Schweden : Hoher Preis für die Macht im Norden
Nach seinem Sieg bei der Parlamentswahl steht das Mitte-Rechts-Bündnis nun vor einer schwierigen Regierungsbildung.
Zwei Wochen nach dem glänzenden Erfolg der Schwedendemokraten (SD) bei der Parlamentswahl ist weiter offen, wie die von Alt- und Neonazis gegründete Partei ihre 20,5 Prozent in handfeste Macht umsetzen kann. Natürlich wolle man jetzt als stärkste Kraft des Mitte-Rechts-Lagers in die Regierung und habe Anspruch auf Ministerposten, verkündet SD-Chef Jimmie Åkesson. Der Konservative Ulf Kristersson, inzwischen mit Sondierungen für die Regierungsbildung beauftragt, will die Rechtsaußen aber nur als Mehrheitsbeschaffer ins Boot nehmen.
Rechtsaußen nur als Mehrheitsbeschaffer?
Dafür wird er einen hohen Preis mit politischen Zugeständnissen zahlen müssen. Die SD haben nach der fünften Reichstagswahl in Folge mit kräftigen Zugewinnen kaum zu schlagende Trümpfe in der Hand. Ausschließlich ihrem Erfolg ist zu verdanken, dass hinter Kristersson eine knappe Mehrheit von 176 Abgeordneten gegenüber 173 für den Mitte-Links-Block der bisherigen sozialdemokratischen Regierungschefin Magdalena Andersson steht.
Alle anderen bürgerlichen Parteien verloren Stimmen, einschließlich der Konservativen selbst, die sich überdies mit 19 Prozent von den Rechtsextremisten überholt sehen mussten. "Svenska Dagbladet" kommentierte: "Jetzt wird Ulf Kristersson Ministerpräsident in Jimmie Åkessons Regierung." Noch kurz vor der Wahl 2018 hatte Kristersson der Auschwitz-Überlebenden Hédi Fried versprochen, "niemals, niemals irgendwie mit SD zusammenzuarbeiten". Jetzt sind deren braune Wurzeln vergessen, stattdessen gibt es Lob vom Regierungschef in spe: "Sie haben bei starkem Gegenwind aufrecht gemahnt, dass wir die Zuwanderung begrenzen müssen, wenn wir die Integration schaffen wollen."
Wahlkampfthema Gang-Kriminalität
Topthema im Wahlkampf war die außer Kontrolle geratene Gang-Kriminalität unter jungen Männern aus Migrantenfamilien. Schockierend hohe Opferzahlen bei immer mehr Bombenanschlägen und Schießereien auf offener Straße erschütterten das Grundvertrauen in den Staat. Es gilt als klar, dass sich Kristersson und SD auf massive Beschränkung der Zuwanderung und Strafverschärfungen speziell für Banden-Kriminalität einigen werden. "Dänemark ist unser Vorbild" lautet das gemeinsame Mantra mit Blick auf die dort seit zwei Jahrzehnten extrem harte Politik gegenüber Zugewanderten.
So gut wie einig ist sich Kristerssons Lager auch über den möglichst schnellen und massiven Ausbau der Atomkraft. Ein Wahlkampfversprechen, das angesichts astronomischer Strompreise verfing - und das ausgerechnet im ersten Land der Welt, das sich 1980 per Volksabstimmung von dieser Energiequelle verabschiedet hatte. Doch jetzt schlug die Angst vor explodierenden Strompreisen die Angst vor dem atomaren Supergau. Lang allerdings ist die Liste von Themen mit schwer überbrückbaren Differenzen im Mitte-Rechts-Lager vor allem bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Alles deutet auf eine Minderheitsregierung hin
Zu erwarten ist deshalb eine Minderheitsregierung unter Kristersson, die mit umgekehrten Vorzeichen auf genauso wackligen Beinen stehen wird wie zuletzt die sozialdemokratische unter Magdalena Andersson. Außenpolitisch steckt Schweden mit dem noch nicht in Kraft getretenen Nato-Beitritt wegen des Widerstands aus der Türkei in einer schwierigen Lage. Kristersson will hier die Erdogan diskret entgegenkommende Linie seiner Vorgängerin Andersson fortsetzen.
Die SD hält nichts von Brüssel
Für die schwedische EU-Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte darf er wohl auf Zurückhaltung der SD hoffen. Die allerdings rein taktisch sein würde, denn Åkesson hält wie die Rechtspopulisten überall in Europa nichts von Brüssel. Über Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat er nur Gutes zu sagen und konnte sich bei einer Journalistenfrage "Biden oder Putin?" nicht entscheiden, wen er vorzieht.
Die Sozialdemokratin Andersson hatte im Wahlkampf massiv vor Einfluss für die SD gewarnt: "Ihre Hasskampagnen sind exakt wie die der Nazis in den 30er Jahren". Nach der Niederlage des Mitte-Links-Lagers (bei 30,3 Prozent für die eigene Partei) bietet sie nun Kristersson eine Zusammenarbeit an. Ohne Echo. Schwedens Bürgerblock zeigt sich vorerst fest entschlossen, für die Regierungsmacht mit den Rechtsextremisten zu paktieren.
Der Autor ist Skandinavien-Korrespondent der Frankfurter Rundschau.