Italiens Kultur- und Medienpolitik : Ein Kulturkampf mit Hindernissen
Giorgia Meloni will die "kulturelle Hegemonie" der Linken brechen und durch ein national-konservatives Narrativ ersetzen.Doch sie scheitert auch am eigenen Personal.
Zwei Jahre nach ihrer Wahl zur Regierungschefin hat es Giorgia Meloni endlich geschafft: Mit der Ernennung ihres alten postfaschistischen Weggefährten Giampaolo Rossi zum operativen Chef der nationalen Rundfunkanstalt RAI und durch den von Vertretern der Rechtsregierung dominierten Aufsichtsrat ist der Staatssender Italiens nun definitiv unter ihrer Kontrolle. Schon zuvor hatte die Regierung die meisten redaktionellen Schlüsselstellen bei RAI mit linientreuen Journalisten besetzt, was nicht ohne Folgen blieb: Der Staatssender ist inzwischen, einmal abgesehen vom kleinen, traditionell linken dritten Kanal RAI 3, geradezu grotesk einseitig und parteiisch. "Telemeloni" nennt die Opposition die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt zutreffend.
Alte Weggefährten besetzen Schlüsselpositionen
Der 58-jährige Giampaolo Rossi kennt die elf Jahre jüngere Giorgia Meloni seit ihren politischen Sturm-und-Drang-Jahren in der "Jugendfront" des postfaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI). Der passionierte Pfeifenraucher wird von seinen Gesinnungsfreunden "il profeta", der Prophet, genannt - weil er als Literaturwissenschaftler die Weltsicht der italienischen Rechten so akkurat in Worte fassen kann.
Von Rossi stammen Sätze wie: "Putin wird abgelehnt, weil er sich nicht dem Diktat der vom globalisierten Spekulanten George Soros inspirierten Neuen Weltordnung unterwerfen will." Oder: "Donald Trump verfolgt nicht arme, illegale Migranten, sondern Mörder, Vergewaltiger, Drogenhändler, Pädophile und Gangmitglieder, die ihren illegalen Aufenthaltsstatus für kriminelle Tätigkeiten nutzen." Wenn es um die Zustände in seiner italienischen Heimat geht, ist Rossi nicht weniger zimperlich: "Nigerianer und Gutmenschen" seien der "Abschaum Italiens", den man "unschädlich machen" sollte, findet der neue RAI-Chef.
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu Gast im Studio der Sendung "Cinque minuti" des Senders RAI 1.
Das sind deutliche Worte im Staatssender. Doch der Wille nach ideologischer Kontrolle und Einflussnahme der Rechtsregierung macht auch vor den klassischen Kulturinstitutionen nicht halt. So wurde in diesem Jahr an der Biennale von Venedig der Autor und Theatermann Pietrangelo Buttafuoco als neuer Direktor installiert. Der Sizilianer war wie Giorgia Meloni und Rossi in jungen Jahren Mitglied der "Jugendfront" gewesen. Auch am Centro Sperimentale di Cinematografia in Rom, dem wichtigsten Filminstitut Italiens, haben die neuen rechten Regenten die Führung in ihrem Sinne ausgewechselt. Und selbst an ausländischen Kultur-Events mag Meloni keine kritischen Geister dulden, wie ihr Versuch, den linken Schriftsteller und Mafia-Experten Roberto Saviano von der Frankfurter Buchmesse fernzuhalten, belegt.
Kulturminister stolperte über eine Affäre mit einer Influencerin
Saviano wird auf Einladung seines Verlags und der Messeleitung zwar trotzdem in Frankfurt präsent sein - dennoch ist die "systematische, militärische Besetzung aller Schlüsselpositionen" im Kulturbetrieb und beim Staatssender, wie das Vorgehen der Regierung von der Opposition genannt wird, schon weit fortgeschritten. Doch vom eigentlichen gesellschaftlichen Ziel, nämlich der Etablierung eines neuen, souveränistischen und identitären Narrativs, bei dem "Gott, Familie und Vaterland" im Zentrum stehen und in dem die "Gender-Ideologie", die "Willkommenskultur", die "Öko-Vandalen" und der "Multikulturalismus" keinen Platz mehr haben, ist die Regierung noch ein gutes Stück entfernt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die italienische Rechte ganz einfach nicht über das geeignete Personal verfügt, um ihre Weltanschauung glaubwürdig zu repräsentieren.
Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte unlängst Kulturminister Gennaro Sangiuliano: Der Minister, dem Meloni die Aufgabe übertragen hatte, das neue Narrativ mit Inhalten zu füllen und in den Köpfen und den Herzen der Italienerinnen und Italiener einzupflanzen, stolperte über eine Affäre mit einer 20 Jahre jüngeren Influencerin. Sein tränenreicher Auftritt bei RAI, bei dem er seine Ehefrau um Vergebung bat, war ein guter Indikator für das Niveau sowohl des Ministers als auch des Staatssenders. Schon zuvor hatte sich der frühere Fernsehmann Sangiuliano mit unzähligen Patzern und Peinlichkeiten blamiert. So hatte er bei der Verleihung des Premio Strega, des wichtigsten Buchpreises Italiens, seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass er noch das eine oder andere der prämierten Bücher werde lesen können. Nur: Als Kulturminister saß Sangiuliano von Amtes wegen in der Jury - er hätte also alle Bücher längst gelesen haben müssen.
Meloni lebt das von ihr propagierte traditionelle Familienbild selbst nicht
Auch die Nummer 2 im Kulturministerium, der 72-jährige Kulturstaatssekretär Vittorio Sgarbi, konnte sich nicht lange halten. In einer Talkshow hatte der eitle Kunstkritiker von seinen "mehr als tausend Frauen" schwadroniert, die von ihm angeblich schon beglückt worden sind. Dass es aussichtslos ist, mit derart vorgestrigen Mannsbildern wie Sgarbi und Sangiuliano eine neue kulturelle Hegemonie zu erringen, hat letztlich auch Meloni eingesehen. Die italienischen Frauen haben in jahrelangen, epischen Kämpfen gegen die katholische Kirche und die patriarchalischen Männer zuerst das Recht auf Scheidung (1970), dann das Recht auf Abtreibung (1978) und schließlich in mehreren Gesetzgebungsschritten die Gleichstellung von Mann und Frau erstritten. Das alles werden sie sich nicht wieder wegnehmen lassen, schon gar nicht von der ersten Frau an der Spitze der Regierung.
Was für Scheidung, Abtreibung und Gleichstellung gilt, gilt auch für die neuen Formen des familiären Zusammenlebens. Patchwork-Familien, Homo-Ehen und diversen Beziehungen hält Meloni zwar mit großer Verve das Ideal der traditionellen Familie aus Mann, Frau und Kind entgegen - aber bezeichnenderweise lebt nicht einmal die Regierungschefin selbst dieses Ideal: Giorgia Meloni ist alleinerziehende Mutter. Dasselbe ist seit kurzem nun auch ihre sechs Jahre ältere Schwester Arianna, die Politik-Chefin der Meloni-Partei Fratelli d'Italia: Sie hat sich im Sommer von ihrem Mann, Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, getrennt. Die beiden "Schwestern Italiens" leben ihren Landsleuten also alles andere als das von ihnen propagierte traditionelle Familienbild vor.
EU-Kommission kritisiert die massive politische Einflussnahme
Mit Sangiulianos peinlichem Abgang ist Melonis gesellschaftspolitischer Kulturkampf erst einmal gescheitert. Das ändert aber nichts daran, dass die politische Gleichschaltung des öffentlich-rechtlichen Senders RAI mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar ist. Die massive Einflussnahme der Rechtsregierung war denn auch ein zentraler Kritikpunkt im kürzlich erschienenen Bericht der EU-Kommission über den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsländern. Dass "Mamma RAI" ein Spielball der Politik ist, und dass die Politisierung des Senders von europäischen Behörden gerügt wird, ist allerdings nichts Neues: Beim Staatssender kommt es nach jedem Regierungswechsel zu mehr oder weniger großen Säuberungen. "Così fan tutte" - "so machen es alle".
Im Vergleich zu den Zeiten von Silvio Berlusconi, dem inzwischen verstorbenen TV-Tycoon und Multimilliardär, der vier Regierungen anführte - an denen notabene die Postfaschisten und die fremdenfeindliche Lega ebenfalls schon beteiligt waren -, erlebt Italien bezüglich Medien-Pluralismus heute geradezu idyllische Verhältnisse. Unter Berlusconi kontrollierte die Regierung nicht nur die RAI, sondern auch die einzigen damals existierenden national ausstrahlenden Privatsender, da diese zum TV-Imperium des Premiers gehörten. Es gab damals noch keine anderen, unabhängigen Privatsender, und auch das Internet und die sozialen Medien hatten noch nicht die gleiche Bedeutung als alternative Informationsquelle wie heute. Berlusconi hatte als Premier das absolute TV-Monopol - und nutzte es ausgiebig.
Von einer “Orbanisierung” ist Italien weit entfernt
Heute ist die Situation anders: Unter der Führung von Berlusconis ältestem Sohn Piersilvio sind die privaten Mediaset-Kanäle der Familie Berlusconi nicht mehr so einseitig wie früher. Und es gibt inzwischen den unabhängigen und kritischen Sender La 7, der zum RCA-Medienkonzern gehört, der auch den "Corriere della Sera" herausgibt. La 7 und auch der kleinere Sender Nove von Discovery Channel verzeichnen rasant steigende Zuschauerzahlen: Der einseitigen RAI laufen die Zuschauer in Scharen davon. Hinzu kommt, dass im Bereich der Printmedien schon immer eine große Vielfalt herrschte. Deshalb ist Italien von einer angeblichen "Orbanisierung", wie sie von der Opposition gelegentlich an die Wand gemalt wird, weit entfernt.
Ohnehin wird der Einfluss des Staatssenders auf die Wahlentscheidung der Bürger in der Regel überschätzt, wie die regierungskritische Zeitung "La Stampa" unlängst darlegte: "In den letzten 30 Jahren hatten wir zwölf Regierungschefs: Berlusconi, Dini, Prodi, D'Alema, Amato, Monti, Letta, Renzi, Gentiloni, Conte, Draghi und Meloni. Und nicht einer von ihnen, nicht ein einziger, hat - nachdem er die RAI gesäubert und damit der Tyrannei den Weg geebnet hatte - die nächsten Wahlen gewonnen", schreibt "La Stampa". Das liege wohl daran, dass die Dauerpräsenz der jeweiligen Regenten auf RAI die Wählerinnen und Wähler irgendwann zu langweilen beginne - und diese schließlich nicht nur den Sender, sondern auch gleich noch die Regierung wechselten.
Der Autor berichtet für verschiedene deutschsprachige Zeitungen aus Italien.