen Bereichen, beim Check-In, Catering, bei Bodenverkehrsdiensten und der Luftsicherheit fehlen etwa 20 Prozent an Personal, sagt Stefan Schulte, Präsident des Flughafenverbandes ADV.

Foto: picture alliance/dpa/ZB/Matthias Bein

Wie hier in einem Café im Harz blieben viele Tische während der Lockdowns leer. Doch auch nach dem Ende der Corona-Einschränkungen kämpft das Gastgewerbe um seine Existenz.

Für Marija Linnhoff vom Verband unabhängiger selbstständiger Reisebüros, der die Interessen von rund 7.000 Reisebüros in ganz Deutschland vertritt, ist das Problem aber teils auch hausgemacht. "Dass die Leute endlich wieder reisen wollen und die Buchungen anziehen, war seit Monaten klar und die Reisebeschränkungen sind in der Masse auch nicht erst vor zwei Wochen gefallen", sagt sie und spricht von "strategischen Fehlplanungen" innerhalb der Branche. "Die massenhafte Annullierung von Flügen bremst die gerade aufkommende Reiselust und läuft den Anstrengungen der gesamten Branche entgegen, die Krise zu überwinden", warnt Linnhoff. Sie fordert Entlastung bei den Luftsicherheitskontrollen. "Da muss die Bundesregierung helfen, beispielsweise mit der Bundespolizei und weiteren unterstützenden Maßnahmen etwa bei der Abfertigung", verlangt sie.

Mietwagen sind knapp und teuer

Hausgemacht, corona-bedingt, dem Krieg in der Ukraine geschuldet - ein bisschen von allem führt zur problematischen Mietwagensituation. Gerade im Klein- und Kompaktwagenbereich sind Autos knapp und teuer. Das Vergleichsportal Check24 hat einen Preisanstieg von durchschnittlich 40 Prozent gegenüber dem Sommer vergangenen Jahres ermittelt. In Spanien sind den Angaben zufolge die Mietwagenpreise im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 gar um 231 Prozent gestiegen - von 22 Euro auf 73 Euro pro Tag. Ein Grund dafür: Nachdem die Anbieter mangels Nachfrage in den vergangenen Jahren ihre Flotten verkleinert hatten, können sie diese nun angesichts auch kriegsbedingter Lieferengpässe in der Automobilindustrie nicht wie gewünscht ausbauen.


„Wir großen Mittelständler stehen vor dem Nichts.“
Dirk Iserlohe, Dorint GmbH

All das bringt auch die Reiseveranstalter erneut in große Bedrängnis, nachdem sie schon in der Corona-Zeit enorme Einschnitte hätten hinnehmen müssen, wie Pascal Zahn, Vorstandsmitglied beim Deutschen Reiseverband (DRV), sagt. Da viele Reisen storniert wurden, hätten die Veranstalter Geld, das schon bei den Airlines und Hotels war, aus eigener Tasche innerhalb von 14 Tagen zurückerstatten müssen, sagt er. Insbesondere die Einschränkung des freien Reiseverkehrs und die Appelle der Bundesregierung, auf das Reisen zu verzichten, hätten die wirtschaftliche Tätigkeit der allermeisten Branchenunternehmen zum Erliegen gebracht. Ohne staatliche Hilfen, ohne die Regelungen zur Kurzarbeit wäre alles viel schlimmer gekommen, wären noch mehr Unternehmen in die Insolvenz gerutscht. Das bestätigt auch Reiseveranstalter Zahn - darüber herrscht grundsätzlich Einigkeit in der Branche.

Hoteliers klagen über große Ausfälle

Kritik gibt es dennoch. Etwa an der Deckelung der "Beihilfen", die aus Sicht von Dirk Iserlohe, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Dorint GmbH, eigentlich "Entschädigungen" hätten heißen müssen. Entschädigungen nämlich für gesetzlich verordnete Restriktionen wie das Beherbergungs- und Kontaktverbot. Während einer Expertenanhörung des Tourismusausschusses im Bundestag sagte Iserlohe: "Wir großen Mittelständler stehen vor dem Nichts." Es gebe eine Ungleichbehandlung zwischen Einzelhoteliers und Hotelketten. Letztere hätten nur 45 Prozent Schadensersatz erhalten, im Gegensatz zu Einzelunternehmer, die 85 Prozent bekommen hätten.

Unterstützt wird seine Kritik von Christoph Schink von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätte (NGG). Er kritisiert die verschiedenen Deckelungen der Höchstfördersummen für größere Unternehmen, deren Jahresumsätze in Normalzeiten im hohen zwei- bis dreistelligen Millionenbereich liegen. "Im Ergebnis waren hier gute Arbeits- und Ausbildungsplätze, mitbestimmt und tarifgebunden, in Gefahr", sagt Schick. Die schrittweise Erhöhung der Höchstfördersummen sei dringend geboten gewesen. "Wir hätten uns allerdings die Verknüpfung mit einer Beschäftigungssicherung gewünscht", fügt der Gewerkschaftler hinzu.

Zahl der Übernachtungen ging um fast 200 Millionen zurück

Eine verheerende Coronabilanz zieht der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Von der "Vollbremsung einer Wachstumsbranche" ist die Rede. Der nominale Umsatzverlust im Gastgewerbe in den Monaten März 2020 bis März 2022 lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und Berechnungen des Dehoga insgesamt bei 74,9 Milliarden Euro. Besonders hohe Umsatzverluste erlitten die Beherbergungsbetriebe und die "getränkegeprägte Gastronomie" - also Kneipen und Bars.

Den Hotels und Pensionen half da auch der Lockdown-bedingte Run auf "Urlaub in Deutschland" nur wenig. Da ausländische Touristen wegblieben und kaum noch Dienstreisen mit Übernachtungsaufenthalt stattfanden ging die Zahl der Übernachtungen von 495,6 Millionen im Jahr 2019,auf 302,3 Millionen im Jahr 2020 zurück. Dem folgte ein nur leichter Anstieg der Übernachtungszahlen auf 310,3 Millionen im Jahr 2021. Den krassesten Einschnitt gab es im April 2020, als infolge der Bundesnotbremse ein knapp 90-prozentiger Rückgang der Übernachtungszahlen im Vergleich zu 2019 zu verzeichnen war. In den Sommermonaten 2020 (minus 23 Prozent) und 2021 (minus 16 Prozent) war der Rückgang zwar geringer, wurde aber durch die erneuten Einbrüche um bis zu knapp 80 Prozent aufgrund neuer Corona-Einschränkungen in den kälteren Monaten mehr als wettgemacht.

Die Herausforderungen bleiben groß

Das Gaststättengewerbe erlitt laut Dehoga einen realen Umsatzverlust von 35,4 Prozent im Jahr 2020 und 38,2 Prozent im Jahr 2021. Mehr als neun Monate waren Restaurants und Cafés insgesamt geschlossen - Kneipen, Bars teilweise noch länger. Alle, die die letzten beiden Jahre wirtschaftlich überlebt haben, können nun wieder öffnen. Und sehen sich dennoch großen Herausforderungen gegenüber, wie Dehoga-Präsident Guido Zöllick Ende Juni vor der Presse kundtat. Da sei zum einen der Krieg in der Ukraine, der die Unternehmen mit nie gekannten Kostensteigerungen konfrontiere. Die Energiepreise schnellen in ungekannte Höhen. Lebensmittel verteuern sich im Rekordtempo. Ganz oben bei den Forderungen Zöllicks steht denn auch jene nach der Beibehaltung der Mehrwertsteuersenkung für Speisen auf sieben Prozent, die seit Juli 2020 gilt, aber Ende des Jahres ausläuft. "Mit der Entfristung werden die dringend benötigten Perspektiven geschaffen. Gleichzeitig wird damit die längst überfällige steuerliche Gleichbehandlung von Essen hergestellt", erklärt Zöllick.

Ein weiterer dicker Hemmschuh für einen nachhaltigen Neustart der Branche - und hier schließt sich der Bogen zur Luftfahrtbranche - ist der gravierende Personalmangel. "Eine derart schwierige Mitarbeitersituation habe ich während meiner 30-jährigen Selbstständigkeit noch nie erlebt", sagt Matthias Ganter, Geschäftsführer des Romantik Jugendstilhotels Bellevue in Traben-Trarbach an der Mosel. "Erstmals waren wir gezwungen, unser Angebot in bestimmten Bereichen zu reduzieren und sogar Betriebsteile vorübergehend zu schließen", berichtet Ganter.

Dramatische Rückgänge bei den Azubi-Zahlen

Ist die heutige Situation schon von Personalmangel gekennzeichnet, könnte das in der Zukunft umso mehr der Fall sein. Denn auch bei den Azubi-Zahlen gibt es dramatische Rückgänge. Aktuell absolvieren etwa 41.000 junge Menschen eine Lehre in der Branche; 2019 waren es noch gut 51.000. Der schon seit Jahren festzustellende Rückgang der Zahl an neuen Ausbildungsverträgen - von 29.238 im Jahr 2012 auf 22.516 im Jahr 2019 - verstärkte sich. 2020 wurden lediglich 17.079 neue Ausbildungsverträge geschlossen - 2021 waren es 17.364.

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Laut Hotel-Chef Ganter ist es inzwischen zwar gelungen, einige der verloren gegangenen Mitarbeiter zurückzugewinnen. Aber: "Ein erneuter Lockdown hätte auch hier desaströse Folgen." Dehoga-Präsident Zöllick sieht das ähnlich: "Planbarkeit und verlässliche Perspektiven" brauche die Branche, betont er.

Beides wünschen sich auch die Reisenden. Damit aus den schönsten Wochen des Jahres nicht ein ungewollter Abenteuertrip wird.