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Interview zum Nato-Gipfel : "Wir müssen uns von der Illusion lösen, dass Sicherheit nichts kostet"

Christdemokrat Johann Wadephul fordert ein klares Bekenntnis im Haushalt 2025 zum Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigung. Er sagt: Der Verteidigungsetat muss ansteigen.

05.07.2024
True 2024-07-05T15:13:43.7200Z
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Als vor 75 Jahren, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, die Nato gegründet wurde, galt es in den Worten eines britischen Politikers, die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten. Das mit den Deutschen ist Geschichte, aber wie wichtig ist es noch heute, die Amerikaner drinnen in Europa zu halten?

Johann Wadephul: Das amerikanische Engagement in der Nato ist unersetzlich. Sie schultern etwa zwei Drittel der Ausgaben des Bündnisses und stellen zentrale Fähigkeiten. Es liegt auch im Interesse der USA, Stabilität und Frieden weltweit sicherzustellen und sich weiter in Europa zu engagieren. Dennoch muss man sehen, dass die USA nicht nur eine nordatlantische, sondern auch eine pazifische Macht sind. Es war nicht immer einfach für die USA, diese Balance zu halten, und angesichts der chinesischen Ambitionen im Westpazifik wird dies schwieriger werden.

Wie hoch schätzen Sie denn das Risiko ein, dass die USA sich aus der Nato und damit aus Europa zurückziehen könnten? Immerhin hat Donald Trump in seiner ersten Amtszeit auch nur den Mund gespitzt, aber nicht gepfiffen.

Johann Wadephul: Wenn es darum ging, Russland in die Schranken zu verweisen und den Erfolg der Demokratie zu untermauern, haben sich die USA stets klar positioniert. Es sind heute mehr US-Truppen in Europa als noch vor zehn Jahren. Das ist deutlicher Ausdruck der Bündnissolidarität der USA. Unabhängig davon, wer die US-Präsidentschaftswahlen gewinnt, ist die Forderung der USA nach mehr sicherheitspolitischer und finanzieller Eigenverantwortung der Europäer jedoch nachvollziehbar und vollkommen gerechtfertigt. Wir Europäer haben uns für die Stabilität in unserer Nachbarschaft zu lange auf das Engagement der Amerikaner verlassen.

Foto: Tobias Koch

Johann Wadephul (CDU) ist seit 2009 Mitglied des Bundestags. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion, zuständig für Auswärtiges, Verteidigung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie den Europarat.

Was genau sollten die Deutschen und Europäer tun, um einen Rückzug der USA, egal unter welchem Präsidenten, zu verhindern?

Johann Wadephul: Es wird von uns klar erwartet, das auf dem Nato-Gipfel in Vilnius vereinbarte Ziel zu erfüllen, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung zu investieren. Und dies vor allem auch um unser selbst Willen, denn wir müssen uns von der Illusion lösen, dass Sicherheit nichts kostet, und endlich eine ehrliche Debatte über die notwendigen Investitionen in Verteidigung und dafür notwendige Priorisierungen im Haushalt führen. Deutschland erfüllt das Zwei-Prozent-Ziel zwar jetzt zum ersten Mal. Doch wir müssen darüber reden, wie wir dies auch zukünftig sicherstellen. Der Verteidigungsetat muss ansteigen. Ich will diese Debatte transparent führen, denn es braucht die gesellschaftliche Akzeptanz für gesteigerte Verteidigungsbemühungen.

Noch liegt kein Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 vor, aber wie zuversichtlich sind Sie, dass mit ihm das Zwei-Prozent-Ziel der Nato wieder eingehalten wird?

Johann Wadephul: Bundeskanzler Scholz hat in seiner Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022 angekündigt, dass Deutschland in Zukunft das Zwei-Prozent-Ziel erfüllen wird. Und Verteidigungsminister Boris Pistorius hat jüngst öffentlich versichert, dass die Bundesregierung das Ziel auch im kommenden Jahr einhalten wird. Es braucht nun einen Entwurf für den Haushalt, um dies zu untermauern und Planungssicherheit für die Bundeswehr zu garantieren. Die Bundesregierung muss jetzt ihre diesbezüglichen Zusagen und Aussagen schwarz auf weiß in die Haushaltsplanung für 2025 und in der Mittelfristigen Finanzplanung bis 2028 umsetzen.

Sie sind deutscher Delegationsleiter in der parlamentarischen Versammlung der Nato. Wenn Sie dort mit Ihren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern sprechen, wie bewerten diese die deutschen Bemühungen für eine stärkere Bundeswehr?

Johann Wadephul: Deutschland ist die zentrale Drehscheibe der Nato in der Mitte Europas. Die Erwartungen, die heute an uns gerichtet werden, sind nachvollziehbar. Sie können eine Chance für uns sein, mehr Verantwortung zu übernehmen. Wir sind gut beraten, diese Chance zu ergreifen und somit unserer Verantwortung in Nato und EU auch gerecht zu werden.

Und wenn Sie auf die Verteidigungsanstrengungen der Nato-Partner blicken: Die scheinen doch sehr vom Bedrohungsgefühl abzuhängen, und das in Italien ist nun mal anders als in Polen.

Johann Wadephul: Die Nato verfolgt einen 360-Grad-Ansatz. Alle Bedrohungen oder Herausforderungen aus allen Himmelsrichtungen und damit die Belange aller 32 Mitglieder werden ernst genommen und finden Eingang in Strategien und Planungen. Aber die russische Bedrohung an der Ostflanke ist derzeit die existentiellste. Verliert die Ukraine, sind die Folgen für Europa unkalkulierbar. Ich habe jedoch keine Zweifel, dass allen Partnern bewusst ist, was hier auf dem Spiel steht. Gleichzeitig müssen wir die Sorgen etwa Spaniens oder auch Italiens über die Entwicklungen in der Sahel-Region ernst nehmen.


„Der Angriff auf die Ukraine ist eine Zäsur, die uns in eine neue Situation katapultiert hat.“
Johann Wadephul: (CDU)

Im Vorfeld des Nato-Gipfels am 11. Juli haben sich die Partner auf den Niederländer Mark Rutte als neuen Generalsekretär geeinigt. Viele östliche Partner hätten zunächst eigentlich gerne jemand aus ihren Reihen gesehen. Wie hoch bewerten Sie angesichts dessen die jetzige Einigung?

Johann Wadephul: Mit Mark Rutte wurde ein sehr erfahrener Regierungschef als neuer Generalsekretär designiert. In einer historisch schwierigen Situation bringt er das Verhandlungsgeschick und die Entschlossenheit mit, um in den kommenden Jahren die Verteidigungsfähigkeit der Nato entscheidend zu stärken und den Zusammenhalt zu wahren.

Wichtiges Thema auf dem Nato-Gipfel wird die Beitrittsperspektive für die Ukraine sein. Bisher gilt die Direktive, dass ein Beitritt erst nach einem Ende des Krieges in Frage kommt, weil dieser sich sonst zu einem Weltkrieg weiten könnte. Damit hat es aber Russland in der Hand, einen Beitritt auf unabsehbare Zeit hinauszuzögern. Sollte die Nato trotzdem bei ihrer Linie bleiben?

Johann Wadephul: Wir müssen der Ukraine eine klare Beitrittsperspektive geben. Man kann etwa diskutieren, ob zunächst nur der von der Ukraine kontrollierte Teil des Staatsgebietes dem Bündnis beitritt. Zentral aber ist, dass wir nicht zulassen dürfen, dass Putin einen endlosen Krieg führt, um einen Nato-Beitritt der Ukraine unmöglich zu machen.

Bei dem Gipfel soll auch über die nukleare Abschreckungsstrategie der Nato gesprochen werden. Das letzte Dokument des Bündnisses dazu stammt aus dem Jahr 2012 und damit gewissermaßen aus eine anderen Welt. Worauf kommt es jetzt bei der nuklearen Abschreckung an?

Johann Wadephul: Die Nato hat immer klar erklärt, dass sie ein nukleares Bündnis bleiben muss, solange sie nuklear bedroht wird. Dies ist leider aufgrund der Nukleardrohungen Putins nötiger denn je. Für die nukleare Abschreckung gelten die gleichen Grundsätze wie für die konventionelle: sie muss glaubhaft sein, sie muss klar und transparent kommuniziert werden und sie muss in ein Gesamtkonzept eingebettet sein.

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Zum Schluss noch ein Blick zurück: Was wurde in den vergangenen Jahrzehnten - und da muss man wohl schon bei den letzten Regierungsjahren von Helmut Kohl beginnen - in der deutschen und europäischen Verteidigungspolitik falsch gemacht?

Johann Wadephul: So viel wurde nicht falsch gemacht. Der Angriff auf die Ukraine ist eine Zäsur, die uns in eine neue Situation katapultiert hat. Man hätte mehr in Verteidigung investieren können. Dafür gab es aber weder politischen Willen noch Verständnis in der Bevölkerung. Jede Entscheidung muss man aus ihrer Zeit heraus bewerten. Und die Zeiten waren in den ersten dreißig Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges anders als jetzt.


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