Axel Schäfer im Interview : "Die deutsch-italienischen Beziehungen sind äußerst stabil"
Der Sozialdemokrat ist Vorsitzender der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe. Er plädiert für eine Aufwertung der Beziehungen durch einen Freundschaftsvertrag.
Herr Schäfer, Italien gilt als Sehnsuchtsland der Deutschen. Aber richtig viel wissen Deutsche und Italiener offenbar nicht übereinander, glaubt man einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vorurteile und Klischees dominierten das Bild des jeweils anderen. Deutsche und Italiener verbinde eine "fragile Freundschaft", so ihr Befund. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen als Vorsitzender der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe?
Axel Schäfer: Nein gar nicht. Die deutsch-italienischen Beziehungen sind das komplette Gegenteil von fragil - nämlich äußerst stabil. Das Besondere an ihnen ist, dass sie meist unspektakulär und relativ problemlos sind. Die Verflechtungen sind eng, zum Beispiel in der Wirtschaft: Deutschland ist für Italien der wichtigste Handelspartner, Italien für Deutschland immerhin das sechstwichtigste Land beim Außenhandel. Diese enge Verzahnung der größten und drittgrößten Volkswirtschaft in der EU ist aber vielen Menschen überhaupt nicht bewusst.
Axel Schäfer (72) ist seit 2002 Abgeordneter des Bundestages und seitdem auch Mitglied der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe.
Es herrscht also doch einige Unkenntnis zwischen Deutschen und Italienern?
Axel Schäfer: Zumindest halten sich einige Klischees und Vorurteile, wie etwa das, dass Italien 'unser Geld verbrät'. Dabei gehört Italien wie Deutschland zu den EU-Nettozahlern. Umso schöner ist es da, wenn Zusammenarbeit diese Klischees widerlegt: Wie im Fall von Mario Draghi, dem italienischen Ministerpräsidenten und früheren Chef der Europäischen Zentralbank, der mit seinem Ausspruch "Whatever it takes" in der EU-Schuldenkrise 2012 den Euro rettete.
Besonders der kulturelle Austausch ist eng. Sie bezeichnen ihn als weltweit einzigartig. Woran machen Sie das fest?
Axel Schäfer: An der Dichte der Beziehungen. In keinem anderen Land existieren so viele deutsche Kultureinrichtungen wie in Italien. Neben den Goethe-Instituten gibt es deutsch-italienische Kulturgesellschaften sowie diverse deutsche Bildungs- und Wissenschaftsinstitutionen wie etwa die Villa Massimo. Sie ist die bedeutendste Einrichtung zur Spitzenförderung deutscher Künstler im Ausland. Hinzu kommen noch zig Städtepartnerschaften und Partnerschaften zwischen Schulen und Universitäten.
Auf politischer Ebene scheint das deutsch-Italienische Verhältnis in den letzten Jahren dennoch gelitten zu haben: Italien fühlte sich lange in Flüchtlingsfragen allein gelassen, und in der Corona-Pandemie war man von Deutschlands mangelnder Hilfe und Solidarität enttäuscht.
Axel Schäfer: Es gibt zugegebenermaßen Konflikte. Meiner Wahrnehmung nach war die deutsch-italienische Beziehung aber nie ernsthaft gestört. Die Zusammenarbeit funktioniert auch dann, wenn es die politische Couleur der Regierungen nicht vermuten ließe. Bestes Beispiel: der deutsch-italienische Aktionsplan.
Diesen haben Bundeskanzler Olaf Scholz und die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni vor knapp einem Jahr unterzeichnet. Mehr zusammengearbeitet werden soll etwa beim Bau einer Wasserstoffpipeline, bei Rüstungsprojekten, aber auch beim Thema Migration. Ausgehandelt worden war der Aktionsplan schon mit der italienischen Vorgängerregierung unter Mario Draghi. Zunächst sprach man sogar von einem Freundschaftsvertrag, ähnlich wie mit Frankreich. Dazu kam es aber nicht.
Axel Schäfer: Ja, und ich bedauere das. Ein Freundschaftsvertrag wäre sowohl sachlich angemessen, als auch symbolisch wichtig für Italien. Warum haben wir Beauftragte für die deutsch-französischen und die deutsch-polnischen Beziehungen, aber keinen für die deutsch-italienischen Beziehungen?
Viel Kritik gab es, als aufgrund von Sparmaßnahmen im Haushalt des Auswärtigen Amtes die Goethe-Institute in Genua, Turin und Triest Anfang des Jahres schließen mussten. Die richtige Entscheidung angesichts eines erstarkenden Nationalismus und wachsender Fliehkräfte in der EU?
Axel Schäfer: Ich hätte die Prioritäten anders gesetzt als die Außenministerin. Aber ich gehöre nicht zu denen, die Entscheidungen in der Koalition öffentlich kritisieren. Die grundlegenden Finanzprobleme sind ohnehin nicht zu lösen ohne eine Reform der Schuldenbremse. Ich hoffe sehr, dass das europäische Fundament tragfähig ist und die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit entstandene Lücken schließen kann.
Die Postfaschistin Giorgia Meloni hat sich, seit sie vor zwei Jahren Regierungschefin wurde, mehr und mehr Einfluss auf Kultur und Medien verschafft. Ob TV-Sender, Museen oder die Nationale Filmhochschule - Chefposten hat ihre Regierung zielstrebig mit eigenen Leuten besetzt. Droht damit die Gleichschaltung, wie Kritiker meinen?
Axel Schäfer: In jedem Fall verletzt so ein Vorgehen die Freiheit von Kultur und Medien. Ohne staatsferne Medien und kritische Berichterstattung gibt es keine Gewaltenteilung, keine Demokratie.
Darauf scheint es Melonis Regierung abgesehen zu haben: Die geplante Justizreform und vor allem die Verfassungsänderung zugunsten einer Direktwahl der Ministerpräsidentin, die im Sommer bereits die erste Hürde im Senat genommen hat, zielen auf einen Umbau des Staates. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein - und sprechen Sie darüber auch mit Ihren italienischen Kolleginnen und Kollegen?
Axel Schäfer: Käme es zu der Verfassungsänderung, würde das Amt der Regierungschefin massiv gestärkt, zulasten des Staatspräsidenten und des Parlaments. Die Gewaltenteilung wäre gefährdet. Doch ich erwarte nicht, dass diese Pläne eine Mehrheit finden. Das sehen erfahrene italienische Kollegen ähnlich. In Gesprächen versuche ich deutlich zu machen, dass unser Bundesverfassungsgericht beim Wahlrecht sehr strikt Vorgaben macht. Ein Bonus, wie ihn Melonis Reform auch vorsieht, der dem Wahlgewinner automatisch eine komfortable Mehrheit sowohl in der Abgeordnetenkammer als auch im Senat garantieren soll, wäre bei uns mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar. Darüber müssen wir kritisch sprechen, aber am besten im europäischen Rahmen - und keinesfalls nach dem Motto: Wir Deutschen wissen es besser.
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Das Gastland Italien will sich auf der Frankfurter Buchmesse stramm regierungsnah präsentieren – doch es gibt auch ein Gegenprogramm abseits der "Gastland-Piazza."