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Foto: picture alliance / photothek | Janine Schmitz
Die Mitglieder der Nato kommen vom 9. bis 11. Juli 2024 zu ihrem Treffen in Washington zusammen.

Vor dem Nato-Gipfel : Streit um das Zwei-Prozent-Ziel

Vor dem Nato-Jubiläumsgipfel zum 75. Jahrestag debattiert der Bundestag über das Zukunft des Bündnisses und Mehrausgaben für Verteidigung.

05.07.2024
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4 Min

Europäischer werden, damit das Bündnis transatlantisch bleibt: Vor dem Nato-Gipfel in der nächsten Woche haben Vertreter mehrerer Fraktionen an die Bedeutung des Bündnisses für Deutschlands Sicherheit erinnert, das in diesem Jahr 75 Jahre alt wird. Während die Ampel-Parteien und die Union am Donnerstag in einer Vereinbarten Debatte angesichts russischer Aggression für mehr europäische Verteidigungsanstrengungen warben, kritisierten AfD, Linke und BSW die Rolle der Nato im Ukraine-Konflikt.

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Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) mahnte weitere Unterstützung der Ukraine durch die Nato an. Beim Gipfeltreffen nächste Woche in Washington müsse klar sein: "Putins Russland wird auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für unsere Sicherheit und Freiheit in Europa bleiben." Der Westen müsse etwas dagegensetzen, um Freiheit und Demokratie zu verteidigen. "Wir haben uns das nicht ausgesucht", sagte sie. "Wir wollten das nicht." Deutschland investiere nun in die eigene Wehrhaftigkeit, wolle dauerhaft dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato bei den Verteidigungsausgaben nachkommen, stärke die Ostflanke des Bündnisses mit einer Bundeswehr-Brigade in Litauen. Deutschland habe bei den östlichen Nato-Partnern wegen seiner früheren Russland-Politik verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen. "Das dürfen wir gerade auch in den Haushaltsdebatten nicht verspielen", sagte Baerbock.

Europäer stärker gefordert als in der Vergangenheit

Jürgen Hardt (CDU) erinnerte daran, dass die Nato-Osterweiterung dem Fall des Eisernen Vorhangs "im völligen Einklang mit allen völkerrechtlichen Regeln, mit der UN-Charta, mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag, mit der Pariser Charta der OSZE" gestanden habe. Angesichts der russischen Aggression seien die Europäer heute viel stärker im Bündnis gefordert bei der "Verteidigung unserer gemeinsamen Werte und unserer gemeinsamen Territorien". Es dürfe aber nicht bei einem "Sonntagsbekenntnis zu mehr Europa in der Nato" bleiben. Hardt forderte mehr gemeinsame europäische Rüstungsanstrengungen, mehr Zusammenarbeit bei der Ausbildung von Soldaten und Verbesserungen bei der Logistik für die Nato - "zum Beispiel beim Bau von Brücken und von Fernverbindungswegen in die Regionen, in die wir verlegungsfähig sein müssen".

Fakten zur NATO auf einen Blick

👴 Gründungsmitglieder sind Belgien, Dänemark, Frankreich, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Portugal, Großbritannien, USA

↪️ Später beigetreten sind Griechenland, Türkei, Deutschland, Spanien, Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Albanien, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Finnland, Schweden

🔜 Mitglied werden will die Ukraine, Georgien, Bosnien und Herzegowina



Nils Schmidt (SPD) betonte, dass die Nato auch deshalb "zur zentralen europäischen Sicherheitsorganisation" geworden sei, weil russische Aggression das gemeinsame System europäischer Sicherheit - die OSZE - "in den Grundfesten erschüttert" habe. Es bleibe weiter richtig, dass militärische Sicherheit und Entspannungspolitik, Abschreckung und Dialog kein Widerspruch seien. Die Nato sei immer ein Verteidigungsbündnis gewesen. "Es war aber auch immer der Rahmen für Überlegungen, wie wir versuchen können, mit den schlimmsten Feinden Dialog zu organisieren, und wie wir Rüstungskontrolle und Abrüstung organisieren können." Auch wenn die Dialogmöglichkeiten mit Russland heute gering seien und die Abschreckung gerade mit Blick auf die mittel- und osteuropäischen Partner gestärkt werden müsse, sollte sich die deutsche Außenpolitik weiter in diesem Rahmen bewegen.

AfD und BSW übten heftige Kritik an Nato-Osterweiterung

Alexander Gauland (AfD) sprach von einer vertanen Chance für ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem mit Russland nach dem Ende des Kalten Krieges. "Stattdessen haben wir Russland in einer Schwächephase versucht, aus Mitteleuropa herauszudrängen. Das mag ein geostrategisches Ziel der USA gewesen sein. Dem europäischen Frieden diente es nicht." Der Krieg in der Ukraine habe eine Vorgeschichte, und die habe auch mit der Osterweiterung der Allianz zu tun. Gauland unterstrich die Bedeutung des Bündnisses für Deutschlands Sicherheit. Die Ukraine aber sei nicht Teil der Nato, das Bündnis nicht zuständig für die Unversehrtheit ihm nicht angehörender Staaten. Es sei ein europäisch-atlantisches Verteidigungsbündnis, jedoch kein "ideologisches Bollwerk von Demokratien gegen Autokratien".

Sevim Dagdelen (BSW) warf der Nato eine "Politik der Expansion und Eskalation" und der massiven Hochrüstung vor. Damit drohe "eine Überspannung des Militärpakts und ein sozialer Krieg gegen die eigene Bevölkerung". Das sehe man an den Haushaltsberatungen der Bundesregierung: "Immer mehr Geld für den Krieg in der Ukraine, Kürzungen aber bei Bildung, Gesundheit und Infrastruktur."

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Sören Pellmann (Die Linke) sprach von einem neuen "Rüstungswettlauf": "Die Nato verdonnert uns dazu, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür zu versenken, für alle Nato-Staaten 1,3 Billionen Dollar im Jahr". Dieses Geld "fehlt für Soziales, für Infrastruktur und für die Bildung." Pellmann kritisierte zudem den Anspruch des Bündnisses auf ein "weltweites Interventionsrecht - zur Not auch an der UNO vorbei".

Entscheidung von 2008 gegen die Ukraine war "historischer Fehler"

Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) wiederum hielt es für zynisch, wenn man das russische Narrativ bediene, der Angriff auf die Ukraine sei die Folge der aggressiven Nato gewesen. Es sei ein "historischen Fehler" gewesen, dass die Bundesregierung 2008 der Ukraine den Beitritt zur Nato versagt habe, "in der Annahme, Putin bliebe dann der friedliche Nachbar und Handelspartner". Die Nato-Mitgliedschaft sei für Deutschland Grundpfeiler der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sie sei aber nicht nur ein "Geschenk, sondern auch und vor allem Verpflichtung". Angesichts des "russischen imperialistischen Wahnsinns" dürfe ,man nicht im Weg stehen, weitere Partner in die Nato aufzunehmen. "Dazu gehört auch die Ukraine."

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