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Foto: picture alliance / abaca
Michel Barnier, hier am Mittwoch bei einem Treffen der Mitte-Rechts-Partei "Horizons", muss mit allen Parteien sprechen, um eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden.

Regierungsbildung in Frankreich : Premier sucht Kabinett

Als Brexit-Unterhändler erwarb sich Michel Barnier den Ruf eines geschickten Verhandlers. Bis zur nächsten Woche will er eine neue Regierung bilden. Ein Balanceakt.

12.09.2024
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4 Min

Im Amtssitz Matignon des Premierministers Michel Barnier hängt ein bedeutsames Foto: Es zeigt den ehemaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle, der 1962 die Hand von Konrad Adenauer auf der Treppe des Elysée-Palastes drückt. Adenauer ist Barniers großes Vorbild, der Kanzler, der Deutschland wieder aufgebaut und ein Europa des Friedens geschaffen hat. Das Foto hängt er immer in seinen Büros auf. 

Die Nationalversammlung ist in drei gleich starke Blöcke geteilt

Auch der neue Premier hat ein großes Aufbauprojekt zu bewältigen. Ein Regierungsprogramm aufzustellen und Minister zu finden, die für Einigung sorgen, kommt einem Balanceakt gleich. Präsident Emmanuel Macron hatte zwei Monate lang nach einem Premierminister gesucht. Die Wahl fiel schließlich auf den 73-jährigen konservativen Republikaner, weil er der Einzige ist, der einem Misstrauensantrag vermutlich standhalten kann. Der ehemalige EU-Kommissar steht für eine Kontinuität der Politik Macrons, auch in Europaangelegenheiten bedeutet er Stabilität. 

Barnier hat Gespräche mit verschiedenen politischen Parteien schon begonnen, in der Hoffnung, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu erreichen. Doch das wird schwierig. Das Unterhaus des französischen Parlaments ist in drei Blöcke gespalten: Linke, Macrons Mitte und die extreme Rechte. Keiner der Blöcke hat die Mehrheit. Alles hängt nun von den Rechtsextremen ab, von Marine Le Pens Rassemblement National (RN). Die Linke spricht von einem Deal zwischen Macron und RN. Frankreichs Medien berichten über Verhandlungen zwischen Le Pen und Macron. Le Pen soll Barnier „respektabel“ finden. Sie fordert, dass er auf die Vorstellungen der RN-Wähler eingeht. 

Mit Barnier rückt Frankreich nach rechts, das erzeugt Unmut

Barnier betonte schon, dass er sich besonders um Themen wie Migration und innere Sicherheit kümmern will, für die RN steht. Sogar ein Immigrationsministerium ist wieder in der Diskussion. Das waren auch schon seine Themen, als er sich 2022 als Präsidentschaftskandidat bewarb. Mit Barnier rückt Frankreich aus der Mitte nach rechts - die Frage ist nur, wie weit. Er wolle „allen politischen Kräften“ zuhören, versprach er. 

Macrons eigentliche Idee war, eine republikanische Regierung zu gestalten, die von links bis rechts geht – allerdings ohne extreme Linke und extreme Rechte. Doch mit Barnier wird es nicht leicht, Sozialisten oder Grüne für die Regierung zu gewinnen. Die Linken sind wütend, weil Macron ihre Kandidatin für das Amt des Premierministers übergangen hat. Das Linksbündnis Neue Volksfront hat sich bereits gegen eine Zusammenarbeit mit Barnier ausgesprochen und einen Misstrauensantrag angekündigt. Die Allianz aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und der linken LFI (La France insoumise, Unbeugsames Frankreich) hat die meisten Abgeordneten im Parlament. 


„Wir haben einen Premierminister, der vom RN genehmigt wurde, einen Premierminister unter Vormundschaft.“
Karim Bouamrane, Sozialist und Bürgermeister des Pariser Vorortes Saint-Ouen

Der Sozialist Karim Bouamrane, Bürgermeister des Pariser Vorortes Saint-Ouen, hat schon abgelehnt, Teil der Regierung zu werden. Er stand auch auf der Liste der Kandidaten für das Amt des Premierministers. „Wir haben einen Premierminister, der vom RN genehmigt wurde, einen Premierminister unter Vormundschaft“, begründete er die Absage 

Für eine absolute Mehrheit braucht es die Unterstützung anderer Gruppen

Für Barnier keine gute Nachricht: Eine absolute Mehrheit von 289 der 577 Sitze mit Macrons Mitte und den Republikanern um sich zu versammeln, ist nicht möglich. Der neue Premier braucht die Unterstützung anderer politischer Gruppen im Parlament. Umso wichtiger wird der RN, um ein Misstrauensvotum zu vermeiden, aber auch um Gesetze durchzubringen. Der Sozialist Raphaël Glucksmann warnte deshalb, dass Macron das Risiko eingehe, „den Weg zu einer rechtsextremen Mehrheit zu ebnen“. Eine Beteilung des RN im Kabinett ist unwahrscheinlich, aber die Rechtsextremen könnten Einfluss auf Gesetze nehmen. 

Unter den Abgeordneten von Macrons Partei Renaissance herrscht keine Einigkeit über Barnier und die Regierung, die er bilden wird. Vor allem der linke Flügel ist unzufrieden. Ex-Premierminister Gabriel Attal, jetzt Fraktionschef von Renaissance, sagte: „Wir verraten unsere Werte nicht.“ Barnier hätte nicht automatisch die Unterstützung der Abgeordneten für seine Projekte, es gebe keinen Blankoscheck. Sie befürchten auch, dass Barnier die Republikaner bei der Regierungsbildung bevorzugt und Macrons Mitte weniger zum Zug kommt. 


„Wir verraten unsere Werte nicht.“
Gabriel Attal, Fraktionschef von Renaissance

Einige Mitglieder der alten Regierung ließen derweil schon wissen, dass sie gern weiter Minister bleiben wollen, darunter Innenminister Gérald Darmanin, Außenminister Stéphane Séjourné und Verteidigungsminister Sébastien Lecornu. Andere Mitglieder von Renaissance kündigten Interesse an. Auch der Zentrumspolitiker François Bayrou, der mit seiner Partei MoDem zu Macrons Mittebündnis gehört, will weiter Mitglieder seiner Partei in der Regierung sehen. Doch einige aus Macrons Reihen sind skeptisch: Sie befürchten in einer Regierung mit Republikanern aus dem rechten Flügel wie deren Fraktionschef Laurent Wauquiez zu sitzen. Dieser würde gern Innenminister werden und auf Immigrationspolitik und Sicherheitsfragen Einfluss nehmen. 

Die Verhandlungen zwischen Barnier und den Parteien können dauern

Macron will angeblich Barnier innenpolitisch volle Freiheit lassen. Vertraute Macrons haben ihre Zweifel, weil der Präsident dafür bekannt ist, alles zu kontrollieren. Der Präsident habe Barnier „keine roten Linien“ vorgegeben, hieß es aus dem Elysée-Palast. Er will aber weiter die Kontrolle über die Europapolitik, sowie die Außen- und Verteidigungspolitik behalten, entsprechend der Rolle des Präsidenten. Dieser ist laut Verfassung nicht gezwungen, Minister zu akzeptieren, die der Premierminister vorschlägt. Meist stand die Ministerriege einige Tage nach der Ernennung des Premierministers. Die Zeit ist aber nicht festgelegt. Unter Attal wurden einige erst nach einem Monat ernannt.

Diesmal können sich schon die Verhandlungen zwischen Barnier und den Parteien hinziehen. Barnier versprach dennoch, dass kommende Woche bereits die Regierung feststehen soll. 

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Der neue Premier gilt als geschickter und höflicher Verhandler, einen Ruf, den er sich als Brexit-Chefunterhändler der EU erworben hat. Er kennt sich zudem in Frankreichs Politik mit Kompromissen zwischen rechts und links aus:  Er war schon Umweltminister unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand, Außenminister unter dem konservativen Jacques Chirac und Landwirtschaftsminister unter dem konservativen Nicolas Sarkozy.

Die Autorin ist Korrespondentin in Paris.