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Syrien nach Assad : Sturz ins Ungewisse

Nach dem Ende der Diktatur bleibt die Lage in Syrien unübersichtlich. Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) warnt derweil vor verfrühten Rückführungsdebatten.

20.12.2024
True 2024-12-20T15:54:40.3600Z
3 Min

Die Reaktionen reichen von großer Erleichterung bis zu großer Sorge für die Zukunft Syriens: Am Mittwoch debattierten die Abgeordneten in einer Aktuellen Stunde über die Lage nach dem Sturz des Assad-Regimes und der Übernahme der Macht unter Führung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS).

Baerbock: Alle Bevölkerungsgruppen am politischen Prozess beteiligen

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) rief dazu auf, alle Bevölkerungsgruppen am politischen Prozess in Syrien zu beteiligen. Für einen friedlichen Übergang müssten die Rechte aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften berücksichtigt werden. Baerbock warnte davor, den syrischen Dialogprozess von außen zu torpedieren. "Wenn wir Frieden in der Region wollen, darf die territoriale Integrität Syriens nicht infrage gestellt werden", betonte die Ministerin. "Eine auf Dauer angelegte Besatzung auf dem Golan verstößt gegen das Völkerrecht", sagte sie mit Blick auf Israel, dessen Armee nach dem Umsturz im Nachbarland in die Pufferzone zu Syrien auf den Golanhöhen vorgedrungen ist.

Foto: picture alliance/Anadolu/Nur Ziadeh

In Damaskus suchen Familien nach vermissten Angehörigen. Die syrische Rettungsorganisation Weißhelme spricht von 150.000 Menschen, die in den Gefängnissen des Assad-Regimes verschwanden.

Jürgen Hardt (CDU) machte Russland, den Iran und die Hisbollah als Verlierer der "unerwarteten, überraschenden Entwicklung" in Syrien aus. "Es ist ein großer Gewinn, dass sowohl Russland als auch der Iran in dieser Region weniger zu sagen haben werden" und die Hisbollah keinen Rückzugsraum wie einst mehr finde. Deutschland habe mit Blick auf Israels Sicherheit und mit Blick auf die vielen geflüchteten Syrer hierzulande ein besonderes Interesse an einer guten, friedlichen Entwicklung Syriens. Die Bundesregierung müsse klare Erwartungen an die neue Führung in Damaskus adressieren, forderte Hardt: Dazu zähle zum Beispiel, dass "Muslime aber eben auch Nichtmuslime gemeinsam an den politischen Geschicken des Landes mitwirken".


„Noch ist Syrien ein am Boden liegendes Land, und die Sicherheitslage ist komplett unklar.“
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD)

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) warnte indes vor einer verfrühten Debatte über die Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihre Heimat und warf der Union vor, bereits nach Ausreiseprämien gerufen zu haben, als Syriens Diktator noch nicht einmal in seinem Fluchtort Moskau gelandet gewesen sei. "Noch ist Syrien ein am Boden liegendes Land, und die Sicherheitslage ist komplett unklar", sagte Schulze und verwies auf Kinder mit Mangelernährung sowie auf die Zahl von mehr als sieben Millionen Binnenvertriebenen.

Putin setzt Migration als Waffe gegen den Westen ein

Konstantin Kuhle (FDP) erinnerte daran, dass Russland ab 2015 das Assad-Regime durch die Bombardierung der nordsyrischen Städte vor dem Sturz bewahrt habe. Russland sei es um die Sicherung seiner strategischen Stützpunkte an der syrischen Mittelmeerküste und um Einfluss in der Nahostregion gegangen. Die Unterstützung für Assads Krieg gegen die eigene Bevölkerung und deren Vertreibung sei aber "immer auch ein hybrider Krieg gegen uns in Europa gewesen", sagte Kuhle. "Es ging und es geht Wladimir Putin immer darum, auf dem Rücken der betroffenen Menschen Migration als Waffe einzusetzen."

AfD: Türkei unterstützte islamistische Kräfte 

Steffen Kotré (AfD) kritisierte hingegen, dass der syrische Bürgerkrieg auch mit Unterstützung des Westens befeuert worden sei und die Türkei islamistische Kräfte unterstützt habe. "Es war ein Verdienst der Russen, den 'Islamischen Staat' geschwächt, wenn nicht gar besiegt zu haben." Kotré warb für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien, die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, Unterstützung beim Wiederaufbau und "letztendlich Remigration und Reintegration aller bei uns lebenden Syrier, dann aber dort in Syrien". Syrer, die sich in Deutschland integrierten und für ihren eigenen Unterhalt sorgten, seien herzlich willkommen. "Aber leider ist das nicht die größte Gruppe."

Am Donnerstag beriet der Bundestag zudem über einen Antrag der Unionsfraktion zu Sanktionen gegen das russische "Afrikakorps". "Die Schwächung der russischen Afrikapolitik durch den Sturz des verbündeten Ex-Diktators Assad in Syrien, dessen Land von Russland auch als Drehkreuz für Militärgüter nach Afrika benutzt wurde, stellt eine gute Gelegenheit dar, durch Sanktionen weiteren Druck auszuüben", schreiben die Abgeordneten.

Kann Russland seine Militärpräsenz erhalten?

Das dem russischen Verteidigungsministerium unterstellte "Afrikakorps" als Nachfolger der Söldnergruppe Wagner habe Operationen in Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik übernommen. Drehscheibe für die Einsätze waren bisher die Marinebasis in Tartus und der Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in Syrien. Ob Russland diese Militärpräsenz nach dem Machtwechsel in Damaskus aufrecht erhalten kann, ist fraglich.