Aktiv für den Naturschutz : Raus aus der Tür und los geht's
Engagement für Pflanzen und Tiere beginnt am besten dort, wo man lebt. Drei Menschen erzählen, was sie tun.
Inhalt
Dominik Eulberg
»Die Natur ist die größte Künstlerin«
Ich bin ohne Fernseher aufgewachsen und da auch mein Vater Biologe ist, war schon als Kind die Natur mein Entertainment-System. Wir hatten ja alles zuhause: Mikroskope, Ferngläser, Spektive, eben alles, was man braucht, um die Natur zu beobachten. Ich kannte schon früh alle Schmetterlinge, Vögel und Pflanzen der Umgebung, lange bevor ich angefangen habe, Biologie zu studieren.
Musik hat mich als Kind dagegen überhaupt nicht interessiert, ich fand das meist affektiert. Aber die Begegnung mit elektronischer Musik als Teenager war wie eine Offenbarung. Das war die erste Musik, die mich wirklich fasziniert hat. Zum einen, weil sie den apodiktischen Fluss des Lebens selbst beschreibt. Dieses Kommen und Gehen, dieses Unbändige, Immerwährende, Fließende. Und sie hat auch meine naturwissenschaftliche Neugier getriggert: Was sind das für komische Sounds? Wo kommen die her? Was ist ein Synthesizer? Nach meinem ersten Ferienjob habe ich mir einen Synthesizer gekauft, ihn auseinandergenommen und wieder zusammengebaut, um dieses Verfahren der Synthese zu verstehen. Ich habe das erstmal ganz naturwissenschaftlich betrieben.
Herzschlag der Mutter konditioniert Menschheit
Eigentlich verstehe ich mich auch gar nicht als reiner Musiker, also, ich könnte mich jetzt nicht ans Klavier setzen und Beethoven spielen. Aber mich fasziniert der Sound der Natur und irgendwann war für mich klar: Ich möchte meine beiden Leidenschaften verbinden. Deshalb versuche ich, mit elektronischer Musik dieses Gefühl in der Natur bestmöglich zu beschreiben. Das erste, was Menschen hören, ist der Herzschlag der Mutter, dieser immer wiederkehrende, gleichförmige Rhythmus, das hat uns Menschen konditioniert. Das ist älter als Sprache und diesen monotonen Beat findet man überall auf der Welt, auch bei indigenen Völkern. Am Anfang habe ich in meine Tracks auch Tierstimmen eingebaut, heute versuche ich, den Naturklängen mit meinen eigenen Ideen nahezukommen. Die Natur ist die größte Künstlerin, diese Formen-, Farben- und Klangvielfalt, dieses Überbordende - das ist für mich atemberaubend.
Je erfolgreicher ich wurde, desto mehr war mir klar, ich möchte die Bühnen, die mir geboten werden, für eine tiefe Sinnhaftigkeit nutzen. Was macht denn Leute glücklich? Das ist, wenn man in seinem Tun eine tiefe Sinnhaftigkeit spürt. Und wenn man Musik jetzt nur für Hedonismus und Eskapismus verwendet, fehlt mir da so ein bisschen die Sinnhaftigkeit. Aber über Musik komme ich an die Emotionen der Menschen ran und das ist, glaube ich, ein guter Weg.
Ziel: Den alteingesessenen Lobbyismus durchbrechen
Manchmal nehme ich nach einer Klubnacht auch noch Leute mit raus in den Wald auf Tour. Wir müssen rauskommen aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, wenn wir die Leute für den Schutz der Artenvielfalt begeistern wollen. Rein wissenschaftlich betrachtet wissen wir doch schon so viel über den Verlust von Flora und Fauna, es gibt tausende Studien. Trotzdem geht der Verlust rasant weiter. Nur mit Wissenschaft kommen wir da offenbar nicht voran. Wir müssen eine Empathie erzeugen bei unseren Mitbürgern. Ich nutze deshalb meine Musik, um über die emotionale Ebene Inhalte zu transferieren. Wir brauchen mehr Aufklärung, wir müssen wissenschaftlich evidente Dinge mehrheitsfähig machen. Indem meine Alben Schwerpunkte haben, wie die Farbenvielfalt der heimischen Vögel oder die Welt der Schmetterlinge, sensibilisiere ich die Hörer lustvoll für ein Thema. Das ist mir wichtig. Auf meiner Webseite biete ich auch einen Bestimmungs-Service an. Sehr viele Nutzer schicken mir inzwischen Bilder von Pflanzen oder Tieren, die sie nicht kennen und ich bestimme sie dann. Mit meinem Buch "Mikroorgasmen überall" über die Wunderwelt der Natur vor unserer Haustür versuche ich, den Kreis der Interessierten zu erweitern. Ich mache inzwischen auch Biodiversitäts-Shows, eine multimediale Melange bei der ich halb als Musiker und halb als Wissenschafts-Kommunikator auftrete. Es ist mein Weg, Begeisterung zu erzeugen für etwas, das mich schon so lange fasziniert.
Der Handlungsdruck ist groß. Aber dafür braucht es ein Umdenken und das fängt schon damit an, nicht von einer "Umwelt" zu reden. Es kann nur dann etwas "Umwelt" sein, wenn man selbst das Zentrum von etwas ist. Wir müssen aus der Umwelt wieder eine Mitwelt machen und die Hybris, uns als Zentrum zu sehen, auflösen. Naturschutz ist Menschenschutz und wir sollten uns nicht anmaßen, das Leben auf der Erde zerstören zu können. Es gibt Mikroben, die überleben unter kilometerdicken Eispanzern, die rotten wir nicht aus. Aber wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen, wenn wir den alteingesessenen Lobbyismus nicht durchbrechen. Wir können den drohenden Ökozid aufhalten, es wird jedoch immer klarer, dass wir unsere Mitmenschen emotional erreichen müssen um etwas zu bewegen, da wir nur das schützen, was wir lieben.
Daniela Antoni
Je älter ein Baum, desto besser
Als Baumsachverständige habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, den Bäumen in der Stadt eine fachliche Stimme zu geben. Der Stadtbaum hat leider keine Lobby in Deutschland. Meist ist er im Weg, sein Laub stört oder er nimmt das Licht. Ich wollte immer schon den Baum, der ja nicht kommunizierten kann und der Fürsprecher braucht, unterstützen.
Es ist jetzt aber nicht so, dass für mich jeder gefällte Baum eine persönliche Niederlage darstellt. Wir haben als Folge des Klimawandels und der Globalisierung Schaderreger, pilzlichen Befall oder Bakterienerkrankungen, die es unmöglich machen, manche Bäume selbst als Torso in der Stadt zu erhalten. Die Rußrindenkrankheit etwa ist ein pilzlicher Befall, der auch auf der Lunge von Menschen Schäden verursachen kann, wenn da jemand vorbelastet ist. So ein Baum darf nicht in der Stadt stehen bleiben. Das zu beurteilen, obliegt mir als Baumexpertin.
Breites Aufgabenspektrum: Von Baumkontrollen über Gutachten bis zur Beratung
Mein Aufgabenbereich ist sehr breit gefächert. Ich mache Baumkontrollen, prüfe also, ob die gesetzlich festgeschriebene Verkehrssicherungspflicht von Bäumen gewährleistet ist. Dabei kontrolliere ich im Auftrag von Kommunen und Städten Bäume in Schwimmbädern, in Kindergärten, an öffentlichen Straßen. Überall dort, wo von Bäumen eine Gefahr für Dritte ausgehen könnte.
Ich erstelle auch Baumgutachten. Wenn ein größerer Schaden festgestellt wird, gibt es da eine Art ärztliche Untersuchung des Baums. Die von mir ebenfalls angebotene Baumberatung wird leider noch zu wenig in Anspruch genommen. Das ist schade. Es führt dazu, dass etwa Kommunen an ihren Bäumen herumdoktern, ohne das nötige Fachpersonal und das nötige Fachwissen - meist zum Nachteil der Bäume.
Der Wald und seine Bäume haben mich schon als Kind stark interessiert. Nach der Schule habe ich Forstwissenschaften studiert und dann mehrere Jahre als Sachverständige und Baumkontrolleurin bei einem der großen Sachverständigenbüros Deutschlands gearbeitet. 2020 habe ich mich selbstständig gemacht. Ich finde es schade, dass es in Deutschland an der nötigen Umweltbildung fehlt. Mein Wissen gebe ich gern weiter. Ich bilde aus, referiere bei Tagungen und nutze meinen Social-Media-Auftritt, um die eher schlechte Ausbildung bei uns im Fachbereich nach vorne zu bringen.
Der Baum müsste meiner Ansicht nach als ökologischer Wert betrachtet werden. Das ist aktuell nicht der Fall. Wir brauchen daher ein Baumschutzgesetz. Derzeit hängt es nämlich von den einzelnen Gemeinden ab, ob Bäume rechtlich geschützt werden. Eine Baumschutzsatzung gibt es derzeit nur vereinzelt, etwa in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt am Main.
Es braucht aber auch ein Verständnis dafür, dass das Stadt-Ökosystem ein komplett anderes ist als der Wald. Wir haben in der Stadt auch andere Baumarten. Eine Buche etwa würde mit den Stressbedingungen an der Straße einer Stadt gar nicht zurechtkommen, weil sie das nicht verträgt. Wichtig in den Städten ist auch der Schutz für Jungbäume und eine angemessene Bewässerung. Vielfach herrscht aber so großer Personalmangel, dass es in den Hitzeperioden des Sommers nicht gelingt, die Bäume kontinuierlich zu bewässern oder zu schützen.
Ökologischer Wert eines Baumes steigt mit zunehmendem Alter
Ich sehe in Deutschland einen enormen Forschungsbedarf in Sachen Stadtbäume. Wir haben zu wenig Biologen, zu wenig Baumexperten und auch zu wenig Entomologen. Das sind die, die sich um die Insekten kümmern. Da müsste die Expertise erhöht werden. Die Biodiversität und verschiedene Kleinsysteme müssten gefördert werden, weil die Stadt ein eigenes Ökosystem ist.
Der Rückgang der Arten ist mittlerweile ein Riesenproblem. Altbäume spielen für mich hier eine entscheidende Rolle. Im Durchschnitt ist auf ihnen die Zahl seltener Insektenarten um einiges höher. Der ökologische Wert eines Baumes steigt mit zunehmendem Alter. Weisen Bäume generell Faulstellen, abblätternde Rinde, Höhlen, Mulm und Baumpilze auf, hat man es mit einem natürlichen Insektenhotel zu tun. Die Verkehrssicherheit muss natürlich gewährleistet sein. Leider ist generell bei Stadtbäumen die Säge häufig das Mittel der Wahl bei der Festlegung einer Maßnahme zur Herstellung der Verkehrssicherheit.
Ich plädiere dafür, Habitatbäume, worunter wir Torsi, Baumstümpfe und notwendig gekappte Bäume verstehen, zu belassen. Bei allen anderen Bäumen sollten so wenig Schnittmaßnahmen wie nötig durchgeführt werden. Außerdem muss ein besserer Schutz auf Baustellen für Bäume gewährleistet werden. Nur eine allumfängliche Baumkontrolle und eine fachliche Baumpflege in Kombination bringen uns zukunftsträchtige Bäume. Ich bin ganz optimistisch, dass sich diese Einsicht bei den politischen Entscheidungsträgern und den zuständigen Behörden immer stärker durchsetzt.
Fionn Pape
Mit der Kreide auf "Krautschau"
Manche nennen mich einen Guerillabotaniker. Das klingt nach Karabiner und Buschmesser, dabei ist mein Utensil ein Stück Kreide. Es ist ein wildromantisch anmutender Begriff - aber wenn er dazu beiträgt, auf Biodiversität, ihre Bedeutung, Gefährdung und die Notwendigkeit ihres Schutzes aufmerksam zu machen, dann schadet es wohl nicht. Was ich mache? In meiner Heimatstadt Göttingen ziehe ich los und kennzeichne mit Kreide auf Bürgersteigen die vielen wild wachsenden Pflanzen, was gemeinhin als "Unkraut" übersehen wird. Anfang 2020 fingen viele andere und ich unter dem Motto #mehralsUnkraut und #Krautschau damit an, es ist eine tolle, niedrigschwellige und gleichzeitig etwas subversive Aktion. Der Ideengeber Boris Presseq vom Museum für Naturgeschichte in Toulouse beschrieb es so: "Indem wir sie markieren und benennen, geben wir den Wildpflanzen eine Existenz". Es gibt ja den vielzitierten Satz in diversen Variationen: "Nur was man kennt und liebt, kann und will man schützen."
Mit der Aktion holen wir vorhandene Biodiversität mit einfachen Mitteln aus der Anonymität. Die Idee ist ein Stück weit genial. Und notwendig.
Losziehen, bestimmen, beschriften
Denn wir befinden uns aktuell im sechsten großen Artensterben der Erdgeschichte, diesmal maßgeblich durch den Menschen verursacht - das Anthropozän. In deutschen Städten könnte es - trotz auch hier stattfindenden Verlusten - vielleicht sogar noch verhältnismäßig rosig aussehen - aber nur weil im Vergleich dazu die Biodiversität in der Offenlandschaft noch schneller abnimmt. Es gibt viele Studien, die den vergleichsweise großen Artenreichtum von urbanen Räumen belegen. Das hat viele Gründe: Unter anderem sind Städte wohl oft an struktur- und dadurch artenreichen Orten entstanden und weisen eine vergleichsweise hohe Vielfalt an Lebensräumen und Arten auf - wenn man sie mit ausgeräumten, intensiv bewirtschafteten Agrarlandschaften vergleicht. Auch werden hier viele Arten aus anderen Regionen der Welt aktiv und passiv eingeschleppt, von denen sich manche etablieren. Also ziehen wir los, bestimmen und beschriften. Viele hunderte Mal in diesen drei Jahren. Es macht natürlich auch Spaß.
Schon als Kind faszinierte mich die Natur, meine Eltern erzählen gern die Anekdote, dass ich mit vier Jahren der Dorflehrerin erklärte, was alles vor ihrer Nase wuchs. Viele Kinder haben ein spontane Faszination für alles, das kreucht und fleucht - es ist die normale Insektenphase. Bei mir hielt sie an. Ich spürte die Begeisterung, das Leben zu erkennen und zu kategorisieren; auch tut das Sein in der Natur gut, man geht darin auf. Meine Familie förderte diese Leidenschaft, schon als Junge nahmen sie mich mit zu Exkursionen in die Umgebung, um die ich mich jetzt beruflich kümmere: Bei der Ökostation betreiben wir unter anderem Kartierung und Monitoring von Schutzgebieten im Landkreis und beraten Landwirtinnen und Landwirte. Und in der Freizeit ziehe ich mit der Kreide los. Dafür erhalten wir viel Zuspruch, wir durchstoßen damit eine unsichtbare Wand. Im ersten Moment fragen viele erstmal, ob alles okay ist, wenn man auf dem Boden herumkriecht - ein typisches Biologenschicksal. Aber wenn ich dann aufgeklärt habe, dass keine Notsituation vorliegt, sind die allermeisten Leute sehr interessiert. Man merkt, dass die Leute mittlerweile mehr hinhören, wenn es um biologische Vielfalt und um ihre Gefährdungen geht. Was mir bei meinem Kreideengagement zugutekommt: Ich war schon immer ein großer Sammler. Briefmarken, Münzen, Versteinerungen, Comics und Fotos von entdeckten Tieren - mein Kinderzimmer war voll davon.
Einzelmaßnahmen helfen nicht mehr: Paradigmenwechsel nötig
Diese Aktion ist sicherlich nur ein kleiner Mosaikstein. Was wir brauchen, ist ein Paradigmenwechsel. Keine Einzelmaßnahme wird helfen, sich dem Verlust der Biodiversität insgesamt entgegenzustellen. Noch immer haben wir eine Form des Wirtschaftens, für die Biodiversität meist viel zu wenig Bedeutung hat; daher braucht es massive Investitionen in den Naturschutz, denn bisher sind diese Summen verschwindend gering. Landwirte, die auf Biodiversität achten wollen, sollten gestärkt werden; es gäbe eine Menge EU-Gelder, die entsprechend umgeschichtet werden könnten. Und wir brauchen ein besseres Regelwerk und dessen Durchsetzung, Naturschutz ist eine politische Aufgabe. Also müssen Ziele her, wie bei den Temperaturgrenzen des Pariser Klimaabkommens. Nur sollten diese Ziele einklagbar werden. Denn die Zeit drängt mehr, als den meisten Menschen bewusst ist. In unserem Anthropozän sind wir voll drin. Aber ohne Flora und Fauna sind wir nichts. Die Biodiversität ist eine Grundlage für das Überleben der Menschheit. Und wir haben als Gesamtheit einfach nicht das Recht, andere Arten und ihre Lebensräume auszulöschen, die wie wir in hunderten von Millionen Jahren Evolution entstanden sind.