Vor 35 Jahren : Sturm auf die Stasi-Zentralen
Am 4. Dezember 1989 stürmen Hunderte Demonstranten das Erfurter Stasi-Bezirksamt und verhindern die Vernichtung von Akten – ein entscheidender Moment der Wendezeit.
Szenen wie hier am 4. Dezember 1989 in der Stasi-Zentrale in Erfurt spielten sich in mehreren Städten ab: Die Demonstranten wollten verhindern, dass Akten vernichtet oder weggeschafft werden.
Erfurt, 4. Dezember 1989, neun Uhr: Hunderte Demonstranten versammelten sich vor dem Bezirksamt des inzwischen in Amt für Nationale Sicherheit umbenannten Ministeriums für Staatssicherheit, über dem seit Tagen Rauchschwaden hängen. Zunächst blockierten sie die Eingänge, kontrollierten die Taschen der Mitarbeiter. Im Laufe des Vormittags verschafften sich rund 300 Zugang zu dem Gebäude. Der Bezirksamtsleiter kabelte nach Ost-Berlin: Die Demonstranten hätten "den Staatsanwalt des Bezirkes über ihre Absicht, Archivmaterialien und andere Unterlagen im Amt für Nationale Sicherheit vor Vernichtung zu bewahren, in Kenntnis gesetzt".
Bürgerinnen und Bürger verhindern Aktenvernichtung
Jahrzehntelang hatte die Stasi Hunderttausende Menschen bespitzelt. In der Wendezeit gerieten die Spitzel selbst ins Visier: Szenen wie in Erfurt spielten sich am 4. Dezember 1989 in mehreren Städten vor den Stasi-Liegenschaften ab. Die Demonstranten wollten verhindern, dass Akten vernichtet oder aus den Gebäuden geschafft wurden. In Leipzig etwa protestierten Tausende, skandierten "Aufmachen! Aufmachen!".
Vom Balkon über dem Haupteingang informierte schließlich ein Sprecher des "Neuen Forums" die Menge per Megafon, dass die Bürgerbewegung "das Gebäude unter Kontrolle genommen" habe. Die Akten würden jetzt gesichert. Unterdessen arbeitete die Stasi-Zentrale in der Berliner Normannenstraße weiter. Am 15. Januar 1990 wurde auch sie gestürmt. Im August 1990 verabschiedete die Volkskammer ein Gesetz, das die Vernichtung der rund sechs Millionen Stasi-Akten verbot.