Schwerpunkte des Nato-Gipfels : Elefanten im Raum
Ukraine-Krieg, russische Atomdrohungen, Konfrontation mit China: Der Nato-Gipfel zum 75. Jubiläum steht im Zeichen sicherheitspolitischer Großkrisen.
Wenn die 32 Staats- und Regierungschefs der Nato in der kommenden Woche in Washington die Sektgläser heben, um auf das 75-jährige Bestehen des Bündnisses anzustoßen, dürften sie aus den Augenwinkeln auch Schemen eines großen Elefanten im Raum wahrnehmen. In den Hauptstädten der Nato-Partner gibt es dafür einen eigenen Begriff: "Trump-proof", also Trump-fest, sollen die transatlantischen Beziehungen werden, sollte der Bündnis-skeptische Kandidat im November Amtsinhaber Joe Biden schlagen und erneut als US-Präsident ins Weiße Haus einziehen. Mit einer Personalie hat sich das Bündnis bereits gewappnet: Mark Rutte soll Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär nachfolgen. Der langjährige niederländische Premierminister hat mehrfach bewiesen, auch mit einem sprunghaft und exzentrisch auftretenden Donald Trump pragmatisch umgehen zu können.
Zentrales Thema: Weichenstellung für eine spätere Nato-Mitgliedschaft der Ukraine
Zentrales Thema des Gipfels dürfte die Frage einer Weichenstellung für eine spätere Nato-Mitgliedschaft der Ukraine werden - auch für diese Frage ist es nicht ganz unerheblich, mit wem es die Nato-Partner künftig in Washington zu tun haben werden. Auf dem Gipfel 2023 in Vilnius konnten die Partner keine gemeinsame Position in der Ukraine-Frage finden und auch jetzt sind sie noch weit von Einigkeit entfernt. Als sicher darf gelten, dass eine Mitgliedschaft nicht in Frage kommt, solange keine tragfähige Friedenslösung für das von Russland überfallene Land in Sicht ist. Der Nato-Vertrag enthält Bestimmungen, die die Aufnahme eines Kandidaten, der sich im Krieg befindet oder über umstrittene Territorien verfügt, nicht vorsehen. Vorstellbar ist aber, dass die Nato im Falle der Ukraine auf den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (Membership Action Plan) verzichtet, um ein künftiges Aufnahmeverfahren zu beschleunigen. Diskutiert wird zudem die Einrichtung eines Nato-Ukraine-Rates. Der russische Präsident Wladimir Putin seinerseits hat mehrfach vorgetragen, dass sich Russland durch eine Nato-Annäherung der Ukraine bedroht sehe. Inzwischen hat sich die russische Seite auf eine Maximalforderung versteift, deren Unerfüllbarkeit ihr selbst klar sein dürfte: die Rückabwicklung der Nato-Erweiterungen seit 1997.
Stärkung der europäischen Säule
Ebenfalls mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eng verknüpft ist die Erhöhung der Verteidigungsausgaben der Nato-Mitglieder im Sinne einer glaubwürdigen Abschreckung. Laut Selbstverpflichtung liegt das Ziel bei mindestens zwei Prozent des jeweiligen Nationaleinkommens. Mittlerweile melden zwei Drittel aller Nato-Staaten hier Vollzug, darunter auch Deutschland unter Anrechnung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens als Zeichen der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen "Zeitenwende". Weitgehende Einigkeit besteht darin, die europäischen Verteidigungsfähigkeiten zu stärken. Eine Stärkung der "europäischen Säule" der Nato wird nicht nur, aber vor allem deshalb als nötig erachtet, weil eine Verschärfung der Konfrontation mit China befürchtet wird und sich Aufmerksamkeit und Ressourcen insbesondere der USA noch stärker auf den indopazifischen Raum richten dürften.
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In diesem Lichte dürften weitere Tagesordnungspunkte des Nato-Gipfels stehen: Dazu gehört zum Beispiel die Nato-Partnerschaftspolitik insbesondere mit demokratischen Ländern. Angesichts russischer Atomdrohungen im Ukraine-Krieg könnten sich die Nato-Partner außerdem auf eine neues nukleares Strategiedokument verständigen oder ein solches zumindest vorbereiten. Das letzte Papier dieser Art wurde 2012 beim Gipfel in Chicago beschlossen: Damals hieß der US-Präsident noch Barack Obama, und Russlands Präsident hatte noch nicht im Handstreich mit der Krim-Besetzung und dem späteren Angriff auf das Nachbarland die europäische Friedenordnung über den Haufen geworfen: Die russische Seite arbeitete im Rahmen der Nato-Russland-Akte damals sogar noch mit dem Bündnis zusammen.
Düsterer Ausblick: Es ist nicht die Zeit der Rüstungskontrolle
Der Nato-Gipfel zum 75. Jubiläum steht also im Zeichen einer Häufung sicherheitspolitischer Großkrisen. Wenig Platz haben da womöglich wieder einmal Überlegungen im Zusammenhang mit alter Kritik am Bündnis: wechselseitige Rüstungskontrolle, Transparenz, rote Telefone. Auch wenn das nicht genuin die Baustelle der Nato ist - wichtige Verträge zur Rüstungskontrolle und - begrenzung der atomaren Großmächte USA und Russland sind ausgelaufen oder außer Kraft, neue, auch unter Einbeziehung Chinas, nicht in Sicht. Sie wären aber sinnvoll.