Nach den Parlamentswahlen in Frankreich : Koalition dringend gesucht
Die französische Linke gewinnt überraschend die Wahl in Frankreich, doch es bleibt offen, wie es weitergeht: Die Regierungsbildung könnte sich über Monate hinziehen.
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Nach den Parlamentswahlen gibt es wieder keine absolute Mehrheit einer Partei. Das genau war schon das Problem von Emmanuel Macron, der Neuwahlen ausgerufen hat, weil er nur die relative Mehrheit hatte. Als Sieger ging das Linksbündnis Front Populaire (Neue Volksfront, NFP) mit 182 Sitzen hervor. Macrons Mitte-Bündnis gelangte auf den zweiten Platz mit 168 Sitzen. Die Rechtspopulisten vom Rassemblement National stehen nur auf Platz drei mit 143 Sitzen, weil Macron und der NFP für die Stichwahl eine Allianz gegen den RN in den Wahlkreisen gebildet hatten. Die Franzosen erteilten den extremen Rechten mit einer hohen Wahlbeteiligung von 66,6 Prozent eine Absage.
Anhänger der Linken feierten in den Straßen Frankreichs den Sieg. Dabei kam es zu Ausschreitungen wie auf der Place de la République in Paris. Mit der Bekanntgabe der Ergebnisse am Sonntagabend erschallte in Paris ein großer Jubel – Erleichterung, den RN vermieden zu haben. Der NFP ist besonders stark in großen Städten wie Paris und bei jungen Leuten.
Schwierige Regierungsbildung: Kein Lager erlangt die absolute Mehrheit
Macron wirkte nach dem Ergebnis entspannt, obwohl schwierige Zeiten für Frankreich und Europa bevorstehen. Die Machtübernahme durch den RN wurde zwar vereitelt, dafür muss er sich nun mit Jean-Luc Mélenchon, dem Chef von der Linkspartei La France Insoumise (LFI) beschäftigen. Mit einem strahlenden Siegerlächeln trat der 72-Jährige kurz nach Schließung der Wahllokale vor die Fernsehkameras. Der Linke würde gerne Premierminister werden. Er drängte sich vor alle anderen aus dem Linksbündnis NFP und erklärte: "Macron hat die Macht und sollte die Neue Volksfront, dazu aufrufen zu regieren.“
Mélenchons Partner von den Sozialisten, Grünen und Kommunisten schauten hilflos zu. Alle anderen Parteien des NFP sind gegen den Eurokritiker Mélenchon, den Macron sogar als undemokratisch bezeichnete. Wie die Generalsekretärin der Grünen, Marine Tondelier, denken viele: „Ein guter Premierminister sollte das Land beruhigen.“ Das wäre ihrer Meinung nach bei Mélenchon nicht der Fall. Tondelier wird wie Sozialistenchef Olivier Faure in Frankreichs Medien immer wieder als Kandidatin genannt.
Ein Mann der Einigung wäre auch Ex-Präsident François Hollande, der als Abgeordneter der Sozialisten ins Parlament einzog und damit durchaus in Frage käme. Allerdings ist nicht sicher, ob er seinem Ex-Wirtschaftsminister Macron, der ihn zur Seite drängte, mittlerweile verziehen hat. Deshalb wäre Hollande ein Wagnis für den Präsidenten. Hollande trat am Wahlabend bewusst staatsmännisch auf.
Linksbündnis will Mitte Juli Kandidaten für Premierministerposten präsentieren
Die verschiedenen Parteien vom NFP erklärten einen Tag nach den Wahlen, innerhalb einer Woche einen Vorschlag für einen Premierminister aus den eigenen Reihen machen zu wollen. Die letzte Entscheidung liegt allerdings beim Präsidenten, der meist nach den Mehrheitsverhältnissen entscheidet. Macron ist bis 2027 im Amt, aber die Regierungsbildung gestaltet sich schwierig, weil kein Lager die absolute Mehrheit erlangte, für die 289 von 577 Sitzen in der Nationalversammlung notwendig sind.
Eine Allianz mit der Linksaußenpartei LFI ist für viele in Macrons-Mittebündnis indiskutabel. Fraglich ist, ob es Macron gelingt, die gemäßigten Linken, wie die Sozialisten, mit denen er sich arrangieren könnte, aus dem NFP zu lösen. Deshalb hat er zunächst Premierminister Gabriel Attal im Amt bestätigt, zumal Ende des Monats die Olympischen Spiele in Paris beginnen. Macron bat Attal, „im Moment“ zu bleiben, um die „Stabilität des Landes zu gewährleisten“.
Programm der Nouveau Front Populaire sorgt für Bedenken
Das Programm des NFP sorgt für Bedenken bei Ökonomen, weil es die ohnehin hohe Schuldenquote noch weiter ansteigen lassen würde und die Kreditwürdigkeit Frankreichs weiter herabgestuft würde. Die linke Volksfront lehnt die europäischen Defizitregeln ab, ebenso wie Handelsabkommen. LFI und Mélenchon waren im NFP bisher tonangebend, doch er ist wegen seiner radikalen Parolen umstritten. Seine Äußerungen zum Gaza-Konflikt und zum Ukraine-Krieg brachten ihm den Vorwurf des Antisemitismus und der Nähe zu Putin ein.
Vorläufige Sitzverteilung in der Nationalversammlung nach der Parlamentswahl in Frankreich 2024. Die Fraktionszugehörigkeit kann sich bis zum 18. Juli noch ändern.
Weit vorn liegt LFI allerdings nicht in der Neuen Volksfront. Die Partei kommt auf 77 Sitze, die Sozialisten erreichten 54, die Grünen 28 und die Kommunisten neun Sitze. Wenn man das Macron-Lager Ensemble (mit MoDem und Horizon) auseinanderrechnet, erreicht Macrons eigene Partei Renaissance immerhin 98 Sitze, also wesentlich mehr als irgendeine Partei der Linken – allerdings weniger als RN.
Le Pen bereitet sich auf Präsidentschaftswahlen 2027 vor
Nach der ersten Wahlrunde hatten viele Meinungsforschungsinstitute den Rassemblement National noch knapp unter der absoluten Mehrheit gesehen. RN-Chef Jordan Bardella sah sich bereits als Premierminister, und seine politische Ziehmutter Marine Le Pen strahlte. Ihren dritten Platz in der Stichwahl verbucht Le Pen dennoch nicht als Niederlage, sondern als Erfolg. Vorher hatte der RN 88 Abgeordnete, nun sind es 126 und mit Partnern sogar 143 – so viel wie noch nie.
Le Pen sagte, der RN sei die erste Partei Frankreichs: „Die Flut steigt. Sie ist dieses Mal nicht hoch genug gestiegen, aber sie steigt weiter und deshalb ist unser Sieg nur aufgeschoben“, sagte Le Pen am Wahlabend und nahm die Präsidentschaftswahl 2027 bereits ins Visier. Bis dahin hängt alles von Macron und den künftigen Regierungspartnern ab.
Die Autorin ist Korrespondentin in Paris.
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