Gastland Italien auf der Buchmesse : Bloß keine Überraschungen
Das Gastland Italien will sich auf der Frankfurter Buchmesse stramm regierungsnah präsentieren – doch es gibt auch ein Gegenprogramm abseits der "Gastland-Piazza."
Was könnte italienischer sein als die Piazza? Jedes Dorf hat eine, Städte sogar mehrere, ein Ort zum Flanieren, Sehen und Gesehen-Werden, zum Treffen und Sich-Austauschen. Weltweit ist die Piazza, dieses italienische Wohnzimmer im öffentlichen Raum, ein Synonym für die Inszenierung des Lebens und für die Kunst der Kommunikation. Da ist es naheliegend, dass Italien als Ehrengast bei der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt auf die "Piazza" lädt - so heißt das Herzstück des vom Mailänder Stararchitekten Stefano Boeri entworfenen Pavillons. Der offene Raum in der Mitte wird gesäumt von einem eklektischen Laubengang mit antikisierenden Säulen. Die Piazza, erklärte Boeri im italienischen Rundfunk, sei Inbegriff für "Großzügigkeit, ein Ort, auf dem viele, überraschende Begegnungen stattfinden."
Das Motto lautet: "Wurzeln in der Zukunft"
Dazu bietet das Gastland Italien unter dem Motto "Radici nel futuro", Wurzeln in der Zukunft, ein umfangreiches Programm. Die einzelnen Regionen stellen sich mitsamt ihrer Verlagslandschaft vor, Übersetzerinnen und Verleger aus Deutschland und Italien tauschen sich aus über Realität und Zukunftsaussichten des Buchmarkts in beiden Ländern.
Mauro Mazza, Sonderbeauftragter der italienischen Regierung, der Architekt Stefano Boeri und die stellvertretende RAI-Direktorin Incoronata Boccia (v.l.n.r.) stellten am 28. Mai den Auftritt Italiens auf der Buchmesse vor.
In Italien ist der größte Player nach wie vor die Mondadori-Gruppe, im Besitz der Erben von Silvio Berlusconi. Ein Verlagskonzern, der hinter einer Regierungspartei steht, der zur Europäischen Volkspartei (EVP) gehörenden Forza Italia. Interessanterweise ist Mondadori-Chefin Marina Berlusconi im Vorfeld der Buchmesse öffentlich auf Distanz zum Rechtspopulismus gegangen, was in Italien als Kritik an der Absicht der Meloni-Parteigänger gewertet wurde, Frankfurt als Bühne für ihre Kulturpolitik zu nutzen. Bereits im offiziellen Werbevideo zu "Radici nel futuro" wird gezeigt, worum es bei der neuen Erzählung von Geschichte und Kultur geht. Als einzige Schriftsteller sind in dem Video der Antifaschist Pier Paolo Pasolini und der Mussolini-Verehrer Ezra Pound zu sehen, bei einem Treffen im Jahr 1968.
Das Programm wurde konsequent “entpolitisiert”
Doch um Faschismus und Antifaschismus wird es so direkt nicht gehen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wurde das Programm konsequent "entpolitisiert." Populismus und die Aushöhlung der Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Klimawandel, Einwanderung: In Italien dreht sich der Diskurs um ganz ähnliche Themen wie bei den nördlichen Nachbarn, erweitert um spezifische Probleme wie Mafia und der Brain Drain einer ganzen Akademiker-Generation. In Frankfurt aber wird man kaum etwas darüber erfahren. Stattdessen wird die Selbstdarstellung der Meloni-Regierung zelebriert, wie schon auf dem Pariser Festival du Livre, wo Italien 2023 Gastland war und beim Turiner Salone del Libro.
Den Auftakt macht am Vorabend der Eröffnung eine Gesprächsrunde in der Goethe-Universität zum Thema "Wurzeln des Christentums." Es folgen Opernarien - nichts Zeitgenössisches, sondern Puccini. Beim ersten Event auf Boeris "Piazza" wird dann über "Bellezza" gesprochen, die Schönheit. Teilnehmer: Die Schriftstellerin Susanna Tamaro, der Philosoph Stefano Zecchi, der Moderator Luigi Mascheroni. Alle drei sind Säulen der "Revolution", mit der Giorgia Meloni die angebliche "Hegemonie" der linken Kultur in Italien beenden will. Tamaro engagiert sich gegen Abtreibung, Zecchi, einst Kandidat der ultrarechten Partei Lega, vertritt die These, dass die Kultur bislang von linken "Sowjets" beherrscht wurde. Moderator Mascheroni arbeitet für die rechtskonservative Tageszeitung "Il Giornale." Ein Redaktionskollege von ihm moderiert auch die nächste Begegnung, bei der sich der Physiker Carlo Rovelli und ein konservativer Priester über "Leben im Zeitalter der Apokalypse" austauschen.
Ausladung Savianos sorgte für einen Eklat
Im Publikum auf der Piazza wird zu diesem Zeitpunkt wohl auch der neue Kulturminister Alessandro Giuli sitzen, der in seinem Beruf als Journalist ebenfalls für "Il Giornale" gearbeitet hat. Man kennt sich. Man schätzt sich. Und man wünscht keine überraschenden Begegnungen. Dafür garantiert Buchmessen-Regierungskommissar Mauro Mazza, auch er Journalist mit nationalkonservativer Haltung. Bei der Vorstellung der 100-köpfigen Buchmessen-Delegation im Mai dieses Jahres hatte Mazza für einen Eklat gesorgt, als er vor laufenden Kameras den Ausschluss von Roberto Saviano bekräftigte. Das Werk des weltbekannten Autors, sei "nicht originell", man habe deshalb lieber andere Schriftsteller nach Frankfurt einladen wollen. Tatsächlich gehören zum Tross des Gastlandes keineswegs nur linientreue Autoren. Wer Rang und Namen hat in Italiens Literatur wurde in die Delegation geladen, darf allerdings erst nach der Eröffnungsrunde sprechen, wenn der Minister und die Berichterstatter des regierungsnahen Staatsfernsehens RAI schon wieder in Italien sind.
Außer Roberto Saviano. Weil er seit dem Erscheinen seines Debüts "Gomorrha" 2006 von der neapolitanischen Camorra verfolgt wird und sich jahrelang in Polizeikasernen verstecken musste, gilt er auch als ein Symbol für die bedrohte Freiheit von Autoren. Zu Hause aber wird Saviano immer wieder von Regierungsvertretern desavouiert, auch von Giorgia Meloni selbst. Für sie ist der Schriftsteller eine der populärsten und wirkmächtigsten Stimmen der Opposition. Deshalb wollte sie vermeiden, dass Saviano in Frankfurt dabei ist.
Der politisch motivierte Ausschluss löste Empörung aus. Einige prominente Autoren, darunter Paolo Giordano, erklärten aus Solidarität mit Saviano spontan ihren Austritt aus der Gastland-Delegation. Antonio Scurati, der wegen eines Beitrags zum antifaschistischen Nationalfeiertag von der RAI zensiert worden war, hatte schon im Vorfeld demonstrativ auf die Reise mit Regierungsvertretern verzichtet.
41 Autoren beklagen in einem offenen Brief die politische Einmischung
In einem offenen Brief an den heimischen Verlegerverband AIE (Associazione Italiana Editori) und an Buchmessen-Direktor Jürgen Boos beklagten insgesamt 41 Autoren, darunter 37 aus der Delegation, ihr "Unbehagen" über den Versuch der Regierung, den Gastland-Auftritt in Frankfurt als Werbeveranstaltung für die "Kulturrevolution" der rechtsnationalen Regierung zu interpretieren. Die immer stärkere Einmischung der Politik in die Freiräume der Kultur sei beunruhigend. Sie manifestiere sich nicht nur in der "systematischen Besetzung aller Schlüsselpositionen nach Kriterien der politischen Zugehörigkeit, sondern auch in mehr oder weniger expliziten Formen der Zensur." Diese reichten von persönlichen Angriffen und Diskreditierung als oppositionell wahrgenommener Autoren bis hin zum Ausschluss aus dem Staatsfernsehen und zu Verleumdungsklagen.
Der Ausschluss von Saviano sei Teil einer "ganzen Serie unterschiedlich gravierender Fälle von Machtmissbrauch, die wir in den letzten zwei Jahren nicht nur miterlebt haben, sondern die sich häufig auch gegen einen von uns gerichtet haben." Was in ihrem Heimatland geschehe, so die Autoren, sei “innerhalb Europas inakzeptabel und mit einer gesunden Demokratie nicht zu vereinbaren.”
Zusatzveranstaltungen für die “Rebellen”
Harte Vorwürfe, erhoben von den prominentesten Vertretern des Literaturbetriebs - neben den schon erwähnten Giuliano, Saviano und Scurati auch Donatella Di Pietrantonio, diesjährige Gewinnerin des renommiertesten Literaturpreises "Premio Strega", Francesca Melandri, Nicola Lagioia, Helena Janeczek und Dacia Maraini. Die Messe-Programmgestaltung des "Gastlandes", so die Unterzeichner, offenbarten einen gravierenden Mangel an kulturellem Verständnis. Italien werde präsentiert wie eine Insel, eine Auseinandersetzung über die gesellschaftlichen Fragen werde ebenso verhindert wie der internationale Austausch.
Nach dem Eklat lenkte zumindest Verlegerpräsident Innocenzo Cipolletta ein. Zwar wurde am bereits bestehenden Programm nichts geändert, doch gewährte der Verband den "Rebellen" eine Handvoll Zusatzveranstaltungen zum offiziellen Programm, die mit dem Hinweis "Organisiert von den Unterzeichnern des offenen Briefs" gekennzeichnet sind.
"Das Parlament" auf der Frankfurter Buchmesse besuchen
📍 Die Wochenzeitung "Das Parlament" präsentiert sich und ihr Angebot als Gast am Stand der Bundeszentrale für politische Bildung in der Halle 3.1 (Stand E10).
🗞️ Besucher erwartet dort erstmals ein Ausblick auf das neue Format der Zeitung, in dem diese ab 1. November erscheinen wird. Am Stand gibt es zudem kostenlose Probe-Abonnements, das Demokratie-Shirt von "Das Parlament" sowie aus Anlass von 75 Jahren Parlamentarismus in der Bundesrepublik die Möglichkeit, in der Original-Nachbildung der Urschrift des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 zu blättern.
📖 Am 17. Oktober um 16 Uhr und am 18. Oktober um 15 Uhr gibt es die Möglichkeit, mit dem Historiker und Parlamentskenner Michael F. Feldkamp in die Geschichte des Grundgesetzes einzutauchen und alles zu seiner Urschrift, ihrem heutigen Zustand und ihrer Aufbewahrung zu erfahren. Feldkamp arbeitet als Historiker im Parlamentsarchiv des Deutschen Bundestages und kennt die Verfassungsurkunde wie kaum ein anderer.
Zu den Diskussionsveranstaltungen über "Die Pflichten der Kultur" oder über "Vaterland und Nation", moderiert von regierungsnahen Journalisten, ist die literarisch-publizistische Prominenz nicht zugelassen. Da setzten sich einschlägig bekannte Ideologen der Neuen Rechten mit liberalen Intellektuellen auseinander - allesamt Männer. Den Frauen werden "Frauenthemen" überlassen: Ein Gesprächskreis über Frauenmorde, ein Podium über "Die weibliche Seite in Kunst und Literatur" und eine Veranstaltung mit dem rätselhaften Titel "Parfums und Küsse."
Überraschende Begegnungen wird es in Frankfurt trotzdem geben, allerdings abseits der "Gastland-Piazza." Denn die "Rebellen" reisen unabhängig von der Delegation an. Roberto Saviano wird ebenso dabei sein wie Paolo Giordano und Antonio Scurati. Die beiden letzteren diskutieren am Eröffnungsmorgen mit Francesca Melandri und Melania Mazzucco im zentralen Frankfurt Pavillon über die Lage in ihrem Land. Das Motto für das Alternativprogramm, das der Schriftstellerverband PEN Berlin in Zusammenarbeit mit den italienischen "Dissidenten" organisiert hat, ist nicht zufällig gewählt: "Das andere Italien."
Die Autorin war langjährige Korrespondentin der "Zeit" und arbeitet als freie Journalistin und Publizistin in Italien.