Spannungen mit Russland im Ostsee-Raum : Schattenkrieg im Nato-Meer
Marode Tanker, russische Kampfjets, Störmanöver: Die Ostsee ist zum sicherheitspolitischen Brennpunkt geworden.
Sie sind uralt, rostig, kaum gewartet und oftmals ohne richtigen Versicherungsschutz unterwegs: Sogenannte Schattentanker, die russisches Erdöl durch die Ostsee etwa nach Indien oder China verschiffen. Wem die Schiffe gehören, ist völlig intransparent, die meisten fahren unter obskuren Flaggen von Ländern weit weg von Europa. Ein Drittel seiner Rohölexporte schickt Russland auf diese Weise von seinen Ostseehäfen in die Welt. Der Name Schattenflotte stammt daher, dass die Tanker absichtlich das automatische Schiffsidentifizierungssystem AIS abschalten - und sich unentdeckt wie im Schatten durch die Meere bewegen.
Zugangsverbot zu Häfen und Dienstleistungen schließt Schattentanker ein
Schon seit Monaten sorgt die marode Flotte für Unruhe bei den Ostseeanrainern. Finnland hat die Kontrollen auf See verstärkt, da es Unfälle vor seiner Küste befürchtet. Vor der schwedischen Ostseeinsel Gotland befinden sich seit kurzem ständig ganze Gruppen dieser Schiffe. Dort tanken sie auf, pumpen auf See ihre Ladung von einem Schiff zum anderen - um die Herkunft des Öls zu verschleiern - oder dümpeln einfach nur herum. Schweden beobachtete Schattentanker in seiner 200-Seemeilen-Wirtschaftszone, die mit Kommunikationsgeräten ausgestattet sind, die von normalen Handelsschiffen in keiner Weise benötigt werden. "Die russische Schattenflotte scheint gleichzeitig eine Spionageflotte zu sein", schreibt Elisabeth Braw, Expertin für Grauzonen-Taktiken bei der US-Denkfabrik Atlantic Council. Ihre Anwesenheit vor Gotland sei "mit Sicherheit provokativ gemeint".
Nun hat die EU in ihrem 14. Russland-Sanktionspaket erstmals gezielte Maßnahmen gegen Schiffe beschlossen, die zur Kriegführung Russlands gegen die Ukraine beitragen. Für diese gilt nun ein "Zugangsverbot zu Häfen und Dienstleistungen", das explizit die Schattentanker mit einschließt.
Das "Nadelöhr" Dänemark will gegen die Tanker vorgehen
Auch Dänemark hat angekündigt, gegen die Tanker vorgehen zu wollen. Das Land ist das Nadelöhr zwischen Nord- und Ostsee, seine vielen Inseln verengen das Meer auf zwei schmale Fahrwasser im Großen Belt und dem Öresund zwischen Dänemark und Schweden. Die Gefahr von Unfällen und einer Ölpest ist groß, zumal die schrottreifen Schiffe dort trotz der Enge immer öfter Lotsendienste ablehnen. Dänemark habe eine Gruppe anderer Ostseeanrainer und EU-Mitglieder zusammengebracht, um Maßnahmen gegen die Schattentanker zu evaluieren, sagte Außenminister Lars Løkke Rasmussen: "Es besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Schattenflotte ein internationales Problem ist und dass internationale Lösungen erforderlich sind."
Doch die rechtliche Lage ist durchaus knifflig, solange die Schattentanker die Gewässer nur passieren. Grund ist der noch immer gültige Kopenhagener Vertrag von 1857, in dem sich Dänemark "auf ewig" einer freien Durchfahrt verpflichtete, etwa gegenüber Großbritannien, Frankreich, Preußen - und dem russischen Zarenreich. Die dänischen Meerengen sind zwar europäische Gewässer, in denen theoretisch die Russland-Sanktionen gelten, die Einfuhr und Transit vieler russischer Waren verbieten. Doch in diesem Fall nützt das nichts. Der uralte Vertrag setzt laut der dänischen Anwaltskanzlei Gorrissen Federspiel das UN-Seerecht (UNCLOS) außer Kraft.
Es ist schwer, rechtlich einwandfrei auf russische Provokationen zu reagieren
Moskau reicht sein begrenzter Zugang zu dem Meer am nordöstlichsten Ostseezipfel und von seiner Exklave Kaliningrad, um durch gezielte Schikane die Nervosität der Anrainer stetig hochzuhalten. Das zeigt, dass die Ostsee nach dem Nato-Beitritt Finnlands (2023) und Schwedens (2024) kein reines "Nato-Meer" geworden ist, auch wenn an seinen Ufern außer Russland nur noch Mitglieder der Allianz liegen. Der Fall Dänemarks demonstriert zudem, wie schwierig es ist, rechtlich einwandfrei gegen russische Provokationen vorzugehen. Als Idee gegen die Tanker kursiert eine Versicherungspflicht für mögliche Umweltschäden.
Seit Monaten nehmen im Ostseeraum GPS-Störungen, riskante Flugmanöver russischer Kampfjets und Sabotageakte zu. Hinzu kommen Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und gezielter Vandalismus in den drei - an Russland grenzenden - baltischen Staaten.
Mehrere hundert Mal pro Jahr tauchen russische Kampfjets am Rand des Luftraums der Nato-Staaten auf - wie die Tanker gern mit ausgeschaltetem Transpondersignal. Sogenannte Alarmrotten müssen aufsteigen, etwa vom Flughafen Rostock-Laage aus: Nato-Kampfflugzeuge, die die russischen Piloten zurück in den internationalen Luftraum drängen. Gut ein Jahr nach der Explosion der beiden Nord Stream-Gaspipelines gab es im Oktober 2023 zeitgleich ominöse Schäden an mehreren Unterwasserleitungen zwischen Finnland, Schweden und Estland, die die betroffenen Staaten russischer Sabotage zuschreiben. Im Visier der Ermittler ist zugleich das chinesische Containerschiff NewNew Polar Bear, das zur fraglichen Zeit in der Nähe gewesen war.
EU-Außenbeauftragte fordert eine bessere Koordination westlicher Reaktionen
Russland führe einen "Schattenkrieg" gegen den Westen, sagte kürzlich die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, die voraussichtlich nun neue EU-Außenbeauftragte wird. Der Westen müsse seine Reaktion darauf besser koordinieren, um der russischen Bedrohung zu begegnen. Gerade das kleine Estland steht immer wieder im Fokus russischer Störaktionen. Im Mai entnahm Russland aus dem Grenzfluss Narwa mehrere Leuchtbojen, die das Fahrwasser und die Landesgrenze markieren. Ende April verloren Finnair-Piloten kurz vor der Landung in Estlands zweitgrößter Stadt Tartu die Orientierung aufgrund digitaler Sabotage des GPS-Leitsystems am Flughafen der Stadt - mutmaßlich ausgehend aus der Region St. Petersburg. Seit Monaten weist die Website gpsjam.org über der Ostsee großflächig GPS-Störsignale aus, die in der Szene als "Baltic Jammer" bekannt sind. Tartu stellte nach dem Vorfall eilig den Flughafen auf ein GPS-unabhängiges Leitsystem um.
Russland hat kein Interesse an einem konventionellen Krieg
Der "Schattenkrieg" könnte Teil eines Plans sein, die Nato dauerhaft zu destabilisieren. Russland wolle einen konventionellen Krieg gegen die Nato wohl vermeiden, sagt Minna Ålander, Sicherheitsexpertin am Finnish Institute for International Affairs in Helsinki. Stattdessen könnte es "versuchen, das Bündnis mit anderen Mitteln außer Gefecht zu setzen, nach dem Motto 'den Krieg gewinnen, ohne den Krieg zu führen'. Ansätze davon sehen wir bereits in der mannigfaltigen hybriden Kriegsführung Russlands gegen viele europäische Länder", so Ålander.
Bislang reagieren die Anrainerstaaten besonnen auf die Provokationen. So etwa, als die amtliche russische Nachrichtenagentur Tass kürzlich meldete, Moskau erwäge, die in der Ostsee verlaufenden Grenzen vor der Exklave Kaliningrad zugunsten Russlands zu verschieben. Schweden, Finnland und andere Anrainerstaaten wiesen den Plan umgehend kühl zurück. Moskau ließ das Vorhaben daraufhin wieder verschwinden. Generell sei die Nato in der Lage, einen militärischen Angriff aus Russland abzuwehren, wenn sie sich mit ihren neuen Verteidigungsplänen richtig aufstelle und Moskau mit konventionellen Waffen überlegen bleibe, sagt Ålander. Derzeit werden die Streitkräfte der Neu-Mitglieder Finnland und Schweden schrittweise in die Nato-Strukturen integriert, und gerade erst probte die Allianz mit dem Mega-Manöver "Steadfast Defender" auch in der Ostseeregion die Reaktion auf einen Angriff Russlands. "In dieser Debatte wird oft vergessen, wie die Lage aus russischer Perspektive aussieht", sagt Minna Ålander. "Und von dort aus sieht sie für Russland gar nicht gut aus."
Finnland und Schweden haben die Nato in der Region jedenfalls gestärkt: Schweden liegt strategisch mitten in der Ostsee und verfügt über eine hochmoderne Rüstungsindustrie. Finnland ist das einzige westliche Land an der Ostsee, das auch nach Ende des Kalten Krieges nie abgerüstet hat. Es ist ein Modell für effektiven Zivilschutz und das Konzept der "totalen Verteidigung", das die gesamte Bevölkerung für Konflikte wappnet. Im Falle einer akuten militärischen Bedrohung können die relativ kleinen finnischen Streitkräfte rasch ihre 280.000 Reservisten mobilisieren.
Finnland bekommt den geballten Zorn Russlands zu spüren
Finnland bekommt seit seinem Nato-Beitritt allerdings den geballten Zorn Moskaus zu spüren. Nach Erkenntnissen des estnischen Auslandsgeheimdienstes bereitet sich Russland darauf vor, eine neue Einheit Bodenkampftruppen in die Nähe der finnischen Grenze zu verlegen, wo die russische Militärpräsenz bislang minimal sei. Auch gibt es Berichte, Moskau wolle Batterien seiner Iskander-Raketen an der finnischen Grenze installieren.
Russland lässt seit Monaten zudem Geflüchtete an die 1.300 Kilometer lange Grenze schaffen, sodass Helsinki im November 2023 alle Grenzübergänge zu Russland schloss und die Kontrollen entlang der Grenze verstärkte. Auch das ist eine typische russische Grauzonen-Taktik, die man ab 2021 bereits an der Ostgrenze Polens gesehen hat.
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Dennoch fühle man sich in Finnland durch die Nato-Mitgliedschaft sicherer als zuvor, sagt Minna Ålander. "Die Hürden für einen Angriff auf uns sind gestiegen." Auch die Iskander-Raketen seien wenig beunruhigend. "Viele Finnen sagen dazu: Das macht militärisch doch überhaupt keinen Sinn. Es ist für uns dann doch viel einfacher, diese Raketenstationen zu eliminieren, wenn sie so dicht bei uns stehen. Bisher standen diese Raketen weiter entfernt, aber konnten Finnland trotzdem erreichen." Ähnlich pragmatisch gehe man mit Putins Atomdrohungen um, so Ålander. "Die Angst vor Nuklearschlägen ist bei uns nicht so groß. Wenn Russland uns abschießen würde, wäre auch St. Petersburg weg. Das kann Moskau nicht wollen. Und wir haben viele Zivilschutzbunker, die auch Atomschläge und nuklearen Fallout abhalten können. Das gibt den Finnen ein sicheres Gefühl."
Russland hat den Psychokrieg noch lange nicht gewonnen.
Die Autorin ist freie Journalistin.
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