Schattenarmee in Russlands Diensten : Putins gefallene Söldner
Die Journalisten Lou Osborn und Dimitri Zufferey haben eine spannende Geschichte der Wagner-Gruppe vorgelegt. Deren Bedeutung überschätzen sie jedoch.
Jewgeni Prigoschin und Söldner der Wagner-Gruppe im Mai 2023 in der ukrainischen Stadt Bachmut.
Am 23. August 2024 ließ Russlands Präsident Wladimir Putin den Chef der privaten Sicherheitsfirma Wagner, Jewgeni Prigoschin, "eliminieren". Dem Tod von "Putins Koch" gingen zwei Mitglieder des internationalen Recherchekollektivs "All Eyes on Wagner" auf den Grund: Lou Osborn, freie Redakteurin der britischen NGO "Centre for Information Resilience", und der Schweizer Journalist Dimitri Zufferey. Herausgekommen ist eine lesenswerte Geschichte über Prigoschin und seine Privatarmee. Ausgewertet haben sie jedoch vor allem öffentlich zugängliche Quellen.
Im Westen war Prigoschins "Troll-Fabrik" und Söldnertruppe längst keine Unbekannte mehr: Mit Cyberangriffen und Fake News überschwemmte sie soziale Medien. Im Jahr 2014 war die Gruppe Wagner als neues Instrument der russischen Sicherheitspolitik gegründet worden. Nach der Krim-Eroberung erlangte die Firma in Afrika einige Berühmtheit, als sich Russlands Konfrontation mit dem Westen zuspitzte.
Die Söldnertruppe finanzierte sich aus Rohstoffverkäufen
Detailliert stellen die Autoren die Geschäfte von Wagner in Afrika dar, insbesondere die Unterstützung der lokalen Militärregime im Kampf gegen islamistische Gruppen und die politische Opposition. Zudem finanzierte Russland Influencer vor Ort in ihrem Propaganda-Krieg gegen die französische Afrikapolitik. Auch wenn Prigoschins Erfolge ins Fenster gestellt wurden, ohne Unterstützung des Verteidigungsministeriums und des russischen Militärnachrichtendienstes GRU hätte er seine Truppen weder bewaffnen noch nach Afrika schicken können. Dort finanzierte sich Wagner mit Beteiligungen an Rohstoffverkäufen, darunter dem Goldbergbau.
In Russland war die Wagner-Gruppe jedoch nicht wegen ihrer Afrika-Aktionen bekannt, sondern wegen ihres Einsatzes in der Ukraine. Leider wiederholen Osborn und Zufferey Prigoschins Behauptungen über seine Rolle während der Krim-Eroberung 2014. Es ist belegt, dass nicht Wagner, sondern Speznaz-Einheiten des GRU und reguläre russische Luftlandetruppen die Hauptrolle spielten.
Lou Osborn, Dimitri Zufferey:
Die Söldner des Kremls.
Wagner und Russlands neue Geheimarmeen.
C.H.Beck,
München 2024;
352 Seiten, 26,00 €
Richtig hingegen ist, dass Prigoschin die Genehmigung erhielt, in Strafkolonien und Gefängnissen selbst verurteilte Mörder für den Einsatz an der ukrainischen Front zu rekrutieren. Bis zu 20.000 seiner Söldner trieb er als Kanonenfutter in den "Fleischwolf von Bachmut". Gleichzeitig beschimpfte er den russischen Verteidigungsminister und dessen Generalstabschef in den sozialen Medien als korrupt und unfähig, weil sie seine Truppen nicht ausreichend mit Munition beliefern würden. Der eigentliche Grund seiner Empörung war jedoch, dass das Ministerium alle privaten Sicherheitsfirmen an der Front seiner Kontrolle unterstellt hatte. Schließlich zog Prigoschin mit seinen Truppen Richtung Moskau, um "Gerechtigkeit" einzufordern.
"In Erwartung eines Wunders" verfolgte ganz Russland am 24. Juni 2023 über Telegram den Marsch der Wagner-Truppe auf Moskau. So beschreibt der russische Schriftsteller Dmitry Glukhovsky die Stimmung in seinem Buch "Wir. Tagebuch des Untergangs". Und weiter: "Alle wurden an diesem Tag unweigerlich von einer Art Hype erfasst". Jeder habe gewusst, dass "Prigoschin ein Schurke, ein Bandit, Fleisch von Putins Fleisch und Blut ist". Der zügige, relativ unblutige Vormarsch auf Moskau habe das Regime Putins in den Augen der Menschen auf einmal zerbrechlich, ja trügerisch erscheinen lassen, notiert Glukhovsky.
400.000 Clown-Emojis für Prigoschins Rückzugserklärung
Auch wenn sich der Aufstand als "Farce entpuppte", zerstörte er die Legende vom stabilen Putin-System und den Mythos, der Ukraine-Krieg werde von breiten Teilen der russischen Bevölkerung unterstützt. Als Prigoschin auf seinem Telegram-Kanal den Abbruch des Vormarschs verkündete, um "Blutvergießen zu vermeiden", schlug die Bewunderung für ihn sogleich in Enttäuschung um. Seine Follower setzten fast 400.000 Clown-Emojis unter diesen Post und spotteten über seine Feigheit, sein theatralisches Gehabe und seinen plötzlichen Sinneswandel. Zwei Monate später stürzte Prigoschins Flugzeug bei Moskau ab, er selbst und "Wagners" führende Kommandeure kamen dabei um. Dies führte jedoch nicht zu einem Ende der Wagner-Aktivitäten in Afrika, betonen Osborn und Zufferey. Unter Führung des Verteidigungsministeriums, des GRU und des Auslandsgeheimdienstes SWR übernahm der Kreml nahtlos die Geschäfte der Gruppe.
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Allerdings übertreiben die Autoren maßlos, wenn sie "Putins Geheimarmee" zu den "größten Erfolgen Russlands im letzten Jahrzehnt" zählen. Denn Wagner ist nicht dafür verantwortlich, dass Frankreich aus seinen ehemaligen Kolonien in der Sahel-Zone vertrieben wurde. Vielmehr sind die politischen Erfolge Russlands in Afrika vor allem auf die kostenlosen Lieferungen von Getreide, Düngemitteln, Öl und Waffen an die örtlichen Regime zurückzuführen. Das Scheitern der westlichen Politik in Afrika ist zudem die Folge einer neuen antikolonialen Bewegung, die von China unterstützt wird, einem Generationswechsel in der lokalen politischen Klasse und neuen Verteilungskämpfen.